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Im Michel finden zu Weihnachten an einigen Terminen sogar 0G-Gottesdienste statt. (Archivbild)
  • Der Hamburger Michel (Archivbild)
  • Foto: dpa | Markus Scholz

Sonderarbeitsrecht der Kirchen: „Ein Anachronismus, der abgeschafft gehört“

Wolfgang Rose, Sozialdemokrat und Ex-Verdi-Chef, ist ein leidenschaftlicher Gewerkschafter. In seinem Gastbeitrag für die MOPO kritisiert er scharf, dass ausgerechnet die Mitarbeiter der Kirchen weniger Rechte haben. Er findet: „Dieser Anachronismus gehört abgeschafft!“ Hier sein Standpunkt:

1,5 Millionen Menschen sind in Deutschland bei den christlichen Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas beschäftigt. Für sie gilt nicht das staatliche Arbeitsrecht, sondern das kirchliche Sonderarbeitsrecht: Das Betriebsverfassungsgesetz wird ersetzt durch diverse kircheneigene Mitarbeitervertretungsgesetze und -ordnungen. Mit wenigen Ausnahmen (zum Beispiel in der Nordkirche) werden Tarifverträge sowie das Grundrecht auf Streik von den kirchlichen Arbeitgebern als unvereinbar mit der „Dienstgemeinschaft“ abgelehnt. Dieses Sonderarbeitsrecht stellt eine jahrzehntelange Diskriminierung der Beschäftigten in Kirchen, Diakonie und Caritas dar.

Woher kommt das kirchliche Sonderarbeitsrecht? Die Bischöfe der evangelischen Kirche haben bei der Gründung der Bundesrepublik verlangt, dass es in den Kirchen und ihren Einrichtungen keine Betriebsräte, keine Tarifverträge und kein Streikrecht geben dürfe, weil dies gegen das Prinzip der „Dienstgemeinschaft“ verstoße, was bereits in der Weimarer Verfassung stände – und sie haben sich damit durchgesetzt.

Ex-Verdi-Chef Wolfgang Rose dpa
Ex-Verdi-Chef Wolfgang Rose

In der Zeit der Weimarer Verfassung galt jedoch das Betriebsrätegesetz auch in den Kirchen und es gab sowohl Streiks als auch Tarifverträge, zum Beispiel bei den Friedhofsarbeitern. Die verfassungsmäßige Selbstständigkeit der Kirchen richtete sich stattdessen gegen den obrigkeitsstaatlichen Einfluss auf Personalentscheidungen. „Dienstgemeinschaft“ – dieser Begriff war, auch wenn er sich heute vielleicht positiv anhört, 1934 die völkische Formulierung für die Ersetzung des Personalvertretungsrechts durch das nationalsozialistische Führerprinzip im öffentlichen Dienst.

Der Ausschluss aus der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes mindert die Mitbestimmungsrechte der abhängig Beschäftigten in Kirchen, Diakonie und Caritas und dient vor allem der Ausgrenzung der Gewerkschaften. Ihre Zugangs- und Beteiligungsrechte, zum Beispiel bei der Aufstellung von Betriebsratslisten und der Teilnahme an Betriebsversammlungen, sind heute noch ein Grund für den vergleichsweise niedrigen gewerkschaftlichen Organisationsgrad in den Kirchen und ihren Einrichtungen. Dessen Wirkung hat sich zum Beispiel kürzlich bei der Ablehnung des Bundespflegetarifvertrags durch die „Arbeitsrechtliche Kommission“ des Caritasverbandes gezeigt.

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Entgegen ihrer überwiegenden Alltagspraxis begründet die Evangelische Kirche in ihrer Denkschrift „Solidarität und Selbstbestimmung im Wandel der Arbeitswelt“ von 2015 die sozialethische Bedeutung von Streiks: „Der Streik ist kein Selbstzweck. Er dient der Erzwingung einer Einigung, die sonst blockiert wäre. Insofern manifestiert sich im Streikrecht die Zivilisierung des Konflikts (…) Sozialethisch ist das Streikrecht deswegen von hoher Dignität, da es die Schwächeren im Konflikt schützt“ und „ein allgemein verbindlich geltender Flächentarifvertrag Soziale Dienste ist eine (…) wichtige Option“. Dem ist nichts hinzuzufügen.


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Kirchlich Beschäftigte in Kitas, Krankenhäusern, Altenheimen und Beratungsstellen sind Arbeitnehmer wie andere auch. Das kirchliche Sonderarbeitsrecht ist diskriminierend und ist ein Anachronismus, der endlich abgeschafft gehört. Das Arbeitsrecht ist nicht teilbar – und die Zeit ist reif.

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