Transsexualität: Wie meine Tochter mein Sohn wurde – ein Vater erzählt
Mussten Sie schon mal bei Behörden, Krankenkassen oder Vereinen fremden Personen erklären, warum Ihr Vorname oder der Ihres Kindes ein anderer ist als im offiziellen Ausweis? Es ist ein quälender Vorgang. Den eigentlich abgelegten Namen des Kindes immer wieder verwenden zu müssen – für Menschen, die keine trans*-Personen kennen, ist wohl nur schwer nachzuvollziehen, wie belastend das ist. Seit mein trans*-Sohn sein Coming-out hatte, habe ich mich viel mit dem Komplex beschäftigt, viele Wissenslücken aufgefüllt. Und er? Wirkt seitdem wie befreit. Für uns wäre das geplante Selbstbestimmungsgesetz eine riesige Erleichterung.
Mussten Sie schon mal bei Behörden, Krankenkassen oder Vereinen fremden Personen erklären, warum Ihr Vorname oder der Ihres Kindes ein anderer ist als im offiziellen Ausweis? Es ist ein quälender Vorgang. Den eigentlich abgelegten Namen des Kindes immer wieder verwenden zu müssen – für Menschen, die keine trans*-Personen kennen, ist wohl nur schwer nachzuvollziehen, wie belastend das ist. Seit mein trans*-Sohn sein Coming-out hatte, habe ich mich viel mit dem Komplex beschäftigt, viele Wissenslücken aufgefüllt. Und er? Wirkt seitdem wie befreit. Für uns wäre das geplante Selbstbestimmungsgesetz eine riesige Erleichterung.
Gewusst habe er es bereits seit zwei Jahren, sagt mir mein Sohn. Nennen wir ihn Tim. Gewusst, dass er kein Mädchen ist, sondern ein Junge. Wenn ich mir heute Fotos aus den vergangenen Jahren anschaue, auf denen man mich einst mit meiner Tochter fotografiert hat, sehe ich jetzt darauf neben mir einen jungen Mann. Als wäre mein Blick heute geschärft.
Einzelne Erlebnisse und Eindrücke, die mich damals irritierten, aber die ich nicht richtig einsortieren konnte, ergeben plötzlich Sinn. Damals passten Puzzleteile nicht ineinander, heute ergeben sie ein klares Bild.
„Mein ,Mäuschen‘ von damals ist jetzt ein junger Mann“
Zugegeben: Erst fiel es mir nicht leicht, mich auf „ein Gefühl“ zu verlassen und mich daran zu gewöhnen. Aber heute ist es glasklar: Mein „Mäuschen“ von damals ist zu einem 17-jährigen jungen Mann geworden. Und zum Glück kennt Liebe keine Geschlechter. Wir sind sehr stolz auf unseren „neuen“ Sohn. Auch wenn es sich immer wieder mal, aber immer seltener seltsam anfühlt.
„Wie war das, als du gemerkt hast, dass deine Geschlechtsidentität nicht zu deinem biologischen Geschlecht passt?“, frage ich Tim. „Scheiße“, antwortet er in norddeutscher Ausführlichkeit. Alles nur eine Phase? Den Gedanken hatte ich. Natürlich. Daran hielt ich mich sogar fest. Aber nach und nach habe ich verstanden, dass ich mich nicht selbst belügen kann. Mein Sohn ist sich verdammt sicher. Und sein Weg ist nicht so ungewöhnlich: Wir tauschen uns mit anderen Eltern von trans*-Jugendlichen aus, lesen Erfahrungsberichte, hören Podcasts. Viele der dort geschilderten Dinge ähneln dem, was Tim uns sagt.
„Nein, unser Kind ist nicht krank“
Zeit für Selbstmitleid können und wollen wir uns nicht leisten. Unser Kind ist nicht krank, Transidentität ist eine Variante, keine Krankheit. Aber die Umstände und Ablehnung können trans*-Personen krank machen. Wir lernen, wie elementar wichtig es ist, den neuen Namen und die richtigen Pronomen zu benutzen. Er. Ihn. Tim.
Doch wir leben in der Corona-Zeit: testen, impfen, Ausweise zeigen. Auf den Papieren steht noch der alte Name. „Deadname“ sagen viele trans*-Personen dazu. Das klingt schrecklich. Ein Bekannter klärt mich auf: „Wenn jemand diesen Namen benutzt, stirbt etwas in mir“, sagt er. Ich erlebe, wie mein Sohn zusammenzuckt, wenn sein alter Name fällt. Und das passiert ständig, wenn man so oft mit Papieren hantieren muss.
Beim FC St. Pauli gilt schon der neue Name
Es gibt Hilfsmittel: Wir beantragen bei der „Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität“ einen Ergänzungsausweis. Darauf steht der neue Name – und damit können wir bereits einige Papiere ändern. Die wichtigen Dinge zuerst: die Mitgliedschaft beim FC St. Pauli beispielsweise. Auch in der Schule trägt Tim seinen neuen Namen. Es gibt keine Probleme bei diesem Schritt. Danke, liberales Hamburg, darum lieben wir diese Stadt.
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Doch der Weg zu einer Änderung des Namens und des rechtlichen Geschlechts in den offiziellen Dokumenten ist lang – und viele trans*-Personen empfinden die Beantragung und Überprüfung, die Befragungen und Prozeduren – festgeschrieben im Transsexuellengesetz – als demütigend. Sie sind einen schweren Weg gegangen, sich zu finden, anzuvertrauen, zu öffnen. Vielen schlägt Ablehnung entgegen; trans*-Menschen gehören zu den am stärksten bedrohten Minderheiten.
Widerstand gegen trans*-Gesetz der Ampelkoalition
Die neue Regierung will ihnen das Leben erleichtern. Doch gegen das neue Gesetz kommt Gegenwind auf. Nicht nur – wie zu erwarten – von ganz rechts, sondern zusätzlich aus einer bestimmten feministischen Ecke. „Emma“-Herausgeberin Alice Schwarzer und ihre Mitstreiterinnen sehen in dem Selbstbestimmungsgesetz offenbar ein gefährliches Vorhaben, weil trans*-Frauen keine echten Frauen seien, sie sehen Frauen sogar durch trans*-Frauen bedroht. Beispielsweise in Frauenhäusern oder im Gefängnis oder auf der Toilette. Die Überlegung dahinter: Männer könnten sich als trans*-Frauen ausgeben, um andere Frauen zu attackieren.
Eine wackelige Theorie, denn es braucht keine Namensänderung, um eine Toilette zu betreten. Für die Unterstellung, trans*-Frauen könnten andere Frauen im Gefängnis oder in einem Frauenhaus gefährden, werden einzelne Fälle von Sexualstraftaten aus den USA und Kanada bemüht und verallgemeinert.
Feministin Alice Schwarzer attackiert trans*-Frauen
Die meisten queeren und feministischen Organisationen sowie trans*-Personen sprechen bei dieser Strömung von TERF: Trans-Exclusionary Radical Feminism, auf Deutsch: Trans-ausschließender radikaler Feminismus. Diese oft unsachlichen TERF-Attacken gegen mehr Rechte für trans*-Menschen haben in Großbritannien und Skandinavien bereits konkrete Konsequenzen gehabt. In Großbritannien wurde ein geplantes Gesetz, das trans*-Personen mehr Rechte bringen sollte, gestoppt. Dieses Ziel haben die trans-ausschließenden Feministinnen nun auch in Deutschland ausgegeben.
Diese Attacken machen uns wütend. Die Gegnerinnen und Gegner des Selbstbestimmungsgesetzes bringen trans*-Menschen kurzerhand mit Sexualstraftaten in Verbindung, um Ängste zu schüren. Sie sprechen meinem Sohn ab, seine Geschlechtsidentität selbst bestimmen zu dürfen, und wollen verhindern, dass er im ersten Schritt seinen Namen und das rechtliche Geschlecht anpassen kann. Dabei bedeutet das für trans*-Menschen extrem viel. Ob sie weitere Schritte gehen, etwa Hormontherapien oder operative Angleichungen, das geht Staat und Öffentlichkeit sowieso schon mal gar nichts an. Oder fragen Sie andere Personen erst einmal nach ihren Genitalien? Eben.
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Die Gegner des Selbstbestimmungsgesetzes suggerieren, es sei eine Art Mode, zwischen den Geschlechtern hin und her zu wechseln. Sie sollten trans*-Personen genau zuhören: Ihr Weg ist nicht leicht – und die Vorurteile und Attacken machen es noch schwerer. Daher ist das Selbstbestimmungsgesetz so wichtig: Für die betroffenen Menschen, aber auch für einen Rechtsstaat, dessen wichtigster Grundsatz lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Das gilt auch und gerade für trans*-Menschen.