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Kriminelle Großfamilien in Hamburg: Kiez-Experte: Fürchtet euch nicht vor den Clans!

Woher kommt hierzulande eigentlich die Angst vor den so genannten Clans, wo doch die meisten Bürger gar keine Berührungspunkte mit ihnen haben? Und woher kommt überhaupt der Ausdruck Clan? Ursprünglich aus Schottland, wo er große Familienverbände beschrieb, deren Blut meist seit Generationen untrennbar mit dem Boden verbunden war, auf dem die Sippe lebte. Damit einher ging ein Herrschaftsanspruch über Land und Leute mit nicht verhandelbaren Machtanspruch.

So lässt die Bezeichnung Clan vermuten, dass sich die Mitglieder hierzulande in den als solche bezeichneten Vereinigungen wahrscheinlich schon durch die Wortwahl geschmeichelt fühlen. Erinnert sie darüber hinaus auch noch an Filme, in denen mafiöse Strukturen häufig romantisiert dargestellt werden und der Zuschauer fast Mitleid mit Luigi empfindet, wenn der Don ihn losschickt, seinen alten Schulkameraden Giovanni mit Betonschuhen im nächsten Fluss zu versenken.

Michel Ruge ist auf St. Pauli aufgewachsen, hat in Hamburg Schauspiel studiert, betrieb in Berlin eine Schule für Selbstverteidigung und wurde ein stadtbekannter Türsteher in den angesagten Clubs der Nachwendezeit. Heute lebt Ruge wieder auf St. Pauli und arbeitet als Buchautor.

Michel Ruge ist auf St. Pauli aufgewachsen, hat in Hamburg Schauspiel studiert, betrieb in Berlin eine Schule für Selbstverteidigung und wurde ein stadtbekannter Türsteher in den angesagten Clubs der Nachwendezeit. Heute lebt Ruge wieder auf St. Pauli und arbeitet als Buchautor.

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Sven Jakobsen

Hamburger Kiezgröße: Fürchtet euch nicht vor den Clans!

Ich erinnere mich noch, als wir damals in Hamburg in den Jugendgangs irgendwann nicht mehr den erwachsenen Kriminellen aus Hamburg in Attitude und Kleidungsstil nacheiferten, sondern auf einmal alle wie in „Carlitos Way“ oder anderen New Yorker Mafiafilmen kurze Ledermäntel trugen. Bis die Filme nicht mehr nur eine fiktive Realität abgebildet haben, sondern wir durch das Reinszenieren der Filme echte Wahrheiten geschaffen haben.

Nun, was passiert also, wenn Familie Abu Chaka, Familie Miri oder andere kriminell organisierte Großfamilien auf den Titelseiten der Nachrichtenmagazine landen? Richtig, es gibt keine schlechte PR. Schon der New Yorker Mafia-Pate John Gotti hat sich gerne von der Presse abbilden lassen und wurde so weit über sein Einflussgebiet hinaus berühmt. Dass solche Ereignisse die Legendenbildung befeuern, der Eitelkeit schmeicheln und einen Ruf heraufbeschwören, der diese Menschen noch größer macht, dürfte aber auch ohne das Beispiel „Gotti“ jedem Journalisten klar sein. Nicht nur, dass es Ängste in der Bevölkerung schürt und von vermeintlichen Realitäten erzählt.

Diese Menschen müssen Clans nicht fürchten

Einer meiner damaligen Lehrer für Selbstverteidigung hat mal gesagt, dass, wer nicht in kriminelle Strukturen verwickelt ist, die Clans nicht fürchten muss: „Es sind schließlich keine Götter! Nur Menschen“.

Normalerweise ist es auch so, dass das überall existierende Gaunermilieu Abstand zur bürgerlichen Welt hält. Sollte man meinen. Mittlerweile bricht hierzulande allerdings die nackte Angst aus, wenn der Name einer berüchtigten Großfamilie fällt und daran ist eine gewisse Legendenbildung beteiligt. Im Klartext: Die Presse ist am Geschäft der Clans mit der Angst beteiligt und stärkt deren Selbstbewusstsein. Ein unfreiwilliger Steigbügelhalter. Das muss uns langsam bewusst werden.

Immer wieder Stress mit Clans

Ihr Nimbus hat beachtliche Strahlkraft entwickelt, die sich längst nicht mehr auf das eigene Habitat beschränkt. Zu meiner Zeit als Türsteher hatten wir in Berlin hin und wieder Stress mit verschiedener solcher Clans. Geregelt haben wir das ausschließlich intern, wobei wir auch keine Alternative hatten. Ansonsten hätten wir unsere Männer gleich von allen Türen abziehen können, die die Clans gerne übernommen hätten.

Außerdem waren der Polizei angeblich die Hände gebunden und ich habe nicht selten erlebt, dass unsere Freunde und Helfer aus eben dieser Angst nicht konsequent durchgegriffen haben, wenn es Auseinandersetzungen mit Clan-Mitgliedern gab.

Clans: Wie kann es sein, dass „Privatgerichte“ außerhalb des Rechtsstaates existieren?

Ein Beispiel? Nachdem der Freundin eines guten Freundes vor ihrer Haustür im Wedding die Kehle durchgeschnitten wurde und sie den Angriff nur knapp überlebte, bewaffnete sich mein Freund und wir formierten uns zu mehreren Gruppen, um den Straftäter zu suchen und ihn der Polizei zu übergeben. Unterwegs entdeckte mein Freund den Mann und feuerte einen Warnschuss ab – der Typ entkam.

Die Aktion sprach sich allerdings im Viertel herum: Ein selbsternannter Clan-Chef trat an meinen Freund heran und bot ihm an, den Täter aufzuspüren und ihn mit seinen Männern in den Wald zu bringen, wo er und seine Freundin dann Rache üben könnten. Ich war bei dem Gespräch dabei und entschied anschließend mit meinem Freund, dass das der falsche Weg ist. Schließlich zog er mit seiner Freundin erst in einen Wohnwagen und dann in ein anderes Viertel um.

Und jetzt die Frage: Wie kann es sein, dass heute „Privatgerichte“ und Institutionen außerhalb des Rechtsstaates existieren, die ihr eigene Gerichtsbarkeit auf die bürgerliche Welt ausbreiten? Wer gibt ihnen diese Macht? Antwort: Wir alle!

Es ist Zeit, der Clan Angst entgegen zu treten

Es ist Zeit, der Clan-Angst entgegenzutreten und ihre Mechanismen zu durchbrechen. Nichts wird besser, wenn wir hetzen, jammern oder Angst haben, denn unsere Angst ist reinster Ego-Dünger für jedes Clan-Mitglied.

Ein Normalbürger kann sich natürlich nicht so wehren wie eine Truppe versierter Türsteher und es geht auch nicht um die Ausübung von Selbstjustiz – aber die Angst darf Ausdruck in Empörung finden. Mehr noch: Sie muss Ausdruck in einer Haltung finden, die es ernst meint mit dem Schutz des Rechtsstaates und die Kommunikation mit den Movern und Shakern einer Szene, die unsere Gesellschaft in erschreckendem Umfang bereits unterwandert hat, nicht allein den Boulevardblättern überlässt.

Machen wir es also zum Thema. In Schulen, in der Gastronomie und überall dort, wo Menschen sich von Clans bedroht fühlen. Vielleicht gelingt es uns, einen eigenen Clan-Gefühl zu entwickeln und die Regeln, die in diesem Land gelten, zu verteidigen.

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