Die perfekte Taktik: Warum an Olaf Scholz nichts hängen bleibt
Cum-Ex, Wirecard, FIU: Ein engagierter Laschet hat’s im Triell noch mal mit allem probiert. Doch die Umfragen zeigen: An Scholz bleibt nix hängen. Das liegt an einer von ihm lange perfektionierten Technik.
„Seitdem ich das Stück im ‚Spiegel‘ über Laschet gelesen habe, habe ich Mitleid mit ihm“, sagt meine Frau, als das Triell beginnt. Und mehr muss man vermutlich nicht wissen, um zu einer realistischen Einschätzung des wahrscheinlichsten Wahlausgangs zu kommen. Laschet hat sich aufgebäumt, er war gut in dieser Fragerunde am Sonntagabend. Aber das reicht eben nicht gegen einen Olaf Scholz, der inzwischen ganz „im Flow“ ist und dem das Selbstbewusstsein in der Erwartung seines größten Triumphs inzwischen bereits zu den Ohren herauszukommen scheint.
Diese Geschichte im „Spiegel“, es geht um das Porträt eines Mannes, dem die Felle wegschwimmen. Das Stück sagt zusammengefasst über den Unions-Kandidaten: Nett ist Laschet ja eigentlich. Und integer auch irgendwie. Aber verbockt hat er’s. Es gibt diese Szene, in der die Autoren schildern, wie eine Reporterin Laschet fragt, was er als Erstes anpacken wolle, wenn er gewählt wird. Er nennt zwei Dinge. Und dann fragt sie: „Und was noch?“ Und ihm fällt nichts ein.
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Schwer vorstellbar, dass ein solch fataler Blackout Scholz passieren könnte.
Am Sonntag, in dem konfus moderierten Triell der Öffentlich-Rechtlichen, zeigte Scholz, dass er eine Kernkompetenz seiner medialen Selbstpräsentation inzwischen perfektioniert hat: Vorwürfe gegen sich mit konsequenter Laberei über die eigene Großartigkeit wegfeudeln. Das klingt jetzt so banal und negativ, aber in der küchenpsychologischen Betrachtung ist es faszinierend.
Cum-Ex und Wirecard? Ausgeschwitzt!
Cum-Ex und Wirecard? Ich bin mir sicher: Das hat er seit Sonntag endgültig ausgeschwitzt. Laschet hatte diese Anschuldigungen bestmöglich vorgetragen. Das richtige Maß an empörtem Grundton: Steuern verschwendet, kleine Leute zahlen die Zeche. Pflicht verletzt. So was. Das lief ganz gut an. Und Laschet ging dann auf die Durchsuchung wegen der vermuteten Unregelmäßigkeiten bei der Sondereinheit der Geldwäschejäger des Zolls ein: Und dann auch noch Steuersünder nicht anständig jagen!
„An Ihrer Frage merkt man, wie sehr Sie unehrlich sind“, erwidert Scholz. Der Großmeister des Stoizismus fährt sich mal kurz hoch. Wohldosiert, natürlich. Die Ohren leuchten, die Körperspannung steigt. Und dann geht es ein bisschen hin und her, bis keiner mehr so ganz schnallt, was nun da passiert ist mit der Staatsanwaltschaft in Köln und in Berlin und so. Und dann sagt Scholz: „Wir haben Unglaubliches erreicht.“ Und erzählt einfach immer und immer wieder in einfachen Hauptsätzen und mit einfachen Zahlen, wie toll er die Behörde ausgebaut hat und wie stolz er darauf ist.
Im Duktus ist er dabei ein bisschen großmäulig, aber nicht zu doll. Besserwisserisch, aber nur ein bisschen. Alles genau so viel, wie es bestmöglich einzahlt aufs Image des vernünftigen, unbeirrbaren, durchsetzungsstarken Machers.
Teflon-Taktik perfektioniert
Jeder, der Scholz’ Werdegang verfolgt, kennt diese Teflon-Taktik aus dem Effeff. Aber noch nie war er so gut darin.
Diese Art des Umgangs mit Kritik, diese Verweigerung des Sich-Einlassens, finde ich schrecklich. Aus journalistischer Sicht sogar grauenvoll. Interviews mit Scholz stellten sich wegen der meist roboterhaften Gestanztheit seiner Sätze im Nachhinein oft als überflüssig heraus.
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Aber je länger dieser Wahlkampf läuft, desto mehr staune ich über das Ausmaß der Professionalität, die er dabei erreicht hat. Er redet flüssig, ohne ständiges Stocken und lange Grübel-Pausen. Seine berüchtigten Bandwurmsätze, die plötzlich im Nichts endeten, wurden zu griffigen Slogans. Er wirkt sogar lebensnah, spricht Wähler direkt an. Scholz galt früher als abgehoben, jetzt strahlt er souveräne Gelassenheit aus.
Scholz wirkt in manchen Bereichen hochbegabt. Zum Beispiel darin, die Dinge aufs Wesentliche herunterzubrechen, Also: auf das, was die Leute nach Scholz‘ Meinung für das Wesentliche halten. 12 Euro Mindestlohn. Das ist mal was Handfestes. Rhetorisch zwar eher leblos, aber stets blitzsauber konstruiert er so den Eindruck des klaren und seriösen Politikers. Prioritäten im Blick. Intellektuell auf der Höhe.
Baerbock ist gut in Form. Zu Spät.
Annalena Baerbock übrigens, die in diesem Text noch gar nicht vorkam, war am Sonntag in sehr guter Form. Sie war schnell, menschlich, fachlich voll da, fair und spontan und souverän. Sie war aus meiner Sicht die Beste in der Runde. Aber es ist für sie zu spät.
Laschet war engagiert, klar, gut vorbereitet. Aber zwischen all dem blitzt hervor, was jeder zu spüren scheint: Das wird nix mehr mit einem Wahlsieg. Und da sind wir wieder beim Mitleid.
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Mitleid ist für die Kandidat:innen das tödlichste Gift. Die Leute suchen jemanden, dem sie Dinge zutrauen können. Der das jetzt mal regelt mit dem Klimawandel (aber ohne ihnen wehzutun). Der dafür sorgt, dass es gerecht zugeht in diesem Land (aber ohne ihnen doll wehzutun, sollten sie Besserverdiener sein). Jemand, der den Putins und Erdogans gegenübertreten kann und sich nicht über den Tisch ziehen lässt.
Scholz hat genau auf diese Anforderungen eingezahlt mit Programm und Kampagne. Die SPD ist konkreter als die Union. Sie hat zurzeit am ehesten „Die Mitte“ im Blick. Und ihr Kandidat hat es mit Laschets und Baerbocks Mithilfe geschafft, dass klar der Eindruck im Raum steht, er sei dafür der bestgeeignete Kandidat.
Ich wette: Das Einzige, was Scholz die Kanzlerschaft jetzt noch nehmen könnte, sind die Untiefen der komplexen Koalitions-Lage. Aber das ist wohl vorerst noch kein Grund für Mitleid.