Anti-Verzichts-Ethik von Scholz: Ein Bärendienst für den Klimaschutz
Olaf Scholz propagiert einen rein technischen Klimawandel, der ganz ohne persönlichen Verzicht auskommt. Auch die Hamburger Grünen mahnen selten zum Konsumverzicht, um ihre überdurchschnittlich wohlhabende und konsumfreudige Wähler:innenschaft nicht zu verprellen. Doch damit tun sie niemandem einen Gefallen, schreibt MOPO-Kolumnist Marco Carini.
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Olaf Scholz propagiert einen rein technischen Klimawandel, der ganz ohne persönlichen Verzicht auskommt. Auch die Hamburger Grünen mahnen selten zum Konsumverzicht, um ihre überdurchschnittlich wohlhabende und konsumfreudige Wähler:innenschaft nicht zu verprellen. Doch damit tun sie niemandem einen Gefallen, schreibt MOPO-Kolumnist Marco Carini.
Diese Woche erzählte mir der Chef eines Altonaer SPD-Ortsvereins, dass er von den Ausführungen des Kanzlers auf dem SPD-Parteikonvent Anfang November sehr angetan sei. Olaf Scholz habe eindrücklich klargemacht, wie Deutschland gegen den Klimawandel voranschreiten müsse. Sei erst mal die Stromversorgung auf Wind und Sonne umgestellt und der Verkehr elektrifiziert, lebe man automatisch klimaneutral. Deshalb sei auch kein individueller Verzicht nötig. Was den Altonaer Genossen sehr beruhigte.
Beruhigendes Mantra für Hamburger Wähler
Das Scholz’sche Mantra ist uralt. Schon in den 1990er Jahren vertrat Hamburgs erster Umweltsenator, Fritz Vahrenholt (SPD), die These, dass man mit technischem Umweltschutz alle bekannten Öko-Probleme in den Griff bekommen werde. Ein Vierteljahrhundert später stehen wir nun vor dem Scherbenhaufen dieser Ideologie.
Scholz’ aufgewärmte Botschaft ist wissenschaftlich kaum haltbar. Fast alle seriösen Forschungsinstitute betonen einhellig: Wir können unseren Wohlstand und Konsum aus Klimaschutzgründen nicht halten oder gar weiter steigern – auch nicht mit grünen Technologien. Und wenn wir den armen Ländern zugestehen, wirtschaftlich aufzuholen, dann werden wir zeitgleich gewaltig abspecken müssen.
Zudem wird es noch Jahrzehnte dauern, bis genügend Strom aus Sonne und Wasser zur Verfügung steht. Doch die Wissenschaft ist sich einig, dass wir sofort auf die Bremse treten müssen, wenn wir die Erderwärmung und ihre katastrophalen Folgen noch halbwegs in den Griff bekommen wollen. Olaf Scholz’ Energiewende dürfte da viel zu spät kommen.
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So kommt die Hamburger Soziologin Anita Engels, die die gesellschaftlichen Voraussetzungen untersucht hat, die es für eine Eindämmung des Klimawandels braucht, zu ganz anderen Ergebnissen als Scholz: „Die Menschen müssten ihren gewohnten Alltag sehr stark einschränken, zumindest in den wohlhabenden Industrieländern. Sie müssten ganz auf Flugreisen verzichten oder sie zumindest auf das absolute Minimum reduzieren, ihre Ernährung umstellen, womöglich eine kleinere Wohnung beziehen.“ Doch genau davon will der Klimakanzler nichts hören.
Reserven des Planeten sind begrenzt
Dabei gilt das, was für die Energie gilt, auch für Rohstoffe und Wasser – die Reserven dieses Planeten sind begrenzt. Heute verbraucht jeder Hamburger im Schnitt fast zehnmal so viel CO₂, wie es dem Planeten zuträglich ist. „Es kann aber nicht darum gehen, dass künftig alle Elektroautos fahren und ansonsten weiterleben wie bisher“, bringt es Tabea Lissner vom Wissenschaftsteam von Climate Analytics in Potsdam auf den Punkt. Ein gutes Beispiel: E-Autos fressen Strom, den es in diesen Mengen als Öko-Strom gar nicht gibt, verbrauchen in der Produktion mehr Rohstoffe als ein Benziner und ändern am Verkehrskollaps in den Städten rein gar nichts.
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Doch nicht nur Scholz mag das Thema Konsumverzicht nicht anpacken. Auch die Hamburger Grünen mahnen selten zum Konsumverzicht, um ihre überdurchschnittlich wohlhabende und konsumfreudige Wähler:innenschaft nicht zu verprellen. Eine repräsentative Studie von Hamburg Energie zeigt auf, dass 85 Prozent der Hamburger glauben, mit dem Verzicht auf Flugreisen und Fleisch oder dem Bezug von Ökostrom etwas für den Klimaschutz tun zu können. Drei Vierteln der 18- bis 39-Jährigen ist bewusst, dass sie ihr Verhalten ändern müssen – sie aber sind seltener bereit als die Älteren, konkret zu handeln.
Genau diese Haltung verstärkt die Anti-Verzichts-Ethik von Scholz. Sie verhindert das notwendige Umdenken und Umlenken. Darum ist sie ein Bärendienst für den Klimaschutz. Nur wenn alle einsehen, dass wir unser Leben umkrempeln müssen, wird sich auch die Politik verändern und unangenehme Wahrheiten nicht mehr verschweigen.