• Dieses Bild ging um die Welt: Ein spanischer Polizist rettet in letzter Sekunde ein Baby aus dem Mittelmeer. 
  • Foto: picture alliance/dpa/Guardia Civil

„Alle sind verantwortlich!“: Die Migrationskrise und was Hamburg jetzt tun muss

Standpunkt –

Ein spanischer Polizist rettet einen Säugling in letzter Sekunde aus den Fluten des Mittelmeers. Eine freiwillige Rotkreuz-Mitarbeiterin versorgt einen senegalesischen Mann, der kaum noch laufen kann – ihre Umarmung spendet dem Überlebenden Trost und berührt uns alle. Die Bilder aus der spanischen Exklave Ceuta gehen um die Welt. Diese Bilder zeigen pure Menschlichkeit und einen Zusammenhalt, den wir uns alle aus tiefstem Herzen wünschen.

Die Bilder zeigen uns, was selbstverständlich ist und deshalb mit unserem eigenen Selbstverständnis in Einklang steht. Und doch zeigen sie uns eine Wirklichkeit, die mit der täglichen Realität leider nichts mehr zu tun hat.

Für jede glückliche Rettung in letzter Sekunde kam tausenden Menschen auf dem Mittelmeer niemand mehr zu Hilfe. Die Politik der EU-Staaten ist nicht einfach nur unsolidarisch. Staatliche Akteure agieren immer gewalttätiger und skrupelloser gegen Geflüchtete, um die Anzahl der Ankünfte in Europa zu reduzieren. Warum halten Politiker:innen so sehr daran fest, dass Brutalität, Abschottung und Abschreckung gegen Schutzsuchende erforderlich sind?

Gorden Isler: Die Migrationskrise und was Hamburg jetzt tun muss

Wer könnte jemals vergessen, was Hamburgs Bürger:innen in den vergangenen Jahren leisteten, als schutzsuchende Menschen täglich den Hamburger Hauptbahnhof erreichten? Wer könnte vergessen, wie tausende Hamburger:innen am Boden vor dem Rathaus lagen und eine Minute schwiegen, um den Bürgermeister dazu aufzufordern, dass Hamburg dem Bündnis sicherer Häfen beitritt? Und wir wurden sicherer Hafen, so wie rund 250 andere deutsche Städte und Kommunen.

Doch welches politische Handeln, welche konkreten Maßnahmen leiten sich daraus ab? Die humanitäre Krise wurde inzwischen an die Außengrenzen gedrängt. Die Probleme erscheinen deshalb in Hamburg nicht mehr so dringlich. Die Zuständigkeit wird in Berlin verortet. Berlin sieht die Zuständigkeit in Brüssel. Brüssel sieht die Zuständigkeit bei den EU-Mitgliedsstaaten – und schon stehen wir wieder am Anfang. Wer ist verantwortlich, wenn niemand Verantwortung übernehmen will?

Sea Eye in Rostock

Die „Sea-Eye 4“ ist das neueste Schiff der Hilfsorganisation „Sea-Eye“. 

Foto:

picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Alle sind verantwortlich! Es gilt jetzt, solidarisch zu sein, denn nur, wenn wir solidarisch sind, können wir die EU selbst retten. Ich behaupte heute, dass der politische Umgang mit der sogenannten Migrationskrise das Vertrauen in die EU schwer beschädigt hat und die EU, so wie wir sie heute noch kennen, zerstören kann.

Mittelmeeranrainer werden von EU-Staaten im Stich gelassen

Die Mittelmeeranrainerstaaten werden von den anderen EU-Staaten im Stich gelassen. Allein aufgrund der geografischen Lage sehen sich Italien, Malta, Griechenland, Zypern und Spanien einer steigenden Anzahl von Ankünften schutzsuchender Menschen ausgesetzt. Die fehlende Solidarität der anderen EU-Staaten hilft rechten bis rechtsradikalen Politiker:innen in Südeuropa bei der Karriereplanung.

Spätestens im Mai 2023 werden wir Parlamentswahlen in Italien sehen. Ein Albtraum könnte wahr und Matteo Salvini Ministerpräsident werden. Ich glaube, dass wir das nur verhindern können, wenn wir die Italiener:innen davon überzeugen können, dass Europa mehr zu bieten hat als die einfachen Antworten eines rechten Verführers, der scham- und hemmungslos Rassismus und antieuropäische Narrative reproduziert. Es braucht jetzt unmissverständliche, solidarische und europäische Signale.

Hamburg könnte auf betroffene Städte zugehen

Solche Signale wünsche ich mir auch von hier, aus meiner Heimatstadt im Herzen Europas. Hamburg könnte auf betroffene Städte in Europas Süden zugehen, konkrete Hilfe anbieten, Partnerschaften eta­blieren und andere deutsche Städte bitten sich anzuschließen.

Im Rathaus kann der Rahmen für ein Hilfsprogramm entstehen, dem sich die Hamburger Bürger:innen anschließen können. Das könnte beispielsweise ein städtischer Solidaritätsfonds sein, in dem die Stadt Spenden der Bürger:innen zur Hilfe für Geflüchtete verdoppelt.

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Europäisch zu sein, heißt solidarisch zu sein. Wenn Salvini Ministerpräsident wird, dann wird das auch Auswirkungen auf die Hamburger:innen haben. Denn Italien ist der viertgrößte Handelspartner Deutschlands. Ein politisch stabiles, vitales und solidarisches Europa dürfte auch an der Elbe von großem Interesse sein. Abwarten, bis andere etwas tun, ist keine hanseatische Haltung.

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