Krisen, Erfolge, Dramen: Das Schicksal der Reederfamilie Rickmers
Deutschlands wohl berühmtester Reeder ist tot: Bertram Rickmers stürzte unter ungeklärten Umständen am Geburtstag seiner Frau eine Treppe hinunter. Seltsam: Im August 2003 soll auch seine Mutter Christa nach einem Treppensturz gestorben sein. Bertram Rickmers Firma, die Asian Spirit Steamship Company, wird nun von Sohn Rickmer Clasen Rickmers allein weitergeführt, der bereits im vergangenen Jahr das Ruder übernahm.
Deutschlands wohl berühmtester Reeder ist tot: Bertram Rickmers stürzte unter ungeklärten Umständen am Geburtstag seiner Frau eine Treppe hinunter. Seltsam: Im August 2003 soll auch seine Mutter Christa nach einem Treppensturz gestorben sein. Bertram Rickmers Firma, die Asian Spirit Steamship Company, wird nun von Sohn Rickmer Clasen Rickmers allein weitergeführt, der bereits im vergangenen Jahr das Ruder übernahm.
Die Reederei-Dynastie blickt bereits auf eine fast 190-jährige Geschichte zurück: In dieser langen Zeit ereigneten sich jede Menge Krisen und Dramen. Mehrfach stand die Firma vor dem Nichts, war pleite. Irgendwie aber ging es immer weiter.
Firmengründer Rickmer Clasen und seine Braut fliehen 1831 von Helgoland

Schon mit einem Skandal beginnt 1831 die Geschichte: Damals heiratet Rickmer Clasen Rickmers (1807-1886) seine Geliebte Margaretha Reimers, und zwar ohne den Segen seiner Schwiegereltern. Die beiden Familien sind völlig zerstritten, deshalb lehnen die Eltern seiner Braut die Verbindung strikt ab. Doch das Paar lässt sich nicht auseinanderreißen. Rickmer Clasen und Margaretha kehren ihrer Heimat Helgoland den Rücken, fliehen regelrecht von der Insel, schließen heimlich auf dem Festland den Bund der Ehe.
Bremerhaven wird das neue Zuhause des Paares. Rickmer Clasen findet eine Anstellung als Meisterknecht – doch er ist ehrgeizig und arbeitet hart an seinem Aufstieg: In seiner Freizeit baut er auf eigene Rechnung Boote und arbeitet außerdem als Lotse.
Keine drei Jahre sind vergangen seit der Flucht von Helgoland, da gründet Rickmers 1834 sein eigenes Unternehmen. Aufträge kommen genug rein: Er baut Segelschiffe so um, dass sie als Auswandererschiffe eingesetzt werden können. Damals suchen immer mehr Menschen ihr Glück in der neuen Welt. 1848 fährt das erste Schiff unter Rickmers-Flagge – ebenfalls ein Auswandererschiff.

1857 expandiert die Firma. Der Chef baut Wohnungen für seine Mitarbeiter
1857 verlegt Rickmers seinen Betrieb, weil er mehr Platz braucht und expandieren will. Die Familie wohnt auf dem Werftgelände, und zwar in einer Villa, die von einem Park umgeben ist. Für die Arbeiter lässt Rickmers Häuser und Wohnungen bauen. Für die Kinder seiner Arbeiter gründet er eine private Schule. Die Werft entwickelt sich zu einem der angesehensten Schiffbauunternehmen Europas und zu einem der führenden in der Welt.
Die Firmenflagge drückt die Verbundenheit Rickmers mit der Heimat Helgoland aus: Grün, Rot und Weiß, das sind die Farben der Insel. Sie finden sich auch im Anstrich des berühmten Segelschiffs „Rickmer Rickmers“ wieder, das 1896 fertiggestellt und nach dem Enkel des Firmengründers benannt wird: Heute liegt das Schiff im Hamburger Hafen und gilt als Wahrzeichen der Hansestadt.
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Bis zum Tod des Firmengründers werden nur Holzschiffe gebaut, denn der Alte – stur, wie er ist – weigert sich, mit der Zeit zu gehen. Erst nach seinem Tod stellen seine drei Söhne Andreas Clasen, Peter und Wilhelm Heinrich die Werft auf modernen Eisenschiffbau um. Die Viermastbark „Herzogin Sophie Charlotte“ ist das erste Stahlschiff. 1899 vom Norddeutschen Lloyd gekauft, wird sie zum ersten Segelschulschiff der deutschen Handelsflotte. 1902 folgt das schnellste Segelschulschiff seiner Zeit, die „Herzogin Cecilie“.

1910 tobt ein Machtkampf um die Führung im Unternehmen
Wilhelm Heinrich stirbt 1891, Peter 1902, so dass Andreas das Unternehmen alleine weiterführt. Allerdings bleiben ihm nur wenige Jahre. Es kommt zum Machtkampf um die Führung des Unternehmens, den Andreas verliert. 1910 zieht er sich zurück und überlässt die Firma seinem Enkel Paul, der sie zwei Jahre später nach Hamburg verlegt.
Im Ersten und im Zweiten Weltkrieg baut die Werft Schiffe für die Marine. Paul Rickmers ist ein erklärter Anhänger des Diktators Adolf Hitlers. Durchhalteparolen wie „Wir sterben, auf dass Deutschland lebe“ stehen 1939 auf dem Werbe-Kalender der Rickmers Werft. Bis zu 700 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter sind beim Bau von Minensuchbooten eingesetzt. Zehn Stunden täglich müssen sie bei völlig unzureichender Verpflegung schuften. Als sie es einmal wagen zu streiken, werden sie mit Hunden und Knüppeln zur Arbeit getrieben.

Nach dem Krieg steht die Reederei Rickmers vor dem Nichts – sämtliche Schiffe sind verloren. Besser läuft es auf der Werft, denn dank der US Navy gibt es viele Reparaturaufträge. Die 50er Jahre bringen einen deutlichen Aufschwung: Rickmers baut vor allem Fischereischiffe. 1953 hat die Werft mehr als 1000 Beschäftigte. Doch dann bricht in den 60er und 70er Jahren eine Krise über die Schifffahrtsbranche herein: Mit der Billig-Konkurrenz aus Asien können die deutschen Unternehmen nicht mithalten. Die Rickmers-Werft muss immer mehr Kredite aufnehmen und meldet 1986 Konkurs an. Die Rickmers-Linie wird 1988 von Hapag-Lloyd geschluckt. Das ist das Ende. So scheint es jedenfalls.
Erck und Bertram beenden Partnerschaft, gehen getrennte Wege
Doch die Ururenkel des Firmengründers wagen 1992 einen Neuanfang: Erck und Bertram Rickmers. Zunächst sind die Brüder Partner, aber nach vier Jahren gehen sie wegen Meinungsverschiedenheiten getrennte Wege. Erck Rickmers führt das Emmissionshaus Nordcapital, das unter Anlegern Geld für Schiffsneubauten sammelt, und gründet mit der Firma E. R. Schifffahrt eine der größten Charterreedereien für Containerschiffe. 2018 verkauft er das Unternehmen.

Unterdessen baut Bertram Rickmers die Rickmers-Gruppe zu einer Reederei mit zeitweise 2000 Mitarbeitern und 130 Schiffen aus. Die von Bertram geführte Rickmers Holding AG rauscht 2017 allerdings in die Pleite. 1,7 Milliarden Euro Schulden haben sich angehäuft. Nachdem die HSH Nordbank als wichtigster Gläubiger einen außergerichtlichen Sanierungsplan abgelehnt hat, ist eine der spektakulärsten Insolvenzen der Branche nicht mehr abzuwenden. Rickmers verliert seine Schiffe – und Anleger viel Geld. Am Ende kann der Insolvenzverwalter „nur“ noch 11,7 Millionen Euro an Anleger verteilen.

Doch ein echter Rickmers, der gibt nicht auf. Bertram gründet schon zwei Jahre später ein neues Unternehmen: die „Asian Spirit Steamship Company“ (ASSC). Das Unternehmen wächst schnell. Anfangs verfügt die Firma lediglich über zwei Frachter, heute sind es elf. 2022 übergibt Bertram Rickmers offiziell die Geschäfte seinem Sohn. Nach dem tragischen Tod des Vaters am Montag ist damit die sechste Rickmers-Generation am Ruder.