Legendäre Konzerte: Bill Haley-Auftritt in Hamburg endet in Gewalt-Orgie
„Los, nach vorne!“, brüllt einer der Radaubrüder, und sofort fließen die Massen nach vorne wie ein schreiender Lavastrom. Rund 100 Jugendliche nehmen die Bühne in Besitz. Die Deko wird zerfetzt, Gebrüll und Gekreische übertönt längst die Musik, Tumulte brechen aus.
„Bill Haley & His Comets“ – im Herbst 1958 zieht diese Band eine Schneise der Verwüstung durch Deutschland. Wo immer sie auftritt, gibt’s Schlägereien, fliegen Stühle durch die Fenster, wird die komplette Saaleinrichtung demoliert. Hamburgs Polizeiführung ist in höchster Alarmbereitschaft, als der Star am 27. Oktober in der Ernst-Merck-Halle auftritt.
1958 heißen die „Beatles“ noch „The Quarrymen“ und sind in Deutschland völlig unbekannt. Elvis Presley steht ganz am Anfang seiner Karriere. Und den Begriff „Rock’n’Roll“ hat noch nie einer gehört. Stattdessen ist überall nur vom „Haley-Sound“ die Rede.
Bill Haley 1958 in Hamburg: Randale bei Konzert
„Rock Around The Clock“, „Crazy Man, Crazy“ – das sind zwei von Haleys berühmtesten Stücken. Anfang der 50er Jahre hat er weißen Country mit dem Rhythm ’n‘ Blues schwarzer Musiker gemischt und einen ganz neuen wilden und schrägen Stil kreiert. Eine unzufriedene Generation, die aufbegehrt gegen die Alten, hat ihren musikalischen Ausdruck gefunden.

Klar, dass Hamburgs Jugend dem Auftritt ihres Idols entgegenfiebert. Die Ernst-Merck-Halle, die auf dem heutigen Messegelände liegt und 1986 abgerissen wurde, ist ausverkauft. Vor den Zugängen stehen Beamte in Zehner-Gruppen. Rund um den Veranstaltungsort patrouillieren berittene Polizisten. Das massive Aufgebot an Sicherheitskräften soll die Besucher einschüchtern und von Gewalttaten abhalten. Das Gegenteil wird erreicht, wie sich bald zeigen wird.
Ernst-Merck-Halle: Fans von Bill Haley sind nicht zu bändigen
Alles beginnt friedlich. Als Vorgruppe tritt das deutsche Jazz-Orchester Kurt Edelhagen auf. Dann wird es abgelöst von einem Mann mit rotem Hemd und reichlich Pomade im Haar, auf dessen Stirn sein Markenzeichen klebt: eine Schmalzlocke, die davon ablenken soll, dass er mit vier Jahren das linke Auge verlor. Bill Haley!

Die Fans sind nicht mehr zu bändigen. Immer mehr Zuhörer erheben sich und fangen in den Gängen an ekstatisch zu zucken. Ordner versuchen die Tanzenden wieder auf ihre Plätze zurückzudrängen. Erfolglos.
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„Los, nach vorne!“, brüllt einer der Radaubrüder, und sofort fließen die Massen nach vorne wie ein schreiender Lavastrom. Rund 100 Jugendliche nehmen die Bühne in Besitz. Die Deko wird zerfetzt, Gebrüll und Gekreische übertönt längst die Musik, Tumulte brechen aus.
Bill Haley versucht, die Hamburger zu beruhigen
Und der Star? Der versucht, die Masse zu beruhigen. „Ladies and Gentlemen“, setzt Haley mehrfach an, aber er dringt nicht durch. Schließlich nimmt er gemeinsam mit seinen Bandmitgliedern Reißaus. Sogar ihre Instrumente lassen sie zurück. „Schiebung! Schiebung“, brüllt das enttäuscht Publikum und reagiert noch erboster. Verkehrsschilder kommen durch zersplitterte Fenster hereingeflogen. Überall bersten Scheiben. Stühle gehen zu Bruch. Beamte werden vermöbelt. Am Ende werden sieben Jugendliche als Rädelsführer verhaftet.

Es ist eine regelrecht Orgie der Gewalt, die gegen 23 Uhr sogar den Dammtorbahnhof erreicht. Die Jugendlichen blockieren alle Zugänge und setzen ihr Zerstörungswerk fort. Erst gegen Mitternacht kehrt Ruhe ein, nachdem die Beamten die Randalierer mit Tränengas und Schlagstöcken auseinandergetrieben hat.
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Bill Haley setzt seine Tour fort – aber es ist überall das Gleiche: Ob im Berliner Sportpalast, in der Essener Gruga-Halle oder in der Konzerthalle am Killesberg in Stuttgart – ohne dass die Fetzen fliegen, endet kein Konzert.