Konflikt-Stadtteil Billstedt: „Wir leben in unterschiedlichen Welten“
Die einen denken bei Billstedt nur die Hochhaussiedlung Mümmelmannsberg, Kriminalität und Armut, die anderen sind eigentlich gut vernetzt, mögen die Leute. So wie Angela Niedenführ (71) und Mehmet Taci Bakan (38). Sie lebt schon ihr ganzes Leben in Billstedt, er ist vor acht Jahren aus der Türkei hergezogen. Die MOPO machte mit den beiden einen Spaziergang durch ihren Stadtteil. Und stieß auf Gemeinsamkeiten, aber auch auf große, schwelende Konflikte.
Die einen denken bei Billstedt nur an die Hochhaussiedlung Mümmelmannsberg, Kriminalität und Armut, die anderen sind eigentlich gut vernetzt, mögen die Leute. So wie Angela Niedenführ (71) und Mehmet Taci Bakan (38). Sie lebt schon ihr ganzes Leben in Billstedt, er ist vor acht Jahren aus der Türkei hergezogen. Die MOPO machte mit den beiden einen Spaziergang durch ihren Stadtteil. Und stieß auf Gemeinsamkeiten, aber auch auf große, schwelende Konflikte.
Angela Niedenführ sitzt im „Back-Lava“ an der Billstedter Hauptstraße. Vor ihr stehen die namensgebenden Köstlichkeiten, neben ihr sitzt der Filialbesitzer Mehmet Taci Bakan. Niedenführ lebt seit 71 Jahren in Billstedt – seit ihrer Geburt nämlich. Die einzige Unterbrechung war ihr Studium. „Danach sind mein Mann und ich sofort wieder hergezogen“, erzählt sie. „Wir sind super im Stadtteil vernetzt, kennen und mögen viele Leute. Außerdem geht es hier angenehm locker zu. Keiner trägt seine Nase zu weit oben.“
Billstedt: Migrationsanteil liegt bei 61,2 Prozent
Im Laufe des Gesprächs wird jedoch deutlich: Niedenführ trägt eine Menge Frust mit sich herum. „Unsere Sicht auf den Stadtteil unterscheidet sich wahrscheinlich etwas“, sagt sie zu Mehmet Taci Bakan bei einem gemeinsamen Spaziergang durch das Viertel. „Wir leben in unterschiedlichen Welten.“

Bakan kam vor neun Jahren nach Deutschland und startete den Laden in Billstedt. Seine Frau, ebenfalls türkischer Herkunft, wurde hier geboren. Der Restaurantbesitzer weiß genau, warum er diesen Stadtteil so liebt: „Zum einen ist hier von morgens bis abends etwas los“, sagt er. „Zum anderen fühle ich mich hier wie Zuhause, Heimweh kommt nicht auf. Es gibt so viele Kulturen und ich finde es einfach, mich zu integrieren. Hier leben Türken, Ukrainer, Russen, Albaner, Deutsche, … Ich kann zu 80 Prozent türkisch sprechen.“
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Angela Niedenführ ist skeptisch: „Das nenne ich aber nicht Integration. Ich sehe das so: Wer hierherzieht, muss auch die Sprache lernen.“ 2021 betrug der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund in Billstedt 61,2 Prozent – ein Plus von fast zwei Prozent im Vergleich zu 2019. Insgesamt leben in dem Stadtteil rund 70.000 Menschen. Das Zusammenleben ist nicht immer einfach, sagt Angela Niedenführ: Am liebsten geht man sich aus dem Weg. „Die jüngeren Generationen schicken ihre Kinder möglichst auf die Schule mit dem geringsten Ausländeranteil“, erzählt Thorsten Pohle, der mit Niedenführ gemeinsam im Stadtteilverein arbeitet.
Alltagsrassismus wird in Billstedt immer wieder sichtbar
Dass an den Schulen nicht alles rund läuft, gibt auch Bakan zu, der Billstedt sonst sehr lobt. „Meine Frau ist Lehrerin“, sagt er. „In den Klassen gibt es nicht nur Verständigungsprobleme. Man merkt, dass die Kinder keine Unterstützung von ihren Eltern erfahren. Im Gegenteil: Oft können sie sich wegen familiärer Probleme kaum konzentrieren.“

Angst hat Angela Niedenführ nicht, das betont sie immer wieder. „Hier gibt es Gangs, die sich untereinander bekämpfen, aber wir kriegen davon wenig mit.“ Was wohl weltoffen wirken soll, kommt doch etwas befremdlich rüber: „Wenn ich hier Fahrrad fahre zum Beispiel, habe ich gar keine Angst“, sagt sie. Sie deutet auf ein Pärchen mit türkischem Migrationshintergrund: „Die beiden da zum Beispiel, die tun mir doch nichts!“

Im Gegensatz zu vielen anderen Billstedtern leben Angela Niedenführ, Thorsten Pohle und Mehmet Taci Bakan nicht in Hochhäusern, sondern in Einzelhäusern mit Garten. „Bei mir ist es so schön ruhig und grün, ich liebe es“, sagt Niedenführ. Auch das gibt es in Billstedt. Aber: „Abends weggehen kann man hier nicht. Um zehn machen die Restaurants zu und Bars oder Diskos gibt es nicht“, so Thorsten Pohle. Und auch, wenn sie die Baklava mit Genuss verspeist, sagt Niedenführ: „Mir fehlt hier ein deutsches Restaurant. Es gibt fast nur Türken, Araber oder Griechen. Bleibt nur noch das Schweinske.“

Obwohl er glücklich ist über sein Leben in Billstedt, sieht Bakan die Probleme. „Hier zum Beispiel wohnen viele ausländische Großfamilien mit fünf bis sechs Kindern. Es ist eng“, sagt er, als er der MOPO ein sichtbar heruntergerocktes Gebäude in der Straße Kirchlinden zeigt. „Der Nachwuchs spielt meist auf dem Parkdeck Fußball oder so. Ein bisschen wie in der Türkei.“
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Als die beiden die Gegend rund um die Billstedter Hauptstraße hinter sich lassen, wird der Ton etwas versöhnlicher. „Die Infrastruktur ist schon gut hier im Stadtteil. Und es gibt immer wieder schöne interkulturelle Begegnungen“, sagt Angela Niedenführ und Mehmet Taci Bakan stimmt ihr zu. „Aber wir müssen lernen, mehr aufeinander zuzugehen“, meint der Restaurantbesitzer.