Kommt Putin in die Hölle? So denkt Hamburgs russischer Erzpriester über den Krieg
Kirchenführer weltweit sind entsetzt, dass das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill, fest an der Seite von Wladimir Putin steht. Sie werfen dem Geistlichen vor, der religiöse Verbündete des Kriegsverbrechers zu sein. Tatsächlich hat der mächtige Kyrill den Krieg in seinen Predigten als „metaphysischen Kampf von Gut gegen Böse“ überhöht, er geißelt die „falschen Wahrheiten“ des Westens, etwa Toleranz gegenüber Homosexuellen, appelliert an Soldaten, ihren vaterländischen Eid zu erfüllen und fordert die Einhaltung „göttlicher Gesetze“.
Zu Hamburg hat Patriarch Kyrill ein besonderes Verhältnis: Er weihte 2007 die Kirche des Heiligen Johannes von Kronstadt, die am Rande des Karoviertels direkt vor der Messe steht. Die Kirche gehört zum Moskauer Patriarchat. Seit Russland die Ukraine überfallen hat, unterstützt die hiesige russisch-orthodoxe Gemeinde mit aller Kraft ukrainische Flüchtlinge, die nach Hamburg kommen. Der Kirchenvorsteher, Erzpriester Sergey Baburin, spricht in seinen Predigten über den „Brudermord“ in der Ukraine, sammelt Spenden für Flüchtlinge und betet für ein Ende des Blutvergießens. Wie passt das zu der Kriegsrhetorik des Moskauer Patriarchen?
Die MOPO sprach mit dem Geistlichen über die verstörende Treue seines kirchlichen Oberhauptes zu einem Kriegstreiber, über sein ganz privates Verhältnis zur Ukraine und über die Frage, ob Putin für seine Untaten in die Hölle kommt.
MOPO: Erzpriester Baburin, das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill, hat russische Soldaten aufgefordert, ihren vaterländischen Eid zu erfüllen. Er hat den Krieg gegen die Ukraine gesegnet. Sie hingegen sammeln seit Kriegsbeginn Spenden für ukrainische Flüchtlinge. Wie beurteilen Sie die Haltung des Patriarchen?
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Kirchenführer weltweit sind entsetzt, dass das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill, fest an der Seite von Wladimir Putin steht. Sie werfen dem Geistlichen vor, der religiöse Verbündete des Kriegsverbrechers zu sein. Tatsächlich hat der mächtige Kyrill den Krieg in seinen Predigten als „metaphysischen Kampf von Gut gegen Böse“ überhöht, er geißelt die „falschen Wahrheiten“ des Westens, etwa Toleranz gegenüber Homosexuellen, appelliert an Soldaten, ihren vaterländischen Eid zu erfüllen und fordert die Einhaltung „göttlicher Gesetze“.
Zu Hamburg hat Patriarch Kyrill ein besonderes Verhältnis: Er weihte 2007 die Kirche des Heiligen Johannes von Kronstadt, die am Rande des Karoviertels direkt vor der Messe steht. Die Kirche gehört zum Moskauer Patriarchat. Seit Russland die Ukraine überfallen hat, unterstützt die hiesige russisch-orthodoxe Gemeinde mit aller Kraft ukrainische Flüchtlinge, die nach Hamburg kommen. Der Kirchenvorsteher, Erzpriester Sergey Baburin, spricht in seinen Predigten über den „Brudermord“ in der Ukraine, sammelt Spenden für Flüchtlinge und betet für ein Ende des Blutvergießens. Wie passt das zu der Kriegsrhetorik des Moskauer Patriarchen?
Die MOPO sprach mit dem Geistlichen über die verstörende Treue seines kirchlichen Oberhauptes zu einem Kriegstreiber, über sein ganz privates Verhältnis zur Ukraine und über die Frage, ob Putin für seine Untaten in die Hölle kommt.
MOPO: Erzpriester Baburin, das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill, hat russische Soldaten aufgefordert, ihren vaterländischen Eid zu erfüllen. Er hat den Krieg gegen die Ukraine gesegnet. Sie hingegen sammeln seit Kriegsbeginn Spenden für ukrainische Flüchtlinge. Wie beurteilen Sie die Haltung des Patriarchen?
Baburin: Ich habe mir die jüngste Predigt des Patriarchen angehört. Die meisten Zuhörer waren Soldaten und natürlich haben sie auf die Worte des Patriarchen gewartet. Er sagte, wir alle müssen alles tun, um das Blutvergießen zu beenden. Aber es gab keine direkte Segnung für den Krieg, auch wenn viele das daraus gehört haben wollen.
Der Patriarch hat aber den Angriff auf die Ukraine als metaphysischen Kampf von Gut gegen Böse gerechtfertigt. Er nannte als Beispiel Schwulenparaden.
Der Patriarch ist eine Figur des öffentlichen Lebens, er äußert sich zu vielen Fragen. Die Äußerungen, von denen Sie sprechen, sind private Äußerungen des Patriarchen. Diese sind für uns nicht bindend. Wir beten für Ihn als geistlichen Lehrer.
Benutzen Sie das Wort ‘Krieg‘?
Ja, das tue ich vom Kontext abhängig.
Die russisch-orthodoxen Gemeinden in Amsterdam und in Belgien beten nicht mehr für Kyrill. Wegen seiner Unterstützung des Krieges.
Die Geistlichen in diesen Gemeinden sind Holländer, die können vielleicht eher sagen ‚ich nehme das nicht an‘. Für mich geht das nicht. Ein russisches Sprichwort dazu sagt: Mein Herz wird mit Blut übergossen.
Was muss passieren, damit Sie sich vom Patriarchen Kyrill lossagen?
Wenn er eine falsche christliche Lehre verbreiten würde. Aber nicht wegen seiner politischen Äußerungen.
Trotzdem sagen Sie, dass ihr Herz blutet.
Ich hielt das immer für eine Metapher, aber heute weiß ich, es ist ein realer Zustand. Ich bin zu einem Achtel Ukrainer, meine Ehefrau kommt aus der Ukraine, meine Söhne haben zwei Großmütter, eine in Russland, eine in der Ukraine. Es ist ein ständiger Schmerz, selbst im Schlaf.
Gibt es Gemeindemitglieder, die den Krieg gutheißen? Die glauben, dass die Ukrainer Nazis sind?
Unsere Kirche ist kein Ort für politische Diskussionen. Ich weiß, dass uns das vorgeworfen wird, wir bekommen viele Mails dazu, jeden Tag werden wir aufgefordert, politische Bekenntnisse abzugeben. Jeden Tag, von allen Seiten. Uns wird gesagt, dass man mit Gebeten nicht mehr weit kommt. Es tut weh, das zu hören, aber der Glaube soll die Menschen vereinen, die Politik bringt sie auseinander.
Das klingt jetzt sehr idealistisch in Kriegszeiten.
Ein Beispiel: Wir sind fünf Priester in der Gemeinde, einer aus der Ukraine, einer aus Estland, einer aus Belarus und zwei aus Russland. Geistlich sind wir eins, aber politisch überlassen wir jedem seine persönliche Überzeugung. Die Politik bleibt vor der Kirchentür.
Aber hinter der Kirchentür hilft die Gemeinde den Leidtragenden der Politik.
Wir sammeln Geld, mit dem sofort und ohne bürokratischen Aufwand geholfen wird. Wir nehmen Familien im Tschaikowsky-Haus neben der Kirche auf, jeweils rund eine Woche, um die ersten Schritte zu begleiten. Rund 100 Freiwillige helfen bei allem, etwa als Dolmetscher. Es ist eine große Not, wir helfen. Darum geht es im Christentum im Bezug auf die Nächstenliebe.
Es ist schwer zu verstehen, dass der Patriarch in Moskau den Krieg rechtfertigt und Sie hier die Ukrainer in Not versorgen. Was sagt Moskau denn dazu?
Das steht in keinem Konflikt. Der Patriarch selbst ruft alle orthodoxen Kirchengemeinden zur Hilfe auf. Unser Erzbischof in Berlin ist auch extrem engagiert, nimmt selbst Busse mit Flüchtlingen in Empfang.
Ganz ehrlich, das ist für Außenstehende kaum zusammenzubringen. Wenn der Patriarch selbst von Brudermord spricht, warum nutzt er seinen Einfluss nicht, um den Krieg zu beenden?
Wir können weder beurteilen noch kommentieren, warum der Patriarch etwas nicht tut, wir kennen seine Gründe nicht.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die Bilder aus Butscha gesehen haben?
Wenn bewiesen ist, wer für diese Gräueltaten verantwortlich ist, dann müssen die Täter bestraft werden.
Hadern Sie jemals mit Gott?
Gott gibt Antworten. Gerade heute während der Liturgie ist etwas Interessantes passiert: Wir lasen ein salomonisches Gleichnis aus dem Alten Testament. Der Aufbrausende, heißt es darin, zündet Konflikte an. Und der Geduldige befriedet die Kriege 15:18. Das heißt: Wenn ich Informationen bekomme, die mich aufbrausen lassen, dann muss ich meine Emotionen unter Kontrolle bringen, in einem Gebet. Und dann kann ich darüber sprechen und geduldig die Kriege befrieden.
Das klingt etwas weltfremd.
Wissen Sie, ich bin kein Politiker. Ich bin es gewohnt, so zu sprechen.
Kommt ein Soldat, der einen gefesselten Zivilisten erschießt, in die Hölle? Kommt Putin in die Hölle?
Das hat keiner von uns Menschen zu entscheiden, Gott sei Dank. Christus hat noch für Judas gekämpft, als Er schon den Leidensweg betrat. Und im Lukas- Evangelium lesen wir Jesu Worte, gerichtet an den neben Ihm gekreuzigten Räuber: Wahrlich ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein 23:43.
Das Morden in der Ukraine lässt Sie nie in Ihrem Glauben schwanken?
Gott hat uns kein einfaches Leben versprochen. Aber hat versprochen, bei uns zu bleiben und uns zu helfen, unser Kreuz zu tragen.