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  • Der Kandidat für den CDU-Parteivorsitz, Friedrich Merz, vermutet andere Motive als Corona hinter der Parteitags-Verschiebung.
  • Foto: dpa

Kommentar zum CDU-Streit: Friedrich Merz als Parteichef? Gruseliger als Halloween

Wer Friedrich Merz da in den vergangenen Tagen beobachtet hat, wie er gemeckert und geschimpft hat, weil das gemeine „Partei-Establishment“ der CDU ihn angeblich nicht ans Ruder lassen will, konnte ja fast schon ein wenig Mitleid bekommen. Obwohl … – nein.

Denn ungeachtet der Frage, wie diese Parteitags-Verschiebung nun motiviert war: Friedrich Merz als Parteichef verhindern zu wollen, ist grundsätzlich ein legitimes Anliegen und müsste quasi Bürgerpflicht sein. 

Deutschlands konservatives Lager ist in einem desolaten Zustand

Und die Tatsache, dass dieser Mann als ernsthafte Option für diesen Posten gehandelt wird, ist ein Beleg für den desolaten Zustand, in dem das konservative Lager dieses Landes ist.

Zur Erinnerung eine Anekdote: Friedrich Merz ist der Mann, der einst seinen Laptop an einem Berliner Taxistand verloren hat, und dem Obdachlosen, der das Gerät fand und bei der Polizei abgab, als Dank ein handsigniertes Buch zukommen ließ. Der bemerkenswert sperrige und unangenehm motivationstrainige Titel: „Nur wer sich ändert, wird bestehen. Vom Ende der Wohlstandsillusion – Kursbestimmung für unsere Zukunft“. Dazu noch die Widmung: „Vielen Dank an den ehrlichen Finder.“

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Merz gab später an, nicht gewusst zu haben, dass der Finder obdachlos gewesen sei. Die Polizisten hätten ihn gebeten bloß kein Geld, aber „ein paar freundliche Zeilen“ und „vielleicht noch ein kleines Präsent“ zu hinterlegen. Die Berichte führten also in eine völlig falsche Richtung.

Diese olle Geschichte hervorzukramen, das finden Sie jetzt ungerecht? Schließlich greife jeder mal daneben?

Da haben Sie Recht. Friedrich Merz, dieser Blackrock-Manager der Liebe, der Kapitalist mit dem großen Herz und dem Bierdeckel-Fetisch, hat auch eine ganz andere Seite. Ein Gespür für die Stimmungen des einfachen Volkes. Und für die Bedrohungen, denen unsere Gesellschaft zurzeit ausgesetzt ist.

Die allergrößte Gefahr: Dass wir, also alle außer Merz, einfach zu bequem werden

„Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir uns nicht alle daran gewöhnen, dass wir ohne Arbeit leben können.“ So kommentierte er inmitten der Corona-Pandemie die Lage. Also, als sehr viele Menschen fürchten mussten, dass ihre Existenzen vernichtet werden, dass sie ins Bodenlose fallen, da war es ihm ein wichtiges Anliegen, das mal los zu werden. 

Und das ist natürlich auch wirklich zurzeit die allergrößte Gefahr, der wir als Gesellschaft ausgesetzt sind: Dass wir, also alle außer Merz, einfach zu bequem werden. Und dass Menschen, die im Gegensatz zu ihm nicht sowieso von ihren Kapitalerträgen leben könnten, denken, das Kurzarbeitergeld trage sie in eine rosige Zukunft. 

Friedrich Merz wirkt wie die fleischgewordene Schattenseite des Kapitalismus

Das ist nicht nur missverständliches Gequatsche. Das wirft ein Schlaglicht auf ein Weltbild. Friedrich Merz wirkt in solchen Momenten wie die fleischgewordene Schattenseite des Kapitalismus: Das kalte, empathielose Herz der Leistungsgesellschaft. Die Perspektive der Privilegierten. Läuft nicht bei Dir? Dann haste Dich eben nicht genug angestrengt! 

Gefragt, wo er sich einsortieren würde, in unserer Kapital-Hierarchie, da antwortete der Mann mit dem Privatflugzeug und den Millionen auf dem Konto: gehobene Mittelschicht.

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Und wenn er gefragt wird, ob er einen schwulen Bundeskanzler okay finden würde, dann sagt er sinngemäß schon mal: Och ja, wenn der nicht irgendwelche Kinder antatscht, dann ginge das schon.

Einer von uns. Spüren Sie es auch? Da sind unsere existenziellen Zukunftsfragen bestimmt in guten Händen …

Merz spricht die „Sprache junger Menschen“ – dieser Satz belegt das Gegenteil in sich selbst

Er spricht auch die „Sprache junger Menschen“, dieser famose Merz. Sagt er zumindest selbst. Und das Großartige ist: Dieser Satz belegt das Gegenteil schon in sich selbst. Die „Sprache junger Menschen“. Das klingt so onkelhaft unangenehm, dass jeder junge Mensch gut beraten wäre, schnellstmöglich Reißaus zu nehmen, wenn sich jemand nähert, der so redet. Nicht, dass man noch langweilige Bücher mit sperrigen Titeln geschenkt bekommt …

Aber natürlich stimmt es schon: Friedrich Merz hat Fans. Bei all denen, die sich eine Zeit zurückwünschen, in der „Klimawandel“ nur ein Buzzword für ein paar eingeweihte Wissenschaftler war. In der jemand mit einem Blackberry ein digitaler Vorreiter war. Und als all das Streben nach mehr Gerechtigkeit, nach Anti-Rassismus, der ganze Gender-, Gleichstellungs- und Umweltkram, dieses komplizierte und sperrige Zeugs, noch kaum einer hören wollte und die Welt einfacher war. Oder kurz gesagt: Als man Migranten noch Ausländer nannte.

CDU-Überflieger Christoph Ploß liebt Merz heiß und innig

Einer, der Merz heiß und innig liebt, ist Christoph Ploß. Der junge Überflieger der Hamburger CDU setzt ganz auf den konservativen Schneid. Schluss mit der Anbiederung an die Grünen, Schluss mit der merkelschen Vernunft und dem Ausgleich. Warum nicht mal wieder Law and Order predigen? So, als wäre die Kriminalität unser zentrales Problem zurzeit.

Tja, das ist es offenbar, was das konservative Lager jenseits des „Establishments“ in der Union sich als Weg in die Zukunft vorstellt: eine Zeitreise zurück in die 90er. Mit einem Herzlos-Onkel am Steuerknüppel. Gruselig. Und es ist noch nicht mal Halloween.

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