• Eine Stadionbaustelle in Katar.
  • Foto: picture alliance/dpa/XinHua

WM in Katar: „Fußballbosse gehen über Leichen – für ihre Ziele, für ihr Geld“

Meinung –

Die Qualifikation ist in vollem Gange. Die Qualifikation für ein Turnier, das es so niemals geben dürfte. Eine Fußball-WM in Katar – im November und Dezember des kommenden Jahres. Das ist aus so vielen Gründen verkehrt, das es einem den Magen umdreht. Meine sieben Thesen gegen die Austragung einer WM, für die tausende Menschen ihr Leben lassen mussten.

1. Die WM-Ausrichtung in Katar ist das Ergebnis und der Höhepunkt eines von der Basis abgekoppelten Fußballs. 22 Menschen, die einem Ball hinterherjagen, das scheint mittlerweile die einzige Gemeinsamkeit zu sein, die den Fußball der Basis mit dem Profifußball verbindet, der in einer Blase ein gefährliches Dasein fristet. Wenn sich der Weltverband FIFA für ein Land entscheidet, das keinerlei Fußballtradition, keine Fankultur, eine höchst überschaubare Nachwuchsförderung und keine Fußball-Infrastruktur hat, ein Land, das in der Weltrangliste des Verbandes zum Zeitpunkt der Vergabe auf Platz 113 stand, dann sollte er diese Vergabe zumindest koppeln an die Einhaltung von Menschenrechten. Er sollte auf politische Veränderungen drängen. Geschieht dies nicht, ist das ein Statement, dass die FIFA an einem Fußball, der Menschen verbindet, nur dann ein Interesse hat, wenn es dem eigenen Geschäftsgebaren nützt.

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2. Mit den verurteilten FIFA-Funktionären könnte man mittlerweile eine Fußballmannschaft aufstellen. Alfredo Hawit, Juan Angel Napout, Ariel Alvarado, Manuel Burga, Rafael Callejas, Luis Chiriboga, Marco Polo del Nero, Eduardo Deluca, Brayan Jimenez, José Luis Meiszner, Ricardo Teixeira, … Sie denken, diese Liste ist vollständig? Nicht im Ansatz. Eine Doppelseite in der MOPO würde vermutlich gerade ausreichen, um sie alle aufzuzählen, die korrupten FIFA-Männer an der Spitze eines Weltverbandes, bei dem in den vergangenen drei Jahrzehnten nachweislich mehr als 150 Millionen US-Dollar an Schmiergeldern geflossen sind. Was hätte man mit diesem Geld alles anstoßen können? Wie viel Leid hätte die FIFA in den armen Ländern, die ihr angeblich so wichtig sind, verhindern können?

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3. Dass 2010 14 von 22 abgegebenen Stimmen im entscheidenden Wahlgang für Katar abgegeben worden sind, ist genauso skandalös wie die Verschiebung der WM vom Sommer in den Winter fünf Jahre später. Längst ist auch juristisch bewiesen, dass die WM gekauft worden ist. Drei FIFA-Funktionäre waren bestochen worden – mindestens. Ohne diese Stimmen hätte Katar keine Mehrheit gehabt. Trotzdem unternahm die FIFA genau null Anstrengungen, die Vergabe rückgängig zu machen. Das hätte den Verband schließlich Geld gekostet. Dass eine WM in Katar, dem Land mit dem größten CO₂-Ausstoß pro Kopf weltweit, stattfindet, hat die raffgierigen Fußball-Bosse vor elf Jahren nicht stutzig gemacht. Eine Durchschnittstemperatur von 42 Grad im Schatten während der WM-Monate. Die WM sei ja noch lange hin, sagte der damalige FIFA-Boss Sepp Blatter. Das Klima könne sich bis dahin ändern. Dümmer geht immer. Also werden die internationalen Spielkalender nun eben komplett zerstört und ein Weltmeister am vierten Advent gekürt – in einem der acht Stadien, die natürlich trotzdem mit gigantischen Klimaanlagen ausgestattet sind, die während eines Spiels mehr Kohlenstoffdioxid ausstoßen als Pinneberg in einem halben Jahr.

WM 2022 in Katar: Macht man mit Despoten die besseren Geschäfte?

4. Warum die FIFA Steuerprivilegien für sich bei den Ausrichternationen durchsetzen kann, aber die Einhaltung und Verpflichtung von Menschenrechten nicht, zeigt den Schwerpunkt ihrer sportpolitischen Ausrichtung. Mehr als 4,6 Milliarden Dollar hat die FIFA 2018, im Jahr der letzten WM, umgesetzt. Der Gewinn betrug rund 1,1 Milliarden Dollar. Ein Verband, der eine solche Unmenge an Geld scheffelt, hätte so viele Möglichkeiten, Demokratisierungsprozesse anzustoßen, humanitäre Gräueltaten anzuprangern. Das Interesse daran aber scheint überschaubar. Weil man mit Despoten die besseren Geschäfte macht?

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5. Dass Katar-Lobbyisten nun die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Land nach über 6000 Toten beim Bau der Stadien beziehungsweise Fortschritte beim gegen die Menschenrechte verstoßenden Kafala-System öffentlichkeitswirksam äußern können, ist blanker Hohn. Der britische „Guardian“ hat es vor Jahren schon angeklagt. Bei Temperaturen von bis zu 50 Grad waren tausende Gastarbeiter auf den WM-Baustellen gestorben. Diese Menschen werden wie Sklaven behandelt, die Aufnahme von Wasser und Nahrung wurde ihnen verboten, für ihre Sicherheit wurde nichts getan, Arbeitsunfälle waren und sind an der Tagesordnung. Und trotzdem ist es für den Golfstaat ein Leichtes, Unterstützer zu finden, Pep Guardiola ist WM-Botschafter, auch der FC Bayern ist gern gesehener Gast in Katar und schaut weg – wie einst der „Kaiser“, der keine Sklaven sah.

WM in Katar: Die Welle der Empörung muss größer werden

6. Die norwegische Nationalmannschaft und eine niederländische Großgärtnerei, die Katar aufgrund der Todesfälle von Arbeitsmigranten die geplanten Rasenlieferungen verweigert, haben eindrucksvoll gezeigt, was es bedeutet, im richtigen Moment Haltung zu zeigen. Die WM in Katar wird auch ohne den Rasen der Firma „Hendriks Graszoden“ auskommen und dass sich Norwegen überhaupt für das Turnier qualifiziert, ist unwahrscheinlich. Darum aber geht es nicht. Der Ligaverband in Skandinavien und das niederländische Unternehmen waren Vorreiter in den Protestaktionen gegen die WM. Sie haben eine Diskussion angestoßen, einen Stein ins Rollen gebracht, der mittlerweile so groß ist, dass die Erklärungsnöte der FIFA und der WM-Unterstützter größer werden. In den meisten Umfragen sprechen sich mehr als 80 Prozent der Deutschen für einen WM-Boykott aus. Es bleibt zu hoffen, dass diese Welle der Empörung und des Widerstands nicht abebbt, im Gegenteil: Sie muss größer werden, die Aktionen müssen weitergetragen werden, nur dann kann es Veränderungen geben, aber sie werden zu spät kommen. So oder so, die Zahl der Toten von Katar, sie ist ein Mahnmal und ein Zeichen, dass die Bosse des Fußballs über Leichen gehen – für ihre Ziele, für ihr Geld.

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7. Katar sollte als größte Kundgebung aller Beteiligten für den Erhalt der Menschenrechte genutzt werden: Zu einem Boykott der WM wird es nicht kommen. Ein großartiges Zeichen wäre es aber, wenn alle teilnehmenden Nationen zum Beispiel die Regenbogenfahne in ihr Trikot integrieren, alle Spieler beim Warmmachen mit dem Konterfei von George Floyd auflaufen und alle Funktionäre und politische Mandatsträger in den Stadien beim Abspielen der Hymnen niederknien. Es ist ein Traum, aber Träume dürfen ja wohl noch erlaubt sein …

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