• Dr. Tino Schnitgerhans (45), Leitender Oberarzt der Inneren Medizin und Facharzt für internistische Intensivmedizin am Asklepios-Klinikum Nord (Heidberg).
  • Foto: Hami Rowshan

Leitender Oberarzt berichtet von Corona-Front: „Es ist zu früh, um Entwarnung zu geben“

Sie haben wie wir alle unter dem Lockdown zu leiden, können keine Freunde treffen, dürfen nachts nicht rausgehen – aber anders als die meisten von uns sehen sie jeden Tag, wofür die Gesellschaft diesen Kraftakt auf sich nimmt: Sie arbeiten auf Hamburgs Intensivstationen, kümmern sich um die schweren Covid-Fälle. MOPO-Redakteurin Stephanie Lamprecht sprach mit zwei Ärzten und zwei Intensiv-Pflegekräften. Heute berichtet Dr. Tino Schnitgerhans (45), Leitender Oberarzt der Inneren Medizin am Asklepios-Klinikum Nord (Heidberg), von der Corona-Front. Er ist auch zuständig für Covid-Patienten

MOPO: Herr Dr. Schnitgerhans, wie war Ihr Arbeitstag?
Dr. Tino Schnitgerhans: Es war ein Tag wie immer in den letzten Monaten, man gewöhnt sich daran. Ich bin leitender Oberarzt und entscheide, welche Maßnahmen ergriffen werden. Ich habe natürlich auch sehr viel direkt mit den Patienten zu tun, aber dem, was man „Corona-Wahnsinn“ nennen könnte, sind eher die Pflegekräfte und Assistenzärzte ausgesetzt. Was die seit Monaten leisten, das bringt sie körperlich und seelisch an ihre Grenzen.

Was unterscheidet die „dritte Welle“ von den vorangegangenen?
In der ersten Welle, ab März 2020, war Covid eine große Unbekannte, keiner wusste etwas Genaues, man hörte diese Horrormeldungen aus dem Rest Europas und wartete darauf, dass dieser Tsunami auch über uns hereinbricht. Dazu diese Materialknappheit, so etwas kannten wir ja gar nicht. Solche Probleme haben wir heute nicht mehr. In der zweiten Welle wussten wir schon mehr über die Krankheit, hatten aber diese hohe Zahl an schweren Verläufen und eine hohe Sterblichkeit. Viele Patienten kamen aus Pflegeheimen, sehr alte, teilweise demente und multimorbide Patienten. Oft waren intensivmedizinische Maßnahmen durch Patientenverfügungen ausgeschlossen. Das ist jetzt ganz anders. In der dritten Welle sind 90 Prozent der Covid-Patienten im Alter zwischen 40 und 70 Jahren.

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Sind die schwer vorerkrankt?
Es braucht nicht unbedingt schwere Vorerkrankungen. Häufig sind die jüngeren Patienten mit schweren Verläufen nur übergewichtig. Auch Bluthochdruck sehen wir oft, also eine Krankheit, die sehr weit verbreitet ist.

Was unterscheidet die Arbeit auf der Covid-Station von der auf der normalen Intensivstation?
Covidpatienten brauchen schon eine besondere Form der Therapie. Jeder erinnert sich an die Berichte aus Italien, als Land unter war und viele Patienten im künstlichen Koma lagen, da sie sehr schnell intubiert wurden. Das versuchen wir jetzt möglichst zu vermeiden. Die Patienten bleiben bei Bewusstsein und werden so lange wie möglich über eine Maske beatmet. Diese nicht-invasive Beatmung ist maximaler Stress für die Patienten, die brauchen intensive Zuwendung. Dazu gibt es auch weiterhin Patienten im künstlichen Koma, die müssen regelmäßig auf den Bauch gedreht werden, dafür braucht man mehrere Pflegekräfte, das ist körperlich anstrengend und anspruchsvoll. 

Würden Sie sich und Ihre Kollegen als Helden betrachten?
Helden finde ich übertrieben. Wir haben den Beruf ja gelernt, um in solchen Situationen professionell zu helfen. Aber ich wünsche mir Respekt für die Leistungen von Pflegekräften und ärztlichem Personal.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Querdenker-Demos sehen, wie kürzlich wieder in Berlin?
Sie werden im medizinischen Bereich kaum jemanden finden, der dafür Verständnis hat. Jeder kann seine Meinung kundtun, aber auf diesen Demos sind vermutlich keine Menschen, die täglich mit Covid-Patienten konfrontiert sind.

Würden Sie einen härteren Lockdown befürworten?
Ich bin ein Befürworter der jetzigen Notbremse. Natürlich bin ich auch Privatmensch und würde mir wünschen, dass die Kinder in die Schule können, aber aus ärztlicher Sicht sage ich: Ich bin einverstanden mit den Maßnahmen. Ich denke schon, dass Ausgangsbeschränkungen in Großstädten ein sinnvolles Mittel sind.

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Ist Ihre Station voll belegt zur Zeit?
Es kommt auf den Anteil der belegbaren Betten an. Derzeit sind bei uns 25 bis 30 Prozent der Intensivbetten mit Covid-Patienten belegt. Das ist schon hoch problematisch für die Abläufe in unserer Klinik.

Sehen Sie denn schon Licht am Ende des Tunnels?
Das ist derzeit schwer zu sagen. In dieser Woche hat der Ansturm etwas abgenommen, es ist aber definitiv zu früh, um hier Entwarnung zu geben.

Droht die Triage? Also eine Auswahl von Patienten für die lebensrettenden Maßnahmen?
Die Knappheit der Intensivbetten ist ein Problem, keine Frage, aber die Situation ist beherrschbar. Wir müsse nicht triagieren, wir müssen keine Covid-Patienten ablehnen. Kein Patient mit Covid muss sich Sorgen um seine Behandlung machen.

Was heißt das konkret?
Es gibt ja nicht nur Covid-Patienten, wir brauchen auch Betten für andere Intensivpatienten. Da schaut man dann deutlich mehr als sonst, ob andere Operationen verschiebbar sind. Grundsätzlich würde ich sagen: Es gibt noch keine Entwarnung, wir sind noch nicht über dem Berg, aber es gibt auch keinen Grund zur Panik.

Wann, meinen Sie, sind wie denn über dem Berg?
Das steht und fällt mit den Impfungen.Wir sehen jetzt schon eine abnehmende Zahl an sehr alten Patienten, sehr wahrscheinlich als Effekt der Impfungen.

Wären Sie für eine Impfpflicht?
Nein, das muss eine persönliche Entscheidung bleiben. Ich empfehle aber jedem, sich impfen zu lassen.

Letzte Frage: Was ist das Schöne an Ihrem Beruf?
Wir sehen ja nicht nur Leid, wir sehen auch ganz viele Fälle, in denen sich all der Aufwand lohnt. Das bestärkt mich immer wieder in meiner Arbeit

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