Abrisswahn in Hamburg: Hört auf, alte Gebäude plattzumachen!
In Zeiten extrem steigender Immobilienpreise fallen regelmäßig prachtvolle Altbauten den Baggern zum Opfer. MOPO-Reporter Thomas Hirschbiegel ärgert sich über den Abrisswahn in Hamburg – jetzt lesen mit MOPO+: zum Testpreis von nur 99 Cent in den ersten vier Wochen!
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In Zeiten extrem steigender Immobilienpreise fallen regelmäßig prachtvolle Altbauten den Baggern zum Opfer. MOPO-Reporter Thomas Hirschbiegel über den Abrisswahn in Hamburg.
Wir bei der MOPO haben immer mit Sympathie über Menschen geschrieben, die für alte Häuser kämpfen. Auch Hausbesetzer kamen bei uns oft gut weg und wurden nicht wie früher bei anderen Zeitungen üblich als „Chaoten“ bezeichnet. Immerhin ist es ihren Aktionen zu verdanken, dass so mancher Altbau noch steht. Das MOPO-Team hat aber auch selbst für den Erhalt wichtiger Bauwerke gekämpft. Beim Europa Haus am Ballindamm sammelten wir vor 20 Jahren sogar 3200 Unterschriften für den Erhalt. Der Autor dieser Zeilen hat 2017 einen Standpunkt geschrieben und den Erhalt des Deutschlandhauses am Gänsemarkt gefordert. Und was hat das alles gebracht? So gut wie nichts! Und es ist immer noch frustrierend, wie Senat und Bauherren hier mit Altbauten umgehen. Wir geben aber die Hoffnung nicht auf, dass sich irgendwann etwas ändert.
Abrisswahn in Hamburg: Denkmalschutz-Chefin ist zufrieden
Für Anna Joss ist die Welt in Ordnung, stolz verweist die Leiterin des Hamburger Denkmalschutzamts darauf, dass auf der Denkmalliste 15.300 Objekte gelistet sind. Ca. 1100 Anträge auf „denkmalrechtliche Genehmigungen“ würden jährlich von den 43 Mitarbeitern bearbeitet. In 97 Prozent dieser Fälle, beispielsweise Umbauten oder Sanierungen, würden problemlos Lösungen gefunden. Und nur etwa zehn Denkmäler verschwinden jedes Jahr. Doch das sind zehn zu viel!
- Florian Quandt ABGERISSEN: Der „City-Hof“ mit seinen vier Hochhäusern am Klosterwall wurde 1958 fertiggestellt und 2013 unter Denkmalschutz gestellt. Der Senat setzte sich darüber hinweg und 2019 begann der Abbruch. Derzeit wird hier das „Johann Kontor“ gebaut.
- Gärtner ... Für das EKZ abgerissen wurde das „Europahaus“ von 1913 des Architekten George Radel.
- Florian Quandt GEFÄHRDET: Große Pläne, keine Taten. Den fast 70 Jahre alten Wasserturm auf dem Altonaer Bahngelände ließ die Stadt jahrelang verfallen. Dabei soll er beim zweiten Bauabschnitt (1900 Wohnungen) der „Neuen Mitte Altona“ Wahrzeichen des neuen Viertels werden. Die Stadt will den Turm jetzt plötzlich retten. Es könnte aber zu spät sein.
- Florian Quandt ABGERISSEN: Die Gebäude des mehr als 100 Jahre alten Walzwerks Dittmann am Billbrookdeich 167 wurden 2005 unter Denkmalschutz gestellt. Weil „überwiegende öffentliche Interessen“ bestünden, wurde es 2019 trotzdem abgerissen und ein Hermes Logistikzentrum gebaut.
- Florian Quandt GEFÄHRDET: Nach langem Leerstand ist der Zustand der 100 Jahre alten Backsteinvilla Beselerstraße 10 (Groß Flottbek) desolat. Trotz Denkmalschutzes droht der Abriss.
- Florian Quandt Gefährdet: Das 1906 errichtete „Mausoleum Schröder“ ist eines der eindrucksvollsten Bauwerke auf dem Friedhof Ohlsdorf. Es steht unter Denkmalschutz, doch der Friedhof hat kein Geld für seine Sanierung, obwohl Einsturzgefahr besteht.
Das zerstören wertvoller Bausubstanz hat in Hamburg Tradition. Schon 1976 wurde der herrliche Altonaer Bahnhof von 1898 abgerissen. Oder das historische Schröderstift am Bahnhof Schlump, von dem heute nur noch ein Fragment erhalten ist. Gleich nebenan mussten in den 1970er Jahren kaiserliche Kasernenbauten im Bereich Bundesstraße (Rotherbaum) unsäglichen Uni-Bauten weichen. Das ist lange her, aber bis zum heutigen Tage wird sich am historischen Stadtbild versündigt.
Erhalt eines Baudenkmals teurer als ein Neubau
Warum? Ganz einfach – der Erhalt eines Baudenkmals ist teuer, oft teurer als ein Neubau. Grob kann man sagen, dass der Erhalt eines Altbaus ein Viertel mehr kostet als ein neues Gebäude. Und bei einem Neubau entstehen oft auch noch mehr Quadratmeter Fläche. Es geht also für Investoren um viel Geld.
Das Deutschlandhaus von 1929 am Gänsemarkt ist ein Beispiel, dass den Bauherren die Sanierung zu teuer war. Immerhin erwies Architekt Hadi Teherani dem Vorgängerbau Respekt, als er seinen Entwurf am Altbau orientierte. Beim missratenen Entwurf für die Europa-Passage war ihm das noch nicht gelungen. Das alte Walzwerk an der Bille wiederum wurde 2017 geopfert, damit Hermes dort ein „formschönes“ Logistikzentrum errichten konnte. Dieses verschwundene Industriedenkmal stand unter Schutz. Aber die Familie Otto, der Hermes gehört, hat ausgezeichnete Kontakte ins Rathaus. 2013 fielen die historischen Genossenschaftsbauten auf der Peute dem Abrissbagger zum Opfer. Erst vor Kurzem traf es eines der letzten historischen Kontorhäuser am Hafenrand. Die Liste ließe sich durch diverse Villen, Gründerzeithäuser oder Fabriken ergänzen, die in den vergangenen Jahren verschwunden sind.
Als nächstes dran ist die 175 Jahre alte Commerzbank-Zentrale am Neß in der City. Hier lässt sich die Stadt von privaten Investoren vorführen, die wie fast immer einen gesichtslosen Neubau planen.
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Aber auch wenn Hamburg selbst Eigentümer gefährdeter Bauten ist, geschieht viel zu wenig. Nach sieben Jahren Verfall merkt Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) jetzt plötzlich, dass der Wasserturm auf dem Altonaer Bahngelände akut gefährdet ist, und will ihn nun retten. Glückwunsch, Herr Senator!
Friedhof Ohlsdorf lässt Mausoleum verfallen
Oder das herrliche Mausoleum Schröder auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Der Ex-SPD-Politiker Johannes Kahrs hatte vor Jahren in Berlin etliche Millionen für die Sanierung historischer Bauten auf dem größten Parkfriedhof der Welt lockergemacht. Doch die Friedhofsleitung will damit nur ihr Museum, die Verwaltung und einige Kapellen sanieren. Das Mausoleum aber ist akut einsturzgefährdet. Die Liste ließe sich beliebig verlängern.
Aber so lange ich bei der MOPO schreibe, gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass Senat, Bezirke oder Investoren irgendwann umdenken und auf mahnende Stimmen, wie der sich seit Jahren aufopferungsvoll engagierenden Kristina Sassenscheidt vom Denkmalverein, hören. Und die Architektin sagte der MOPO einen klugen Satz: „Denkmalschutz ist angewandter Klimaschutz, weil er CO2 spart und Ressourcen schont.“