Alle lieben diesen Bauern – trotzdem muss er weg
Ställe misten, Kühe füttern, melken. Noch geht auf dem Moorhof in Rissen alles seinen gewohnten Gang. Dabei müsste Bauer Hauke Jaacks seinen Milchviehbetrieb längst räumen. Der Pachtvertrag ist ausgelaufen, ein Immobilien-Investor hat den Zuschlag für die Fläche bekommen und will dort einen Reiterhof bauen. Jaacks verliert Haus und Hof. „Sollen meine Kühe und ihre Kälber jetzt alle geschlachtet werden?“, klagt er. 126.228 Menschen haben mittlerweile eine Petition für den Erhalt des Hofs unterzeichnet. Gibt es noch Hoffnung?
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Ställe misten, Kühe füttern, melken. Noch geht auf dem Moorhof in Rissen alles seinen gewohnten Gang. Dabei müsste Bauer Hauke Jaacks seinen Milchviehbetrieb längst räumen. Der Pachtvertrag ist ausgelaufen, ein Immobilien-Investor hat den Zuschlag für die Fläche bekommen und will dort einen Reiterhof bauen. Jaacks verliert Haus und Hof. „Sollen meine Kühe und ihre Kälber jetzt alle geschlachtet werden?“, klagt er. 126.228 Menschen haben mittlerweile eine Petition für den Erhalt des Hofs unterzeichnet. Gibt es noch Hoffnung?
Drei engagierte Frauen aus Rissen übergaben vergangene Woche im Hamburger Rathaus mehr als 120.000 Unterschriften ihrer Petition für den Milchhof, die sie auf der Plattform change.org gestartet hatten. Initiatorin Charlotte Kusche-Schroth: „Wir fordern von der Politik einen Runden Tisch mit allen Beteiligten, bei dem nach einer Lösung für den vor Ort gut integrierten Milchviehbetrieb gesucht wird.“ Die stellvertretende Leiterin einer Kita ist gerade zum zweiten Mal Mutter geworden. Sie engagiert sich auch wegen ihrer Kinder für den Erhalt des Hofes: „Ich wünsche mir, dass meine Tochter später einmal sehen kann, wo die Milch herkommt und wie sie produziert wird.“
Dass ausgerechnet unter einer rot-grünen Regierung in Hamburg eine solche Entscheidung gegen einen regionalen Betrieb gefällt wird, kann sie nicht verstehen. „Wir wollen Regionalität, wir wollen keine Massentierhaltung und wir wollen keinen Reiterhof mit viel Verkehr im Naturschutzgebiet.“ Das Schicksal des Milchbauern, der seine Existenz zu verlieren droht, hat in Hamburg und deutschlandweit für Empörung gesorgt. Innerhalb weniger Tage ist die Petition jetzt um weitere 5000 Unterstützer stärker geworden.
„Die Hoffnung auf eine gute Lösung stirbt nicht“, sagte Jaacks jetzt zur MOPO. Dabei ist es eigentlich schon fünf nach Zwölf. Den Facebook-Auftritt des Moorhofs musste er am Dienstag abschalten. „Liebe Freunde des Moorhofes, wir möchten noch einmal Danke sagen – Ihr wart Klasse!! Mit so viel Solidarität haben wir als Familie nicht gerechnet“, schrieben Swantje und Hauke Jaacks. Mehr als 30.000 Zugriffe hatte ihr Facebook-Auftritt zeitweise.
Milchbauer Jaacks aus Rissen: Meinen Sohn belastet das
Die Verhandlungen mit den Eigentümern, der verlorene Rechtsstreit und die drohende Räumung – das alles geht nicht spurlos an der Familie vorbei. „Unser Sohn ist acht, er leidet sehr, weil er sein zu Hause verliert.“ Auch für die Mitarbeiter ist die Situation äußerst belastend. Auf dem Hof ist ein gehörloser Azubi beschäftigt, der sicher so schnell keine neue Lehrstelle finden würde.
„Sollen alle meine Rinder und Kälber jetzt geschlachtet werden, oder wie stellen die sich das vor?“, fragt der verzweifelte Landwirt. „Wir warten auf eine Antwort der Stadt Hamburg auf die Fragen von mehr als 120.000 Menschen.“
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) fordert den Senat auf, umgehend und ernsthaft nach Lösungen zu suchen, damit Familie Jaacks ihren Bauernhof weiterführen kann. „Der Senat könnte den Bau eines neuen Hofes im Außenbereich ermöglichen“, so Berit Thomsen von der AbL. „Aber wenn der Hamburger Senat weiterhin tatenlos zuschaut, dann hat er zu verantworten, dass die Familie Jaacks ihren Bauernhof und damit ihre wirtschaftliche Existenz verliert.“
Denn erst durch die aktive Zustimmung der Wirtschaftsbehörde gab es überhaupt grünes Licht für den Verkauf des Hofs. Eigentlich haben Landwirte ein Vorkaufsrecht für ihre Flächen, gerade um zu verhindern, dass immer mehr bäuerliches Land verlorengeht. Aber dadurch, dass die Stadt Hamburg den geplanten Reiterhof als Landwirtschaft anerkannt hatte, konnten die Eigentümer ihren Hof an den Immobilieninvestor verkaufen. Eine Klage dagegen blieb erfolglos, weil Jaacks als Pächter nicht einmal ein Klagerecht zugesprochen wurde.
Milchhof Hamburg: Wirtschaftsbehörde stimmt Verkauf zu
Die Bezirksversammlung Altona hatte sich gegen den Verkauf ausgesprochen und an die Wirtschaftsbehörde appelliert, die Entscheidung zu überprüfen. Aber die Wirtschaftsbehörde begründete ihr Votum damit, dass sie den Verkauf nur verhindern könne, wenn an einen Nicht-Landwirt verkauft würde. Der geplante Pferdehof habe eine eigene Futterproduktion und sei so auch als Landwirtschaft zu werten. Auf eine Anfrage des NDR beim Bundeslandwirtschaftsministerium wurde diese Einschätzung nicht geteilt: „Wenn ein Landwirt die Fläche braucht, damit er weiter existieren kann, dann kann die Prüfbehörde den Verkauf an den Nichtlandwirt versagen“, hieß es aus Berlin. Weiter heißt es auf der Seite des Ministeriums: „Ohne ausreichend landwirtschaftlichen Boden, fehlt die Grundlage einer sicheren Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung.“
Im Westen Hamburgs gibt es bereits jetzt rund 20 Reiterhöfe, viele davon waren früher einmal Milchviehbetriebe und wurden umgewandelt. In ganz Hamburg gibt es laut Statistikamt 103 Reiterhöfe. Bauernhöfe mit Kühen gibt es dafür nur noch zehn. Hamburg wird mittlerweile größtenteils von außerhalb versorgt. Doch gerade Corona hat gezeigt, dass eine regionale Erzeugung von Lebensmitteln wichtig ist.
Es geht um eine bedrohliche Entwicklung: Landwirtschaftliche Flächen werden immer knapper. Und sie werden neben Wohnungen und Wald zu einem krisensicheren Investment – und somit auch zur Spekulationsmasse. Kein Wunder, dass etwa Bill Gates heute zum größten Besitzer von Farmflächen in den USA aufgestiegen ist. Er besitzt und verpachtet 100.000 Hektar – eine Fläche, die so groß ist wie Bremen und Hamburg zusammen.
Deutschland verliert landwirtschaftliche Flächen
Laut Bundesregierung sind seit 1993 in Deutschland 1,2 Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche verloren gegangen, was einer Fläche von rund 18.000 landwirtschaftlichen Betrieben entspricht. Seit 2005 sind die Kaufpreise um 193 Prozent gestiegen. Niedersachsen hat gerade ein Gesetz auf den Weg gebracht, dass es dem Land noch einfacher machen soll, den Verkauf von landwirtschaftlichen Flächen an Nicht-Landwirte zu verhindern. Doch was macht Hamburg? Mittlerweile wurde das Thema Landwirtschaft der Umweltbehörde zugeschlagen. Wäre damals die Entscheidung anders gefallen, wenn nicht Wirschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos), sondern Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) zuständig gewesen wäre?
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Charlotte Kusche-Schroth und ihre Mitstreiter sind sicher: „Die Wirtschaftsbehörde hatte einen Ermessensspielraum und sie hat sich gegen den Hof entschieden.“ Sie warten jetzt auf die Antwort auf ihre Petition aus der mittlerweile zuständigen Umweltbehörde. Und sie hoffen, dass Fehler eingestanden werden und Bauer Jaacks Unterstützung bekommt. „Und dann sehen wir weiter.“ Sie verspricht kämpferisch: „Das wird hier nicht still und leise über die Bühne gehen.“