Schwule Institution muss schließen: „Als hätte man mir ein Stück Herz herausgerissen“
In St. Georg sollen Wohnungen in Eigentum umgewandelt werden, Gewerbetreibenden wird plötzlich gekündigt: Halet Yurdakul (70), Micco Dotzauer (65) sowie zwei weitere Ladenbesitzer stehen nun vor dem Nichts, fühlen sich von der Stadt alleingelassen. Jetzt wehrt sich die Nachbarschaft.
- Deutsch (Deutschland)
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Halet Yurdakul (70) steht vor dem Nichts. Er weiß nicht, wohin er mit seiner kleinen Änderungsschneiderei umziehen soll. 25 Jahre hatte er den Laden im Souterrain des Gebäudes 47-51 in der Danziger Straße in St. Georg. Dann wurde ihm plötzlich gekündigt – genau wie drei anderen Ladenbesitzern. Von der Stadt fühlen sie sich alleingelassen, doch auf ihre Nachbarschaft ist Verlass.
„Vermieterin ohne Herz“, „Immobilienerbin vernichtet vier Existenzen“, „Mieter sind Menschen, keine Goldesel“: Das steht auf den Plakaten der Demonstranten. Sie haben sich in der Danziger Straße versammelt, tauschen Geschichten aus, halten Reden. Wütend und entschlossen.
Hamburg: Vier Ladenbesitzer auf St. Georg gekündigt
Grund für ihre Wut ist die Vermieterin des Gebäudes, die wohl die Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umwandeln will. Für die Demonstranten ist aber klar: Viele Mieter können es sich nicht leisten, ihre Wohnung zu kaufen. Das bedeutet: Sie müssen über kurz oder lang umziehen.
Das Fass zum Überlaufen brachte die Kündigung der vier Gewerbetreibenden im Souterrain: Die Änderungsschneiderei, ein An- und Verkauf, ein Laden für Fototechnik und die Eckbar „Contact“ müssen das Feld räumen. Viel Zeit haben sie dafür nicht: Barbesitzer Micco Dotzauer (65) muss bis Ende Juni raus, die anderen zu Ende September.
Dotzauer betrieb seine Bar elf Jahre lang. Sie war ein Treffpunkt der schwulen Community, mehr Wohnzimmer als Kneipe. Hier traf man sich zum Trinken, Reden, Spielespielen und Musikhören. „Meine Stammgäste fühlten sich hier einfach zu Hause“, erzählt er. „Es war wie eine Familie. Letzte Woche saßen sie traurig an meiner Bar und fragten, wo sie denn nun hingehen sollen.“ Am vergangenen Samstag gab es die letzte große Party – organisiert von Gästen und Freunden. Am Sonntag wurde der Laden ausgeräumt. „Das war, als hätte man mir ein Stück Herz herausgerissen.“
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Demonstrantin und Filmemacherin Leslie Franke (66) lebt seit 1987 in St. Georg. Sie konnte über die Jahre zusehen, wie sich ihr Viertel immer mehr veränderte, kleine Läden großen Ketten weichen mussten. Was hier mit den vier Ladenbesitzern geschehe, sei eine Unverschämtheit: „Es ist menschenunwürdig, dass die Hausbesitzerin die Menschen behandelt wie Schachfiguren. Der Einwohnerverein und die Anwohner-Initiativen haben öfter zu einem Gespräch gebeten, gehofft, dass man einen Kompromiss finden kann. Aber sie ist zu feige, sich ihren Mietern zu stellen!“