Oberbillwerder: Wieso das autoarme Quartier trotzdem für mehr Verkehr sorgt
In Oberbillwerder sollen in den kommenden Jahren rund 7.000 Wohnungen in möglichst nachhaltiger Bauweise entstehen. Eine Besonderheit des neuen Öko-Stadtteils: Das Auto soll möglichst draußen bleiben, rein rechnerisch sind daher nur 0,6 Kfz-Stellplätze pro Wohnung vorgesehen. Der Bezirk Bergedorf hat trotzdem mal errechnen lassen, wie stark die Anwohner:innen der angrenzenden Wohngebiete künftig durch Lärm und Abgase belastet werden – und die Ergebnisse in eine Schublade gesteckt. Denn die bergen politischen Sprengstoff, meint MOPO-Kolumnist Marco Carini.
In Oberbillwerder sollen in den kommenden Jahren rund 7000 Wohnungen in möglichst nachhaltiger Bauweise entstehen. Eine Besonderheit des neuen Öko-Stadtteils: Das Auto soll möglichst draußen bleiben, rein rechnerisch sind daher nur 0,6 Kfz-Stellplätze pro Wohnung vorgesehen. Der Bezirk Bergedorf hat trotzdem mal errechnen lassen, wie stark die Anwohner:innen der angrenzenden Wohngebiete künftig durch Lärm und Abgase belastet werden – und die Ergebnisse in eine Schublade gesteckt. Denn die bergen politischen Sprengstoff, meint MOPO-Kolumnist Marco Carini.
„Uns liegen lediglich Zwischenstände vor“, erklärt Bezirkssprecher Lennart Hellmessen, angesprochen auf ein Verkehrs- und Lärmgutachten, das die Folgen des neuen Stadtteils Oberbillwerder für sein Umfeld beleuchtet. „Unvollständige Ergebnisse werden wir nicht veröffentlichen, mit der umfassenden Betrachtung rechnen wir gegen Herbst.“ Dabei zeigen schon die ersten Prognosen des Instituts „ARGUS Stadt und Verkehr“ sehr konkret, wie viel mehr Verkehr auf die Nachbar:innen zukommen könnte durch Hamburgs zweitgrößten Neu-Stadtteil nach der HafenCity. Und dass, obwohl in Oberbillwerder Car-Sharing und Fahrradverleih, gute Busanbindung und Verkürzung des S-Bahn-Takts groß geschrieben werden sollen.
Prognose: Verkehrsbelastung nimmt deutlich zu
So wird die tägliche Verkehrsbelastung zwischen dem Felix-Jud-Ring und dem Sophie-Schoop-Weg in Neu-Allermöhe durch Durchgangsverkehr von zuletzt rund 6650 bis 2030 um rund 64 Prozent auf 10.900 Kfz steigen. Die „Interessengemeinschaft Felix-Jud-Ring“ sieht die Gefahr, dass die Autofahrer:innen die Wohnstraße künftig „als kürzeste und bequemste Verbindung zwischen Oberbillwerder und der Autobahn 25 nutzen“ werden und das ARGUS-Szenario gibt ihnen Recht.

Für die anderen Zufahrtswege nach Oberbillwerder werden ähnliche Zuwachsraten prognostiziert: Für die sogenannte Westanbindung über den Mittleren Landweg und den Billwerder Billdeich rechnen die Planer:innen mit einer Verkehrszunahme von 37 Prozent – von 3250 auf 4550 Fahrzeuge am Tag. Auch auf der Hans-Duncker-Straße, die die Autobahnabfahrt Allermöhe mit Oberbillwerder verbinden wird, droht ein Zuwachs von 37 Prozent auf 16.700 Fahrzeuge. Die Verbindungsstraße soll deshalb wohl verbreitert werden.
Rund um den Bergedorfer Bahnhof soll der Verkehr laut ARGUS ebenfalls gewaltig zunehmen. 270 Gebäude mit etwa 5.500 Fenstern müssten mit Schallschutzscheiben ausgerüstet werden, damit die Lärmbelastung hinter ihren Mauern unterhalb der gesundheitsgefährdenden Schwelle bleibe, heißt es.
Oberbillwerder: Bergedorf streitet über Verkehrsplanung
„ARGUS hat den schlimmsten Fall berechnet, der eintreten kann, und den wir mit allen Mitteln zu verhindern versuchen“, relativiert Patrick Kühl von den Grünen das Zahlenwerk. Sein Ziel ist es, „möglichst viele Verkehrsströme auf große Verkehrsadern ohne Wohnbebauung wie den Nettelnburger Landweg umzuleiten“.
Sonja Jacobsen, Fraktionschefin der FDP in Bergedorf, schreibt es sich auf die Fahnen, die Verkehrsanbindung des geplanten Stadtteils sowohl an die B5 wie auch an die Autobahnauffahrt Allermöhe überhaupt erst durchgesetzt zu haben. Während Jacobsen „die Prognosen nicht überraschen“, haben diese für ihre SPD-Amtskollegin Katja Kramer aufgrund „der sich stetig verändernden städtischen Mobilität etwas von einem Blick in die Glaskugel“. Nicht zu bestreiten aber sei, dass „in dieser Region mehr motorisierter Individualverkehr auf uns zukommt“.

Mobilitätswende gibt es nicht zum Öko-Nulltarif
Derzeit denkt Bergedorfs Verwaltung über Tempolimits, Verkehrskreisel, Abbiegeverbote und Einbahnstraßen nach. Das könnte in einigen Wohnbereichen Entlastung schaffen, verschiebt aber den Zusatzverkehr bloß statt ihn grundsätzlich zu vermindern. „Es gibt keine Verkehrsplanung aus einem Guss und keine überzeugenden Konzepte, den Schleichverkehr durch Wohngebiete zu unterbinden“, klagt Katja Haack von der Initiative „Nein zu Oberbillwerder.“ und ist sich da mit der oppositionellen CDU einig. Deren Verkehrsexperte Jörg Froh hält die heutigen Verkehrsplanungen schlicht für „eine Katastrophe“, befürchtet, „dass es praktisch nicht gelingen wird, den Zusatzverkehr aus den benachbarten Wohngebieten rauszuhalten“.
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Während die Einschätzungen der Bergedorfer Politiker:innen weit auseinandergehen, wird eines doch ganz klar: Die wachsende Stadt mit neuen Stadtteilen auf der grünen Wiese gibt es nicht zum ökologischen Nulltarif. Ohne mehr Flächenverbrauch und Verkehr ist sie nicht zu haben. Da kann man so nachhaltig planen, wie man will.