• Der Hamburger Michel Arriens (30) mit seinem Roller
  • Foto: Konstantin Eulenburg

Leben mit Behinderung: Wenn jedes Jahr wie eine Corona-Krise ist

Während der Corona-Krise ist der Besuch im Lieblingsrestaurant oder bei Freunden nicht möglich. Das Virus hat unser Leben eingeschränkt. Doch für Menschen mit Behinderungen gelten diese Einschränkungen schon seit Jahren. Schon vor Corona. Denn nicht alle Gebäude sind barrierefrei. 

„Ich denke nicht an erster Stelle daran, ob das Essen gut ist, sondern ob das Restaurant barrierefrei ist“, erklärt Michel Arriens, Vorstandsmitglied und Pressesprecher des Bundesverbands für kleinwüchsige Menschen und ihre Familien. Für den 30-Jährigen, der seit 2014 in Hamburg lebt, könne die Corona-Krise dazu dienen, „Verständnis dafür zu schaffen, was es bedeutet, in Isolation zu erleben“, sagt der gebürtige Kieler und fügt hinzu: „Ich wäre froh über das Privileg, meinen Tag so zu gestalten, wie ich ihn ganz gerne hätte“.

Leben mit Behinderung: Das Ignorieren wird normalisiert

Die Hamburger Kerrin und Pelle Stumpf stehen zusammen am Empfangstisch eines Optikers. Die Postbotin kommt rein und streichelt Pelle über den Kopf. „Als ob er eine Puppe wäre, die man so einfach anfassen kann“, erzählt Kerrin Stumpf, Geschäftsführerin von „Leben mit Behinderung“ in Hamburg, empört.

Die Hamburger Kerrin und Pelle Stumpf in einer Veranstaltung.

Die Hamburger Kerrin (50) und Pelle (19) Stumpf, in einer Tanzveranstaltung. 

Foto:

Kerrin Stumpf, 2018

Der Alltag von Pelle Stumpf ist voller solcher Momente. Der 19-Jährige ist mit Sauerstoffmangel zur Welt gekommen. Er leidet unter Spastiken und benötigt umfängliche Assistenz. Dazu kann er nicht sprechen. Seine Mutter erklärt am Telefon, dass er mit Gesten und Geräuschen seine Gefühle und Gedanken ausdrückt. Doch nicht alle scheinen ihm Aufmerksamkeit zu schenken.  

Etwa als der 19-Jährige im Krankenhaus liegt. Er hat Schmerzen und ist beunruhigt. Die Krankenschwestern sprechen ihn nicht an, erklären ihm nicht was los ist. Wenn seine Mutter oder eine andere Person ohne Einschränkungen nicht dabei ist, wird er einfach ignoriert. „Als ob er ein Objekt wäre“, erzählt die gebürtige Lübeckerin. Diese Normalisierung des Ignorierens und diese Diskriminierung findet sie „immer noch total erschreckend“.

Barrierefreiheit durch Gesetz etablieren

„Alle Menschen in Hamburg sollen sich zuständig für Behinderungen fühlen“, erzählt Kerrin Stumpf. „Wir brauchen mehr Läden, die barrierefrei sind, mehr Maßnahmen im öffentlichen Raum. Also Privatmenschen, die sagen, wir wollen inklusiv sein und handeln“, fügt die 50-Jährige hinzu.

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Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das die Bundesregierung im Sommer verabschieden wird, soll gewisse Alltagseinschränkungen überwinden helfen. Dennoch scheint das Gesetz einige Lücken zu haben. So kritisieren Interessenverbände zum Beispiel, dass ein Geldautomat barrierefrei zugänglich sein muss, das Gebäude aber nicht. Dazu kommt, dass das Gesetz erst ab 2025 in Kraft treten wird. Einige Veränderungen sollen sogar erst ab 2040 gelten.

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