Seit 40 Jahren kein Stück Fleisch – gute Gründe, vegan zu leben
In der Kindheit von MOPO-Redakteur Frank Wieding (57) gab es fast täglich Fleisch oder Fisch. Warum sich das vor 40 Jahren radikal änderte – und er heute nur pflanzliches Essen genießt: ein Meinungsstück zum Weltvegantag.
In der Kindheit von MOPO-Redakteur Frank Wieding (57) gab es fast täglich Fleisch oder Fisch. Warum sich das vor 40 Jahren radikal änderte – und er heute nur pflanzliches Essen genießt: ein Meinungsstück zum Weltvegantag.
Für mich passte es nie zusammen, wenn am Tag der offenen Tür in Tierheimen Unterschriften gegen die Waljagd oder Tierversuche gesammelt wurden und auf dem Grill die Bratwurst vor sich hin brutzelte. Wie kann man das brutale Gemetzel an Walen oder den hässlichen Teil der Forschung anprangern und gleichzeitig die Gewalt in unseren Schlachthöfen mit Bolzenschuss und Kehlschnitt ausblenden?
Es ist eine willkürliche Sortierung, die die meisten von uns vornehmen, wenn sie zwischen Haus- und Nutztieren unterscheiden. Wussten Sie, dass ein Schwein mindestens genauso schlau, in vielen Fällen sogar schlauer, als ein Hund ist? Und trotzdem sehen wir in dem einen ein Familienmitglied, dem kein Haar gekrümmt werden darf, und in dem anderen nur ein anonymes Stück Fleisch. Verpackt in Plastikfolie soll uns im Supermarkt möglichst wenig daran erinnern, dass es mal wie der Haushund ein Tier gewesen ist.
Natürlich wurde auch ich so sozialisiert, dass Bessy, unsere Katze, ein Haustier ist. Und all die anderen namenlosen Tiere, die nahezu täglich auf den Tisch kamen, eben Nutztiere. Das Wild kam direkt vom Jäger aus der Seestermüher Marsch (Kreis Pinneberg) und wurde von meinem Vater in der Garage zerlegt und portionsweise eingefroren. Jahrelang lag ein gegerbtes Hasenfell in meinem Kinderzimmer und zeugte vom Sonntagsbraten.

Eines meiner Lieblingsgerichte aus dieser Zeit waren Seezungen, die ganz kleinen, von denen man selbst als Kind drei oder vier brauchte, um satt zu werden. Vier Leben für eine Mahlzeit. Kein Wunder, dass heute die meisten heimischen Fische im Bestand gefährdet sind – was viele Menschen nicht davon abhält, sie weiterhin zu essen.
Gut möglich, dass auch ich dazugehören würde, wäre da nicht dieser eine Tag gewesen – es war wohl im Sommer 1983. In München fand eine Großdemonstration gegen Tierversuche statt und ich, 17 Jahre alt, reiste mit einer Gruppe junger Tierschützerinnen und Tierschützer aus dem Kreis Pinneberg an. Diese Tour quer durch die Republik sollte mein Leben verändern, was ich auf der Hinfahrt nicht mal ahnte. Doch auf der Rückfahrt wurde ich die Bilder aus der Massentierhaltung, die bei der Demo auf einer Leinwand gezeigt wurden, und die Szenen aus dem Schlachthof nicht mehr los.
Die Mutter hoffte, dass die „Phase“ vorübergeht
„Ich esse kein Fleisch mehr“, bekam meine Mutter die Konsequenz meines Ausfluges in Kurzform übermittelt. Sie war kein bisschen überrascht, aber hoffte vermutlich, dass diese Phase wieder vorüberginge. Die Phase ging nicht vorüber. Zwei Wochen später strich ich auch Fisch vom Speiseplan. Und anders als heute, wo es in jedem Supermarkt eine riesige Auswahl an vegetarischen und veganen Produkten gibt, herrschte damals „Mangel“, zumindest wenn man im fleischlosen Kochen ungeübt war. So schmeckte der erste Naturtofu, an dem meine Mutter sich versucht hatte, nach Schuhsohle.
Damals wie heute ist das Verhältnis der meisten Menschen zu Tieren ambivalent: Den einen, denen wir mit viel Geld ein prächtiges Leben bereiten – und den anderen, denen wir es brutal nehmen. 750 Millionen Tieren sprechen wir allein in Deutschland das Recht auf Leben ab und töten sie im Schlachthof – jedes Jahr. Darunter 47 Millionen Schweine – die übrigens so gelehrig sind wie Hunde. Was sich in den vergangenen 40 Jahren verändert hat: Immer mehr Menschen stellen zumindest den Umfang ihres Fleischkonsums infrage und legen fleischfreie Tage ein – auch, weil unser Fleischkonsum die Klimakrise befeuert.
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Und Milch, Joghurt, Käse? Die Milchindustrie ist nicht besser als die Fleischbranche. Fürs Klima nicht. Und ethisch auch nicht, auch wenn die Verpackungen uns glückliche Kühe auf grünen Weiden vorgaukeln. Laut Bundeslandwirtschaftsministerium steht nur etwa jedes dritte Rind im Sommer unter freiem Himmel.
Die meisten Milchkühe leben in Laufställen, rund zehn Prozent sogar noch in der qualvollen Anbindehaltung. Diese Tiere sind mit Ketten am Hals fixiert, können nur liegen oder stehen. Ein Rechtsgutachten der Hamburger Kanzlei Günther für Greenpeace kam erst im März zu der Bewertung, dass die Anbindehaltung gegen das Tierschutzgesetz verstößt.

Und um Milch zu geben, müssen Kühe Kälber gebären – die ihnen in der Regel sofort nach der Geburt entrissen werden, um wenig später als Tierkinder im Schlachthof ihr Leben zu verlieren. Auch die Kuh, deren Milch als „Bio“ vermarktet wird, hat zuvor ein Kalb zur Welt gebracht, dessen Babynahrung nun in unserem Müsli landet.
Das hat mir natürlich niemand erzählt, als ich als Kind mit der Milchkanne zum Bauern um die Ecke loszottelte. Eine Kuh kann gut und gerne 20 Jahre alt werden – die zu Höchstleistungen verzüchteten Turbokühe werden nach wenigen Jahren in den Tod geschickt, wenn sie weniger Milch geben. Diese dunkle Seite war mir schon als junger Mann bekannt. Trotzdem dauerte es mehr als 30 Jahre, bis ich auch meinen geliebten Käse im Supermarktregal stehen ließ. Offenbar funktionierte bei mir die Verdrängung genauso gut wie bei den meisten Fleischesser:innen.
Doch auch hier tut sich was: Schon 30 Prozent der Deutschen bezeichnen sich als Flexitarier:innen, also essen zwar Fleisch, aber eben nicht mehr so oft. Zudem ist die Zahl der Vegetarier:innen und Veganer:innen in den vergangenen Jahren sichtbar angestiegen. Von all dem zeugen auch die Supermarktregale, die nahezu Woche für Woche neue Milch- und Fleischersatzprodukte aufnehmen. Und je mehr es wird, desto erbitterter scheint um Schnitzel und Butter gestritten zu werden. Befeuert von der mächtigen Agrarindustrie, vielfach in der Gesellschaft multipliziert von jenen, die schon einen Veggietag in der Kantine als persönlichen Angriff werten.
Debatten im EU-Parlament: Darf Hafermilch nun Milch heißen?
Dazu passen die Debatten, die es bis ins EU-Parlament geschafft haben – ob Hafermilch nun Milch heißen darf, weil der Name die Verbraucher:innen doch verunsichern könnte? Als ob es jemals jemanden verunsichert hätte, dass es Scheuermilch gibt. Oder dass in Bärchenwurst gar kein Fleisch von Bären ist, in Leberkäse keine Leber oder in Teewurst kein Tee.
Die Kontroverse, warum Ersatzprodukte aus Seitan (Weizeneiweiß) oder Tofu (Sojabohne) so aussehen und schmecken sollen wie Fleisch, hat das Potential, jede Grillparty zu crashen. Dabei sind die meisten von uns mit Fleisch sozialisiert worden – das war bei mir nicht anders. Und die Bratwurst ist eben nicht eckig (weil es sich bewährt hat). Was spricht also dagegen, dass auch die Seitanwurst rund ist? Ich habe 1983 nicht aufgehört Fleisch zu essen, weil es mir nicht schmeckte, sondern weil ich nicht für den Tod von Tieren verantwortlich sein wollte. Warum also nicht den vertrauten Geschmack genießen, aber ohne den Blutzoll?
Mittlerweile bieten sogar Fleischer handwerklich hergestellte vegane Produkte an – und sorgen für hitzige Debatten. Aber wenn schon eine runde Seitanwurst für erbitterte Diskussionen sorgt, wie wird das erst sein, wenn „Clean Meat“ auf dem Markt kommt? Dieses Fleisch, das aus Zellen vom Tier im Labor gezüchtet wird. Noch ist das eine ziemlich teure Angelegenheit, aber wenn es massentauglich wird, sorgt es für eine Revolution auf dem Fleischmarkt. Für Veganer ist „Clean Meat“ sicher nichts – weil die benötigten Zellen vom Tier stammen. Aber welcher Grund sollte Fleischfans einfallen, ein Steak oder eine Bulette zu verweigern, die ohne den Tod von Tieren auskommen?
Ein Dilemma bleibt für mich: Wer mit Katzen zusammenlebt, füttert sie mit Fleisch. Doch anders als wir Menschen, haben Samtpfoten keine Wahl. Wir hingegen wissen genau was wir tun, wenn wir Tiere essen – und wir können uns mit Verstand und Empathie für unblutige Alternativen entscheiden.
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Anders als zu Zeiten des Gummi-Tofus aus der Küche meiner Mutter ist die Auswahl an veganen Produkten (sogar Käse!) inzwischen gigantisch groß. Einfacher macht es das (für mich) nicht unbedingt. Sorgten einst ausschließlich Tofu-Pioniere und Vegan-Startups für Innovationen im Supermarktregal, machen sich dort heute die Fleischkonzerne mit ihren vegetarischen und veganen Produkten breit. Sicher, einige davon sind so gut, dass sie selbst Wurstfans begeistern. Aber will ich mein Geld einem Unternehmen geben, das sein Hauptgeschäft mit dem Leid und Tod von Tieren macht?
Es sind oft die Firmen, die Biofleisch preisen oder Tierwohllabel auf ihre Produkte drucken – dabei dient so ein Label eher dem (schlechten) Gewissen von uns Konsumenten. Nehmen Sie das schlaue Schwein. Nach EU-Ökoverodnung muss ein Mastschwein bis 110 Kilo mindestens 1,3 Quadratmeter Platz im Stall und einen Quadratmeter Auslauf haben – wie toll kann „Tierwohl“ da sein? In der konventionellen Haltung stehen so einem armen Tier 0,75 Quadratmeter zur Verfügung – das ist staatlich geduldete Tierquälerei. Und sein Leben endet voller Angst. Nur, weil es ein Schwein und eben kein Hund oder keine Katze ist.