Vernichtende Kritik an Lauterbach: Hamburger Gesundheitskiosk vor dem Aus?
Gerade mal drei Wochen ist es her, dass Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nach Hamburg kam, um den Gesundheitskiosk in Billstedt zum deutschlandweiten Vorbild zu erklären. Überall im Land sollten Einrichtungen wie diese entstehen, die sich um die Gesundheit von Menschen in sozial benachteiligten Gegenden kümmern. Nun steht der Hamburger Kiosk aber vor dem Aus – und einer der Mitgründer übt vernichtende Kritik an Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Wie konnte es so weit kommen?
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Gerade mal drei Wochen ist es her, dass Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nach Hamburg kam, um den Gesundheitskiosk in Billstedt zum deutschlandweiten Vorbild zu erklären. Überall im Land sollten Einrichtungen wie diese entstehen, die sich um die Gesundheit von Menschen in sozial benachteiligten Gegenden kümmern. Nun wurden dem Hamburger Kiosk von den Krankenkassen die Gelder gestrichen. Es droht das Aus. Die niedergelassenen Ärzte üben vernichtende Kritik an Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Wie konnte es so weit kommen?
Die Mail kam am Donnerstag ganz unverhofft. „Vor dem Hintergrund des angekündigten GKV-Finanzierungsstabilisierungsgesetzes, das insbesondere bei den Ersatzkassen in hohem Maße zu Belastungen führen wird, sehen wir künftig keine Finanzierungsmöglichkeit für Gesundheitskioske“, heißt es in einer gemeinsamen Mail von Techniker Krankenkasse, Barmer und DAK an den Gesundheitskiosk an der Möllner Landstraße. Man müsse leider mitteilen, dass man den geschlossenen Vertrag über den 31.12.2022 nicht mehr verlängern könne.
Gesundheitskiosk in Hamburg: Mitarbeiter sind geschockt
Für die Mitarbeiter ist es ein Schock. Fünf Jahre lang hatten sie es mit ihrem Beratungsangebot geschafft, die Krankenhauseinweisungen in Billstedt und Horn um rund 20 Prozent zu senken. Sie erreichten, dass die Anwohner im Vergleich zu früher doppelt so häufig einen Hausarzt aufsuchten, statt abzuwarten, bis Krankheiten erst richtig schlimm wurden.
Da die Finanzierung durch die Krankenkassen nur bis Ende des Jahres vereinbart war, führte man seit August Gespräche über eine Fortführung. Nach MOPO-Informationen liefen diese Gespräche noch. Dennoch kam es nun zur Kündigung.
Hintergrund sind offenbar unterschiedliche Interpretationen dessen, was vom Gesundheitskiosk geleistet wird. Für die Kassen stellt das Beratungsangebot der Mitarbeiter:innen in Wirklichkeit Sozialarbeit dar. Für diese wiederum seien die Krankenkassen aber nicht zuständig. Beitragsgelder dürften dafür nicht verwendet werden.
Gesundheitsminister Lauterbach hatte Gesundheitskiosk zum deutschlandweiten Vorbild erklärt
Dabei hatte Lauterbach bei seinem Besuch in der Hansestadt angekündigt, bis zu 1000 Gesundheitskioske nach Hamburger Vorbild einzurichten. Die Kosten dafür sollten nach Vorstellung der Ampel-Koalition von den gesetzlichen Krankenkassen zu 74,5 Prozent getragen werden, von den privaten zu 5,5 Prozent. Den Rest sollten die Kommunen übernehmen.
Jürgen Albrecht, Sprecher des Patientenbeirates vom Gesundheitskiosk in Billstedt, ist erschüttert: „Ich habe mit Entsetzen mitbekommen, dass meine Krankenkasse – die Techniker – den Gesundheitskiosk nicht mehr finanzieren will. Das macht mich verzweifelt, weil wir auf den Gesundheitskiosk angewiesen sind. Patienten von dem wichtigen Angebot gerade hier in Billstedt und Horn ausgeschlossen werden. Und das obwohl der Gesundheitskiosk überall so gelobt wird.“
Scharfe Kritik vom Ärztenetz Billstedt/Horn: Gesundheitsminister Lauterbach sei „unsozial“
Nach MOPO-Informationen sind immerhin 2031 Kunden des Gesundheitskiosk bei der Barmer, Techniker oder DAK versichert. Sie alle dürfen dort nun nicht mehr behandelt werden und werden dadurch gewissermaßen von ihren eigenen Kassen im Stich gelassen.
Umso deutlicher äußerte sich Dr. Dirk Heinrich vom Ärztenetz Billstedt/Horn, das zu den Mitgründern und Gesellschaftern des Gesundheitskiosks zählt. Heinrich sieht die Schuld am Rückzug der Kassen bei Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Der Gesundheitskiosk sei der „chaotischen“ Politik des Ministers zum „Opfer“ gefallen, da die Kassen durch das Finanzierungsgesetz unter erheblichen Druck geraten seien.
„Lauterbach zerstört mit seiner erratischen und inkonsistenten Politik die gute Versorgung ausgerechnet in sozialen Brennpunkten“, so Heinrich, der auch Vorsitzender des Virchowbunds ist. Schon nach zehn Monaten Amtszeit habe die Politik des Ministers „nachhaltig negative Auswirkungen auf die Versorgung der sozial Schwächsten. Heinrich: „Ich halte Lauterbach deshalb inzwischen für den unsozialsten Sozialdemokraten.“
AOK will den Gesundheitskiosk weiter unterstützen
Von Seiten des Bundesgesundheitsministeriums hieß es am Donnerstag zu dem Vorgang nur, man gebe „zum Vertragsverhalten einzelner Krankenkassen und zu den Vertragsinhalten keine Bewertung ab“.
Die SPD-Fraktion in Hamburg äußerte sich kritisch im Hinblick auf das Verhalten der Krankenkassen: „Die Entscheidung der Krankenkassen ist für uns nicht nachvollziehbar“, so die gesundheitspolitische Sprecherin Claudia Loss. „Wir fordern, dass die Kassen ihre Argumentation noch einmal überdenken. Gute Präventionsangebote vor Ort in Form von lokalen Gesundheitskiosken oder -zentren werden langfristig dazu beitragen, die Krankenkassen zu entlasten.“
Wie es nun weiter geht, bleibt unklar. Sollte sich nicht schnell eine Lösung abzeichnen, drohen an der Möllner Landstraße Kündigungen, wenn nicht sogar das Aus der Beratungsstation.
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Die AOK Rheinland/Hamburg hat schon mal erklärt, an ihrer Unterstützung des Gesundheitskiosks festzuhalten. Vorstandsmitglied Matthias Mohrmann: „Die Gesundheitschancen vieler Menschen sind aufgrund sozioökonomischer Benachteiligungen eingeschränkt. Wir werden unser vertraglich vereinbartes Engagement für den Gesundheitskiosk in Hamburg-Billstedt/Horn deshalb auch über das Jahr 2022 hinaus fortsetzen.“ Mohrmann forderte die Politik auf, neue Wege zu finden, damit „auch den Ersatzkassen eine Fortführung dieses wichtigen Versorgungsprojekts“ ermöglicht werde.