Kolumne: Ein bisschen Rassismus ist verhältnismäßig?
Die Innenbehörde setzte in dieser Woche vor Gericht die Rechtsauffassung durch, dass Menschen auch aufgrund ihrer Herkunft und Hautfarbe verstärkt kontrolliert werden dürfen. Marco Carini sieht in seiner MOPO-Kolumne für die Polizei nun einen Freibrief.
Alle Dealer sind Westafrikaner, aber nicht alle Westafrikaner sind Dealer: Unter dieser Maxime darf die Hamburger Polizei auch in Zukunft Menschen kontrollieren, die von ihrem äußeren Erscheinungsbild in das von der Polizei erstellte Täterprofil passen. Und das lautet in Bezug auf den Straßenhandel mit Drogen: männlich, jung und vor allem schwarz.
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Die Innenbehörde setzte in dieser Woche vor Gericht die Rechtsauffassung durch, dass Menschen auch aufgrund ihrer Herkunft und Hautfarbe verstärkt kontrolliert werden dürfen. Marco Carini sieht in seiner MOPO-Kolumne für die Polizei nun einen Freibrief.
Alle Dealer sind Westafrikaner, aber nicht alle Westafrikaner sind Dealer: Unter dieser Maxime darf die Hamburger Polizei auch in Zukunft Menschen kontrollieren, die von ihrem äußeren Erscheinungsbild in das von der Polizei erstellte Täterprofil passen. Und das lautet in Bezug auf den Straßenhandel mit Drogen: männlich, jung und vor allem schwarz.
Ein aus Togo stammender Mann, der auf St. Pauli lebt, war vor Gericht dagegen zu Felde gezogen, dass er auf dem Weg zur Arbeit, beim Einkaufen oder auf dem Rückweg vom Sport ständig von der Polizei angehalten, nach seinem Ausweis gefragt und teilweise sogar durchsucht und in Handschellen auf die Davidwache verbracht worden war. Damit wird Barakat H. nun nach einem vergangenen Donnerstag ergangenen Urteil des Hamburger Oberverwaltungsgerichts (OVG) wohl auch in Zukunft leben müssen.
OVG erklärte anlasslose Kontrolle von Barakat H. für rechtmäßig
Die Entscheidung war mit Spannung erwartet worden. Das OVG erklärte eine anlasslose Kontrolle und Identitätsfeststellung von Barakat H., den ein Streifenpolizist zu Unrecht in Verdacht hatte, er würde mit Drogen handeln, für rechtmäßig. Damit kassierten die Richter ein anderslautendes Urteil des Verwaltungsgerichtes, das solche Kontrollen für generell unzulässig erklärt hatte und das einschneidende Konsequenzen für die praktische Polizeiarbeit gehabt hätte. Routinekontrollen wären damit unmöglich, zumindest aber juristisch leicht angreifbar geworden.
Das neue Urteil, dessen Begründung noch nicht vorliegt und das die Innenbehörde deshalb „nicht kommentieren“ möchte, bedeutet für die Polizei hingegen de facto einen Freibrief. Einen Freibrief, ohne ganz konkrete Verdachtsmomente die Personalien von Personen festzustellen, sie gegebenenfalls auch zu durchsuchen und sie bei Weigerung abzuführen. Es bedeutet vor allem auch, dass Herkunft und Hautfarbe einer Person vom Gericht als Grund anerkannt werden, eine Person zu kontrollieren – was der Kläger und viele Flüchtlingsinitiativen als „Racial Profiling“, als „rassistische Kontrolle“, bewerten.
Innenbehörde geht gegen Urteil des Verwaltungsgerichts in Berufung
Das Verwaltungsgericht hatte in erster Instanz noch Barakat H., der nie mit Betäubungsmittel-Delikten in Berührung gekommen war, recht gegeben, dass anlasslose Kontrollen generell rechtswidrig seien. Die Innenbehörde war dagegen in Berufung gegangen.
Ihre Rechtsauffassung, die jetzt vom OVG Hamburg abgesegnet wurde, lautet: Das äußere Erscheinungsbild einer Person darf ein Kriterium sein, deren Personalien zu kontrollieren. Sie bezieht sich dabei auf eine Urteilsbegründung des OVG Nordrhein-Westfalen, in der es heißt: „Liegen Erkenntnisse vor, dass Delikte von Personen aus bestimmten Herkunftsländern bzw. von Personen mit einem bestimmten äußeren Erscheinungsbild begangen werden, ist es nicht zu beanstanden, wenn derartige äußere Merkmale (…), sei es beispielsweise die Hautfarbe (…), bei der Entscheidung mit berücksichtigt werden. Hingegen darf die Hautfarbe des Betroffenen nicht das ausschlaggebende Kriterium für eine Ausweiskontrolle sein.“ Da alle polizeilichen Lagebilder auswiesen, dass der Drogenhandel auf St. Pauli überwiegend in der Hand von aus Westafrika stammenden Männern liege, sei es, so die Innenbehörde, nicht nur verhältnis- und rechtmäßig, „sondern im Hinblick auf die effektive Kriminalitätsbekämpfung sogar zwingend, Personen mit diesen Merkmalen zu kontrollieren“.
Klägeranwalt Carsten Gericke findet Entscheidung des OVG „enttäuschend“.
Für Klägeranwalt Carsten Gericke hingegen ist die aktuelle Entscheidung des OVG „enttäuschend“. Sie zeige „die existierenden institutionellen Widerstände, wenn es darum geht, Rassismus in der Polizeiarbeit zu adressieren“. Gericke: „Das OVG hat die Chance verpasst, den gesellschaftlichen Entwicklungen, die von der ,Black Lives Matter‘-Bewegung angestoßen wurden, Rechnung zu tragen und auf eine diskriminierungsfreie Kontrollpraxis der Hamburger Polizei hinzuwirken.“ Der Kläger überlege nun, „gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen, mit dem Ziel, eine Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht herbeizuführen“.
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Die wäre nicht nur für Hamburg wichtig. Ob anlasslose Polizeikontrollen rechtmäßig sind und Hautfarbe oder Herkunft ein Grund sein dürfen, permanent von der Polizei kontrolliert zu werden, sollte ein für alle Mal geklärt werden. Die generelle Abwägung zwischen dem Schutz des Einzelnen vor rassistischer Diskriminierung und den praktischen Erfordernissen polizeilicher Fahndungsarbeit müssen qualifizierte Richter und nicht der Streifenpolizist auf der Straße vornehmen.