• Ein Teilnehmer versprüht Seifenblasen bei der Parade zum Christopher Street Day (CSD) im Wendland.
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Pride Week Hamburg: Warum wir auch in Corona-Zeiten auf die Straße gehen müssen

Heute im Laufe des Tages wird Hamburg Pride erklären, ob es am 1. August eine CSD-Fahrraddemonstration gibt oder nicht. Um das Ob und das Wie wird seit Wochen intensiv gerungen. Denn es gilt, den notwendigen Infektionsschutz und das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in Zeiten von Corona in verantwortlichem Maße unter einen Hut zu bringen. Das ist nicht zuletzt eine Frage der Größenordnung. Muss bei 1000 Menschen Schluss sein, so wie es die geltende Eindämmungsverordnung des Senats vorsieht? Oder sind mit einem entsprechenden Hygienekonzept auch mehr Teilnehmer*innen vertretbar?

Die Senatsverordnung bietet einen Spielraum für Ausnahmen. Darüber haben Hamburg Pride e.V. und die Versammlungsbehörde diskutiert, bis die Angelegenheit am Ende vor dem Verwaltungsgericht landete. Denn wenn mehr als 1000 Menschen kommen, muss die Versammlung aufgelöst werden, bevor sie begonnen hat – sofern kein Kompromiss erzielt wird.

Für eine Teilnahmebeschränkung bei Demonstrationen lassen sich gute Gründe finden. Die restriktiven Maßnahmen der Vergangenheit sind schließlich Teil des Erfolges bei der Eindämmung der Pandemie in Deutschland. Man kann die massive Einschränkung der Versammlungsfreiheit aber auch sehr problematisch finden, ohne gleich zum Verschwörungstheoretiker oder Corona-Leugner zu werden. Das Demonstrationsrecht ist eines unserer wichtigsten Grundrechte. Es über Monate hinweg massiv einzuschränken, schadet der Demokratie. Denn sie lebt vom Widerspruch. Der aber kann sich nur dann wirksam entfalten, wenn er nicht begrenzt wird.

Und Widerspruch ist weiterhin notwendig: Gegen die unhaltbaren Zustände im Nachbarland Polen, wo der Staatspräsident eines EU-Landes Homosexuellen zuletzt das Menschsein absprach und ganze Landstriche zu „LGBT-freien Zonen“ erklärt wurden. Gegen die massive Missachtung der Menschenrechte in Hamburgs Partnerstädten St. Petersburg oder Daressalam sowie in vielen weiteren Ländern der Erde, wo teilweise noch immer die Todesstrafe gilt.

Aber auch gegen die bestehenden Diskriminierungen in der Bundesrepublik. Die Liste unserer politischen Forderungen zum CSD umfasst nicht umsonst rund 20 Punkte. Da wäre die Abschaffung des Transsexuellengesetzes: Noch immer können Menschen nicht selbstbestimmt entscheiden, ob sie Frau, Mann oder nichts von beidem sein wollen – als wüsste der Staat es besser, wie sich jemand fühlt oder definiert.

Da wäre die Ergänzung des Diskriminierungsschutzes in Artikel 3 des Grundgesetzes um die sexuelle Orientierung und die geschlechtliche Identität: Nur so können bereits erkämpfte Erfolge wie die Ehe für alle dauerhaft abgesichert werden. Ginge es nach der AfD, wäre sie längst wieder abgeschafft. Viele weitere Beispiele ließen sich anführen.

Der Politikbetrieb läuft in Zeiten von Corona selbstverständlich weiter, nicht selten gegen die Interessen gesellschaftlicher Minderheiten. Der Protest jedoch wird weitgehend ausgebremst. Doch Demonstrationen entfalten ihre Wirkung nicht zuletzt aufgrund ihrer Größe. 1000 Menschen: Das sind ungefähr so viele, wie sich 1980 auf die erste Hamburger Stonewall-Demo trauten, die damals mit einem brutalen Polizeieinsatz beendet wurde. Hätte der CSD in Hamburg und in vielen anderen Städten über Jahrzehnte hinweg nicht seine heutigen Dimensionen erreicht – die Ehe für alle wäre nicht erkämpft worden, Therapien zur angeblichen Heilung Homosexueller wären immer noch erlaubt. Das haben wir maßgeblich dem Druck der Straße zu verdanken. „Keep on fighting. Together.“ – das geplante CSD-Motto erinnert daran, dass wir als Gesellschaft nur dann vorankommen, wenn wir Minderheitenrechte als Gemeinschaftsaufgabe wahrnehmen. Dafür braucht es Sichtbarkeit.

Deshalb wollen wir am 1. August in angemessener Größe demonstrieren dürfen, ohne dabei den Infektionsschutz zu vernachlässigen. Eine Versammlung auf Fahrrädern, die schon für sich genommen als natürlicher Abstandshalter dienen, ist aus unserer Sicht eine sichere Sache, wenn die Spielregeln klar sind und die Teilnehmer*innen eigenverantwortlich handeln. Das trauen wir ihnen zu. Deshalb: Keep on Riding. Together.

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