Kuhhandel mit Hamburgs Biotopen: Diese Oase soll plattgemacht werden
Dieser Kuhhandel dürfte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) um die Ohren fliegen: Stolz verkündete er, dass das wertvolle Biotop Vollhöfner Weiden gerettet ist und nicht für die Hafenerweiterung zur Verfügung steht. Doch im Tausch werden nun zwei zusammen ebenso große Biotope plattgemacht. Wo sie liegen, was die Umweltverbände sagen und was eigentlich mit der Kirche im Gebiet passiert.
- Deutsch (Deutschland)
MOPO+ Abo
für 1,00 €Jetzt sichern!Neukunden lesen die ersten 4 Wochen für nur 1 €!Zugriff auf alle M+-ArtikelWeniger Werbung
Danach nur 7,90 € alle 4 Wochen //
online kündbarMOPO+ Jahresabo
für 79,00 €Jetzt sichern!Spare 23 Prozent!Zugriff auf alle M+-ArtikelWeniger Werbung
Danach zum gleichen Preis lesen //
online kündbar
Dieser Kuhhandel dürfte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) noch um die Ohren fliegen: Stolz verkündete er, dass das wertvolle Biotop Vollhöfner Weiden gerettet ist und nicht für die Hafenerweiterung zur Verfügung steht. Doch im Tausch werden nun zwei andere Biotope in entsprechender Größe daneben plattgemacht. Wo sie liegen, was die Umweltverbände sagen und was eigentlich mit der Kirche im Gebiet passiert.
Das Dorf Altenwerder wurde vor Jahrzehnten aufgeschüttet – eingequetscht zwischen Terminals, Speditionen und Rangierbahnhof blieben nur die Kirche St. Gertrud und der Friedhof am Altenwerder Kirchenweg erhalten. Umgeben von einem Grünzug, der von Wasserläufen – Resten der Alten Süderelbe – durchzogen ist und zu einem wunderschön verwilderten Biotop gewachsen ist. Sehr ähnlich den Vollhöfner Weiden, die nur einen Steinwurf entfernt auf der anderen Seit der Autobahn 7 liegen.
Vollhöfner Weiden gerettet und sogar Naturschutzgebiet
Die Vollhöfner Weiden, auch Vollhöfner Wald oder liebevoll „Völli“ genannt, werden nun nach jahrelangen Kämpfen, Klagen und Protestcamps zum Naturschutzgebiet erklärt. Doch dafür musste die Umweltbehörde der Wirtschaftsbehörde einen hohen Preis zahlen: Das Biotop um die Kirche (Altenwerder Kirchental) und ein weiteres weiter nördlich, die sogenannte Bullerrinne, dürfen im Tausch nun für den Hafen genutzt werden. Dort, wo jetzt unberührte Natur herrscht, könnten schon bald Container gelagert oder weitere Schienen für den Rangierbahnhof verlegt werden. Für viel mehr reicht der Platz auch nicht. Die Wasserläufe müssten dann wohl verrohrt werden.
Doch was unterscheidet die Biotope überhaupt? Immerhin gehörten sie früher in Altenwerder zusammen und sind alle drei seit Jahrzehnten vom Menschen unberührt vor sich hingewachsen. „Das ist doch ein reines Nullsummenspiel, für die Natur ist nichts gewonnen“, bewertet die BUND-Vorsitzende Sabine Sommer den Tausch. Gisela Bertram, die die Stiftung Ausgleich Altenwerder leitet, sagt: „Die Biotope rund um die Kirche und an der Bullerrinne sind sicher ähnlich wertvoll wie die Vollhöfner Weiden.“ Entsprechende Gutachten sind beauftragt, liegen aber noch nicht vor.
BUND gegen den Flächen-Deal – Nabu dafür
Auch seitens der Initiative, die für den Vollhöfner Wald gekämpft hat, besteht kein Verständnis für den Flächen-Deal. „Auch hier, nördlich und südlich der Kirche und entlang der Bullerrinne im Norden, hat sich die Natur seit der Entvölkerung Altenwerders vor 40 Jahren nach und nach ein Gebiet zurückerobert, in dem zahlreiche Vögel, Amphibien und andere Tiere leben und das von vielen Menschen als Naherholungsgebiet genutzt wird“, betonte man dort schon vor zwei Jahren, als sich der Tausch abzeichnete.
Eine weitere Kröte, die beim Völli-Deal geschluckt werden muss: Sowohl bei den Vollhöfner Weiden im Westen als auch bei den beiden Biotopen östlich der A7 sollen insgesamt fünf Windkraftanlagen gebaut werden. Windräder sind zwar ein urgrünes Anliegen, nur sollen sie hier im direkten Umfeld des Naturschutzgebiets entstehen. Es wird dafür quasi drumherum geplant. Sommer: „Im Vollhöfner Wald und in Altenwerder sind viele Fledermäuse und Vögel unterwegs. Sie würden durch die neuen Windkraftanlagen gefährdet.“
Dass es Kritik hageln wird, damit hat Umweltsenator Jens Kerstan schon gerechnet. Gegenüber dem „Abendblatt“ räumte er bei der Verkündung des aus seiner Sicht geglückten Tausches ein, dass es einen „Wermutstropfen“ gibt: „Auch Kirchtal und Bullerrinne sind ökologisch hochwertige Flächen“, sagte er und nannte die Gebiete „den Preis für den Erhalt“ der Vollhöfner Weiden.
Überraschende Rückendeckung für den Deal des Senators gibt es vom Nabu. Nabu-Chef Malte Siegert: „Man muss das differenziert sehen. Der Gewinn dieses neuen Naturschutzgebietes ist groß.“ Der Deal mit den anderen Flächen sei zwar nicht schön, aber „die Flächen gehörten eh zum Hafen und hätten von daher sowieso jederzeit bebaut werden können.“
Für Menschen aus Altenwerder, die nun teils in Finkenwerder leben und noch zu gelegentlichen Gottesdiensten in ihre alte Kirche kommen, werden alte Wunden aufgerissen, wie ein Mitglied der Initiative Vollhöfner Weiden befürchtet. Wie weit die Logistikflächen in Zukunft an die Kirche und den Friedhof heranreichen werden, dazu konnte die Wirtschaftsbehörde noch nichts sagen.
Erst einmal muss der auf Senatsebene getroffene Beschluss noch in die Bürgerschaft. Doch die Vorstellung, dass nach einer nötigen meterhohen Aufschüttung dort Container direkt neben dem Kirchturm und den Gräbern aufragen, ist bizarr.
Das könnte Sie auch interessieren: Waldgebiet in Wilhelmsburg soll für Wohnungsbau gerodet werden
Einige ehemalige Bewohner und Nachkommen aus Altenwerder gehen noch regelmäßig zu extra ausgerichteten Gottesdiensten in die Kirche St. Gertrud. Auch die Kirchenglocken läuten Dank des ehrenamtlichen Küsters noch immer.
Schon in den 70er und 80er Jahren wurden die Häuser der meisten Altenwerder dort nach ihrer Umsiedelung abgerissen. 1998 verließen die letzten Bewohner den Stadtteil, das Gelände wurde im Winter 1996/97 gerodet und danach durch Sandaufspülungen um mehrere Meter erhöht. 2002 wurde der Containerhafen in Betrieb genommen.