„Eine Schande“: Wie aus dieser imposanten Ostsee-Villa langsam eine Bruchbude wird
Hübsch ist es hier, im Ostseebad Kühlungsborn (Mecklenburg-Vorpommern): Hohe Bäume, einladende Cafés und prachtvolle Hotels säumen die Promenade. Der Blickfang ist aber ein anderes Gebäude: die „Villa Baltic“ – ein imposanter Bau, bei dem allerdings die Farbe abblättert, der Putz bröckelt und die Fassaden mit Graffiti verschandelt sind. Auch das Innere der Villa gleicht immer mehr einer Bruchbude. Dabei war sie einst der wichtigste Treffpunkt in Kühlungsborn – und weder Einheimische noch Besucher können verstehen, warum dieses Stück Geschichte nun zusehends verfällt.
„Es gab schon so viele Versuche, der Villa neues Leben einzuhauchen. Wir alle hoffen seit 30 Jahren, dass sie endlich wieder aufblüht“, sagt Wolfgang Baade vom Heimatmuseum Kühlungsborn im Gespräch mit der MOPO.
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Hübsch ist es hier, im Ostseebad Kühlungsborn (Mecklenburg-Vorpommern): Hohe Bäume, einladende Cafés und prachtvolle Hotels säumen die Promenade. Der Blickfang ist aber ein anderes Gebäude: die „Villa Baltic“ – ein imposanter Bau, bei dem allerdings die Farbe abblättert, der Putz bröckelt und die Fassaden mit Graffiti verschandelt sind. Auch das Innere der Villa gleicht immer mehr einer Bruchbude. Dabei war sie einst der wichtigste Treffpunkt in Kühlungsborn – und weder Einheimische noch Besucher können verstehen, warum dieses Stück Geschichte nun zusehends verfällt.
„Es gab schon so viele Versuche, der Villa neues Leben einzuhauchen. Wir alle hoffen seit 30 Jahren, dass sie endlich wieder aufblüht“, sagt Wolfgang Baade vom Heimatmuseum Kühlungsborn im Gespräch mit der MOPO.
2027 soll es endlich soweit sein – 115 Jahre, nachdem das Gebäude fertiggestellt wurde.
Kühlungsborn: Jüdische Villa wurde in der Nazizeit enteignet
Der jüdische Jurist und Notar Wilhelm Hausmann ließ die Villa zwischen 1910 und 1912 für seine Frau Margarete und sich in seinem herrschaftlichen Park hinter den Dünen im damaligen Arendsee erbauen. Kostenpunkt: 2,5 Millionen Goldmark. Das Ehepaar blieb kinderlos und so vermachte Margarete das Haus nach ihrem Tod 1929 der Berliner Hochschule für Wissenschaft des Judentums. Wilhelm Hausmann war acht Jahre zuvor verstorben.
Die Villa Baltic entwickelte sich zu einem Erholungsheim für jüdische Urlauber, das bereits im ersten Jahr 140 Gäste begrüßte. Für fünf Reichsmark pro Tag bekam man hier Vollpension mit Strandblick. Arendsee war bei Deutschen jüdischer Konfession ein beliebtes Urlaubsziel.
Wie so viele jüdische Geschichten endete auch die der Villa Hausmann vorerst mit der Machtübernahme der Nazis. 1935 hatte man offiziell alle jüdischen Menschen aus Arendsee vertrieben, verkaufte das Gebäude für 20.000 Reichsmark (Wert: 1,5 Millionen) an die Goebbels-Stiftung und funktionierte es zum Gästehaus für „Bühnenschaffende“ um. „Ab da wehte die Hakenkreuz-Fahne auf dem Dach, der Hausmann-Schriftzug über dem Eingangsportal wurde durch einen Reichsadler ersetzt“, berichtet Baade. 1938 legen die Nazis Arendsee mit dem benachbarten Brunshaupten und dem Dorf Fulgen zu Kühlungsborn zusammen, wie der Ort heute noch heißt.
Nach Kriegsende schlitterte Mecklenburg-Vorpommern von einer Diktatur in die andere. Nach einer Zwischennutzung als sowjetisches Lazarett wurde die Villa zum Erholungsheim des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) der DDR. „1972 baute man eine Meerwasserschwimmhalle direkt neben die Villa, ihr neuer Namensgeber. Es gab ein Cafe, Restaurant, eine Nachtbar, eine Sauna. Die Villa Baltic wurde zum wichtigsten Treffpunkt in Kühlungsborn“, sagt Baade. „In der Schwimmhalle lernten pro Jahr 600 bis 700 Kinder das Schwimmen.“
Neue Eigentümer wollen die Villa Baltic wiederbeleben
Während der Wendezeit musste die Villa schließen – das Geld fehlte. Seitdem scheiterten mehrere Versuche der Wiederbelebung an Denkmalschutzhürden und Differenzen mit der Stadt. „Es ist eine Schande“, sagt der Museumsmitarbeiter. „Täglich fragen Kühlungsborner und Touristen, was mit dem ehemals schönsten Gebäude der Stadt und dem Park passieren soll.“ Die Meerwasserschwimmhalle wurde im Jahr 2017 abgerissen.
Hoffnung verspricht die Oldenburger Immobilienfirma „Aschenbeck & Aschenbeck“, die die „Villa Baltic“ im Jahr 2019 gekauft hat und sie für die Gastronomie nutzbar machen will. Finanziert werden soll das Ganze mit Einnahmen aus einem Hotel mit Einzelhandelsflächen, das die Villa-Eigentümer auf dem ehemaligen Schwimmhallen-Grundstück errichten wollen.
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Dieses Vorhaben wäre fast an einer Bürgerinitiative gescheitert, die den Bau eines zweiten Gebäudes im Baltic-Park verhindern wollte. Nach dem darauf folgenden ersten Bürgerentscheid der Geschichte Kühlungsborns entschieden die Stadtvertreter jedoch: Die Pläne können in die Tat umgesetzt werden.
Die Eigentümer erwarten laut eigenen Angaben, im Jahr 2025 mit dem Bau starten zu können. Ab 2027 soll das Leben in das Herz Kühlungsborns zurückkehren. Die Geschichte soll aber nicht vergessen werden: Vorgarten und Park-Allee werden ihr historisches Gewand zurückerhalten und der Name Hausmann ebenfalls wieder eine Rolle spielen. Fest steht: Erst, wenn die Villa saniert ist, ist die Kühlungsborner Strandpromenade endlich wieder vollkommen.