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Cansu Özdemir sitzt seit 2011 für die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft.
  • Cansu Özdemir sitzt seit 2011 für die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft.
  • Foto: Karin Desmarowitz, www.karindesmarowitz.de

Immer mehr Morde: Mit diesem Begriff machen wir Gewalt gegen Frauen sichtbar

Kommentar –

Sehen wir uns heute? Um 12.30 Uhr stehen wir vor dem Oberlandesgericht Hamburg. Weil Meryem S. Unterstützung braucht und ihre beiden Kinder auch. Heute muss die junge Frau nämlich aussagen im Prozess gegen ihren Ex-Mann. Anfang Mai 2020 hatte der in Lurup versucht, Meryem S. und die Kinder zu ermorden. Er stach mit einem Messer auf sie ein, zündete sie und die Kinder an. Meryem S. und ihre Kinder überlebten. Heute kämpft sie vor Gericht für Gerechtigkeit. Heute, am Internationalen Frauentag.

Leider sind solche Taten kein Einzelfall: In Deutschland gibt es jeden Tag einen Tötungsversuch an einer Frau. Jeden dritten Tag gelingt der auch. Allein in Hamburg und Umland sind in diesem Jahr bereits sechs Frauen getötet worden. Sechs tote Frauen – und wir haben gerade Anfang März!

Die Zahl der Vergewaltigungen, Nötigungen und sexuellen Übergriffe in besonders schwerem Fall stieg um 35,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Noch ein paar Zahlen? Die Anzahl der schweren Sexualdelikte stieg um 3,9 Prozent. Die Zahl der Opfer von Partnerschaftsgewalt ist im Vergleich zum Vorjahr um neun Prozent gestiegen. Und, kaum überraschend: Während der Corona-Pandemie sind die Zahlen bei Gewalt gegen Frauen noch mal erheblich gestiegen, erreichen in der jüngsten Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) den höchsten Stand seit zehn Jahren.

Meinung: Gewalt gegen Frauen sichtbar machen!

Und dabei deckt die PKS nur das „Hellfeld“ ab – also die zur Anzeige gebrachten Straftaten. Wir können sicher sein, dass das Dunkelfeld noch wesentlich größer ist. Opfer von häuslicher Gewalt trauen sich nämlich viel zu oft gar nicht erst, den Täter anzuzeigen – aus Angst vor noch mehr Gewalt.

Dieser Trend ist katastrophal. Dennoch wird das Phänomen viel zu oft kleingeredet und kleingeschrieben. Da steht dann in den Schlagzeilen so was wie „Ehedrama“, „Eifersuchtsdrama“ oder „Partnerschaftsstreit“. Dabei haben all diese Floskeln eines gemeinsam: Sie verharmlosen und verschleiern die strukturelle Gewalt gegen Frauen. Und, viel schlimmer: Sie geben dem Opfer eine Art Mitschuld.

Diese Taten sind „Femizide“

Darum müssen wir das Problem endlich beim Namen nennen: Diese Taten sind Femizide! Femizid steht für die Tötung von Frauen, weil sie Frauen sind. Der Begriff verharmlost nicht und er verdeckt auch nicht die mörderische, die strukturelle Gewalt gegen Frauen. Um einen Femizid handelt es sich etwa, wenn eine Frau von ihrem Partner getötet wird, weil sie ihn verlassen hat. Wenn sie vergewaltigt und anschließend umgebracht wird. Wenn Familienmitglieder ihre Töchter oder Schwestern umbringen, weil diese eigene Entscheidungen treffen wollten. Bedrückend oft steht die Tötung der Frau am Ende einer langen gewaltvollen Geschichte.

Mehr noch: All diese Taten geschehen vor dem Hintergrund einer allgemeinen Abwertung und Unterdrückung von Frauen. Es ist ein mit Gewalt aufgeladenes System, das die Ungleichbehandlung und eben auch ein hierarchisches Geschlechterverhältnis aufrechterhält. Und eine Erkenntnis fürs Stammbuch „besorgter“ Bürger:innen: Gewalt gegen Frauen wird viel eher als Problem anerkannt, wenn sie sich vermeintlich religiösen und ethnischen Minderheiten zuordnen lässt. Dabei gibt es diese Gewalt in allen gesellschaftlichen Gruppen. Und sie muss überall bekämpft werden.

Das Wort Femizid muss anerkannt werden

Wie kann dieser Kampf aussehen? Erst mal müssen Femizide wirklich sichtbar gemacht werden. Das heißt aber auch, dass in der Öffentlichkeit endlich das Wort Femizid anerkannt und genutzt wird. Die Linksfraktion fordert in der Bürgerschaft die Einrichtung einer Monitoring-Stelle für Femizide in Hamburg. Das Ziel: Daten zu Tötungen von Frauen sollen gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet werden. So bekommen wir die Grundlage für zielgenaue Präventionskonzepte.

Doch auch jetzt schon gibt es die Chance, Frauen besser zu schützen. Die laufenden Hamburger Haushaltsberatungen sind eine Gelegenheit, um die personellen und finanziellen Ressourcen der Hamburger Frauenhäuser und der Anlauf- und Beratungsstellen vernünftig aufzustocken.

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Auch wichtig: eine stärkere juristische Ahndung geschlechtsbezogener Gewalt! Oft werden Femizide nicht als Morde eingestuft, sondern als Totschlag. Die Täter eines Femizids werden oft milder verurteilt, weil ihnen Verlustangst und Eifersucht als strafmildernde Motive zugebilligt werden. Und das ist dann genauso eine Verharmlosung wie die Wischi-Waschi-Schlagzeilen von „Ehedramen“. Was am heutigen Frauentag gilt – und auch an den 364 anderen Tagen des Jahres: Keine Frau darf mehr Opfer von Gewalt werden! 

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