Wie ein Hamburger sechs Frauen und Kinder aus der Ukraine rettete
Martin Hagen aus Wilhelmsburg: ein 61-jähriger gehbehinderter Mann – und ein echter Teufelskerl. Denn er hat gewagt, was sich aktuell nur wenige trauen. Er ist mit seinem 16 Jahre alten Auto in die Ukraine gefahren, hat dort Hilfsgüter abgeliefert – und auf dem Rückweg dann auch noch sechs Flüchtlinge mit nach Hamburg gebracht. Seine erste Reaktion nach der Heimkehr: „Ich bin ein bisschen müde und muss mich erst mal ausruhen.“
Die sechs Menschen, die er aus dem Krieg gerettet hat – sie sind ihm unglaublich dankbar und als sie sich von ihm in Hamburg verabschieden, drücken sie ihn ganz innig. Bei den sechs handelt sich um Lubov Prybych (61), ihre Tochter Natalia (38) und deren beide Kinder Anna (11) und Olga (7) – außerdem um zwei einzelne Frauen: Juliya Korol (26) und Oksana Yarohina (48).
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Martin Hagen aus Wilhelmsburg: ein 61-jähriger gehbehinderter Mann – und ein echter Teufelskerl. Denn er hat gewagt, was sich aktuell nur wenige trauen. Er ist mit seinem 16 Jahre alten Auto in die Ukraine gefahren, hat dort Hilfsgüter abgeliefert – und auf dem Rückweg dann auch noch sechs Flüchtlinge mit nach Hamburg gebracht. Seine erste Reaktion nach der Heimkehr: „Ich bin ein bisschen müde und muss mich erst mal ausruhen.“
Die sechs Menschen, die er aus dem Krieg gerettet hat – sie sind ihm unglaublich dankbar und als sie sich von ihm in Hamburg verabschieden, drücken sie ihn ganz innig. Bei den sechs handelt sich um Lubov Prybych (61), ihre Tochter Natalia (38) und deren beide Kinder Anna (11) und Olga (7) – außerdem um zwei einzelne Frauen: Juliya Korol (26) und Oksana Yarohina (48).
Ukraine-Krieg: Hamburger rettet Frauen und Kinder
Alle stammen aus Kiew, haben dort tagelang die Hölle durchgemacht. „Direkt neben unserem Haus schlugen die Raketen ein“, erzählt Lubov Prybych. Juliya Korol sagt, dass sie Angst hat um ihren Mann. Der hat zuerst dafür gesorgt, dass seine Frau wohlbehalten an die polnische Grenze kommt und ist dann zurück – um zu kämpfen. Gott bewahre, dass er fällt!
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Über Martin Hagens ungewöhnliche Hilfsaktion haben wir bereits zweimal berichtet. Vergangene Woche war er mit seinem Mitsubishi Pajero (Baujahr 2006) in Hamburg gestartet: das Auto und der Anhänger voll mit Medikamenten, Lebensmitteln, Decken, Verbandsmaterial, Desinfektionsmittel.
Während Organisationen wie der Arbeiter-Samariter-Bund und das Deutsche Rote Kreuz ihre Hilfsgüter aus Sicherheitsgründen nur bis zur Grenze liefern – dort übernehmen dann Einheimische den Weitertransport und die Verteilung – , ist Hagen einfach weiter gefahren. Sein Ziel: Lviv (Lemberg) in der Westukraine. „Dort habe ich alles im Krankenhaus abgeliefert, und die Ärzte und Schwestern waren unglaublich dankbar dafür“, erzählt er.
Schlagen an der Grenze: Hunderttausende Ukrainer auf der Flucht
Was Martin Hagen von den Zuständen an der ukrainisch-polnischen Grenze erzählt, ist bestürzend. „40 Kilometer lang ist die Schlange der Autos – mit Menschen drin, die alle raus wollen aus dem Land. Und vor dem Schlagbaum stehen die Fußgänger in einer fünf Kilometer langen Reihe. Es ist wirklich unglaublich.“
Und es werden immer mehr Flüchtlinge. In Lviv gibt es Busse und Züge, die die Menschen Richtung Grenze bringen. „Aber viel zu wenige“, sagt Hagen. „Also habe ich dann einen Shuttle-Service eingerichtet und habe Flüchtlingen angeboten, sie bis zur Grenze zu bringen.“
Auch Lviv (Lemberg) bereit sich auf russische Angriffe vor
Bei der ersten Fahrt nahm er zwei Nigerianer mit, die in Kiew studiert haben, außerdem eine Frau, deren zwei Kinder und einen Hund. Anschließend kehrte er nach Lviv zurück, um die nächste „Fuhre“ zu holen. „Als ich mitbekam, dass die Leute in Lviv schon damit anfangen, die Kunstschätze aus den Kirchen zu holen und bombensicher im Depot zu verpacken, habe ich entschieden, dass mir das langsam zu heiß wird. Dann bin ich noch einmal zum Bahnhof, habe dort in die Gruppe der Wartenden hineingerufen, dass ich sechs Plätze nach Hamburg habe – zehn Sekunden später war das Auto voll.“
Also: nichts wie heim! Aber Hagen und seine Mitreisenden mussten es erst einmal über die Grenze schaffen. Das war eine wahre Tortur. „Um 18 Uhr habe ich das Stauende erreicht – und gegen Mittag des nächsten Tages waren wir endlich auf der anderen Seite“, erzählt er. „Die ukrainischen Grenzer haben stundenlang überhaupt niemanden abgefertigt. Die sind offenbar schlafen gegangen.“ Er ist immer noch ganz empört darüber.
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Völlig übermüdet hat Martin Hagen schließlich am Morgen des darauffolgenden Tages um 4 Uhr das Ankunftszentrum am Bargkoppelweg in Rahlstedt erreicht. „Ich war inzwischen fast drei Tage rund um die Uhr im Auto unterwegs, habe nur mal zwischendurch ein bisschen ausgeruht, mehr nicht. Die letzten 100 Kilometer mussten mich meine Mitfahrer richtig wachhalten“, sagt er.
Hagen bedankt sich bei ASB und Ukrainischem Hilfsstab
Entsetzt ist Hagen über die Zustände im Ankunftszentrum. „Am nächsten Tag riefen mich ,meine’ Flüchtlinge verzweifelt an und sagten, dass sie immer noch im Warteraum sitzen und überhaupt nichts passiert sei. Kein Zimmer, kein Bett, nichts, um sich mal auszuruhen – das muss man sich mal vorstellen! So werden die behandelt nach tagelanger Flucht!“
Martin Hagen ist dann sofort nach Rahlstedt gefahren, um die Leute wieder abzuholen und sie irgendwie privat unterzubringen. „Als ich ankam und mich beschwerte, waren dann mit einem Mal doch Zimmer vorhanden und alle sechs bekamen ein Bett.“
Hagen möchte die Gelegenheit nutzen und sich bedanken: beim Ortsverband Hamburg-Mitte des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) und beim Ukrainischen Hilfsstab (www.hilfe-ua.de). Von diesen beiden Organisationen stammt das Gros der Hilfsgüter, die er in die Ukraine gebracht hat.
Am liebsten würde Martin Hagen sofort wieder losfahren. Weil er weiß, dass die Ukraine noch viel mehr Hilfe benötigt. „Aber mein Arzt hat mich dringend gewarnt. Der glaubt sowieso, dass ich eine Meise habe. Noch so eine Tour, sagt er, würde ich vielleicht nicht überstehen.“