Großer Auftritt in Hamburg: Der Impfschäden-Anwalt und sein krudes Weltbild
Erst VW, jetzt Biontech: Der Anwalt Tobias Ulbrich scheint ein Faible für mächtige Gegner und die große Bühne zu haben. Ulbrich wurde durch Prozesse rund um den VW-Abgasskandal bekannt und spezialisierte sich zuletzt auf Impfschäden. Mitte Juni sollte er eine Mandantin in Hamburg beim ersten Prozess gegen den Impfstoffhersteller Biontech vertreten. Er nutzt den Auftritt für die große Inszenierung. Schaut man aber genauer hin, findet man bei dem Juristen einen deutlichen Hang zu Verschwörungstheorien, große Nähe zur „Querdenker“-Bewegung und eine klare Mission, zu der er sich berufen fühlt.
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Erst VW, jetzt Biontech: Der Anwalt Tobias Ulbrich scheint ein Faible für mächtige Gegner und die große Bühne zu haben. Ulbrich wurde durch Prozesse rund um den VW-Abgasskandal bekannt und spezialisierte sich zuletzt auf Impfschäden. Mitte Juni sollte er eine Mandantin in Hamburg beim ersten Prozess gegen den Impfstoffhersteller Biontech vertreten. Er nutzt den Auftritt für die große Inszenierung. Schaut man aber genauer hin, findet man bei dem Juristen einen deutlichen Hang zu Verschwörungstheorien, große Nähe zur „Querdenker“-Bewegung und eine klare Mission, zu der er sich berufen fühlt.
Rechtsanwalt Tobias Ulbrich (51), ein kräftiger Mann in teurem Anzug, wirkt, als wolle er stets der Experte im Raum sein. Ein Typ, der die Vorstellung, keine Antwort zu haben, nicht erträgt. Er kommt vom Transport- und Speditionsrecht, gründete mit einem Partner die Kanzlei Rogert & Ulbrich in Düsseldorf und spezialisierte sich zuletzt auf Impfschäden. Nach eigenen Angaben bearbeitet seine Kanzlei derzeit über 1000 Mandate auf dem Gebiet und führte bereits über 4000 Erstberatungen.
Biontech-Prozess: Der Anwalt mit den steilen Thesen
Ulbrich ist eine schillernde Persönlichkeit. Am Telefon ist er eloquent, jemand der Fachtermini der Medizin nutzt, um etwas zu erklären und gerne auf englische Studien verweist, die seine Ansichten untermauern würden. Im Netz schlägt er jedoch andere Töne an: So geriert er sich auf seiner privaten Webseite „Jetzt Demokratie“ mit „95 Thesen“ als eine Art zweiter Martin Luther, der zwar nicht die Kirche, dafür jedoch Deutschland reformieren möchte.
Seine Thesen sind dabei teilweise erschreckend rabiat. In These 58, Gesundheitspolitik, heißt es: „Das Strafrecht ist für derartige neue Straftatbestände, wie die vorgetäuschte Infektion über den PCR-Tests zum Zwecke des Vertriebs von Impfstoffen mit lebenslanger Haft zu versehen.“ Bedeutet: Eine mittels PCR-Test bestätigte Corona-Infektion sei lediglich ein Mittel der Panikmache, um Impfstoffe zu verkaufen, und müsste – wie Mord – mit lebenslang Knast geahndet werden.
Er spricht auf der Webseite von einer „weltweit vernetzten Wirtschaftsdiktatur“, diffamiert Medien als „Dauerwerbeträger nur einer einheitlichen weltweiten Botschaft“ und behauptet, Presse und Gerichte hätten eine „Personalbesetzungsstrategie“, die zugunsten der Wirtschaftsdiktatur „willfährig nur das berichten, was berichtet werden soll“. Ulbrich bedient damit eine Sprache und Weltsicht wie sie auch im sogenannten „Querdenker-Milieu“ verbreitet ist. In diesem trat Ulbrich übrigens auch ganz konkret auf: In einer Videoreihe, die sich „Corona-Ausschuss“ nennt.
Auf Nachfrage will er am liebsten, dass, wenn man über seinen Prozess schreibt, seine veröffentlichten Thesen und Ansichten nicht mit seiner Tätigkeit als Anwalt in Verbindung gebracht werden. Dabei fabuliert er von Hochverrat, einem Angriff auf das Volk, davon, dass Journalisten nicht kritisch über Impfungen oder überhaupt die Interessen der Herrschenden schreiben dürfen und diagnostiziert eine weltweite Verschwörung.
Hamburg: Anwalt lässt Prozess-Auftakt platzen
Mindestens 150.000 Euro Schadensersatz fordert Ulbrichs Mandantin von Biontech. Am 12. Juni sollte der bundesweit erste Prozess gegen den Impfstoffhersteller beginnen. Sie habe seit und infolge der Impfung unter anderem Schmerzen im Oberkörper, Schwellungen der Extremitäten sowie Erschöpfung, Müdigkeit und Schlafstörungen, sagt die Klägerin. Biontech bestreitet, dass es sich dabei um Folgen der Impfung handelt.
Doch zum Prozess-Auftakt am Montag, den 12. Juni, kam es nicht. Anwalt Tobias Ulbrich stellte einen Befangenheitsantrag gegen den Richter. Wie die MOPO erfahren hat, kam der Antrag am Freitag vor dem Termin jedoch so spät im Gericht an, dass keiner ihn mehr in Augenschein nehmen konnte. Dadurch erfuhren die Medien nicht rechtzeitig von der Terminaufhebung und erschienen am Montag zahlreich am Sievekingplatz. Ulbrich nutzte diese Bühne für einen großen Auftritt – eine perfekte Inszenierung.
Doch was passierte, bevor Ulbrich den Auftakt platzen ließ? „Wir wunderten uns, dass wir in Hamburg auf einmal an einer Zivilkammer waren, wo offensichtlich ein Richter in Abordnung saß“, sagt Ulbrich zur MOPO. Er sieht den Fall aufgrund seiner Bedeutung und Komplexität als eine Kammer-Angelegenheit.
Prozess: Klägerin muss Schaden durch Impfung beweisen
Dass die Klage auf Schadensersatz zunächst vor einem Einzelrichter und nicht vor einer Kammer landete, ist nicht ungewöhnlich. Eine Kammer braucht es erst, wenn der Fall sehr komplex ist und die Rechtsfragen über den Einzelfall hinausgehen. Das muss erst einmal herausgefunden werden.
Doch wie stehen die Chancen, die Verbindung zwischen Impfstoff und gesundheitlichen Einschränkungen nachzuweisen? „Einen einzigen Schaden durch eine Ersatzkausalität wegzubeweisen, wird relativ einfach sein“, sagt Tobias Ulbrich. „Es ist aber für Biontech unglaublich schwierig, diese Kombination der gesundheitlichen Schäden, die normalerweise nicht zusammen auftreten, wegzubeweisen.“
Und weiter: „Wir müssen nur eine geringe Wahrscheinlichkeit zwischen Impfung und Schaden darlegen. Die Kausalitätsfrage beantwortet das Gesetz. Das heißt, der Gegner, also der Impfhersteller, ist dafür beweisbelastet, dass sein Vakzin keinen Beitrag zum Schaden geleistet haben kann. Das Gesetz sieht auch unmittelbar vor, wie er das zu tun hat. Er muss nämlich darlegen und beweisen, dass es an etwas anderem gelegen hat.“
Doch ganz so leicht ist es nicht: In einem Fall wie dem Prozess gegen Biontech braucht es zunächst Klarheit, wie das gesundheitliche Bild der Klägerin tatsächlich aussieht. Erst wenn sie und ihr Anwalt beweisen können, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen in typischer Weise auf dem Impfstoff beruhen, greift die Beweislastumkehr – wenn sich also herausgestellt hat, dass der Impfstoff generell geeignet ist, schädliche Wirkungen hervorzurufen. Dann läge es an Biontech zu beweisen, dass in diesem konkreten Fall die Schäden nicht durch den Impfstoff kommen.
Impfschäden durch Corona-Vakzin sehr selten
Dauerhafte Impfschäden gibt es, sie sind jedoch extrem selten. Sie werden oftmals als „Post-Vac-Syndrom“ bezeichnet, wobei die Symptome denen von Long Covid ähneln. „Die Bandbreite in der Symptomatik und im Schweregrad ist groß, und reicht von Leistungsminderung über neurokognitive Störungen bis zu unspezifischem Herzrasen und chronischen Herzmuskelentzündungen, die zur Arbeitsunfähigkeit führen können“, sagt Professor Bernhard Schieffer.
Der Kardiologe leitet die Post-Covid-Ambulanz an der Uniklinik Marburg. Die Ambulanz ist im Frühjahr 2021 als eine der ersten in Deutschland ins Leben gerufen worden. Schieffer und sein Team kümmern sich um Menschen, die nach einer Corona-Infektion, aber auch nach einer Impfung, langanhaltende Beschwerden haben.
Da die Beschwerden oft komplex sind, beschäftigt sich ein interdisziplinäres Team mit den Patienten. Die Warteliste umfasst aktuell rund 7400 Patienten, heißt es in einer Mitteilung der Ambulanz. Eine Häufung von Impfschäden bei einem bestimmten Impfstoff könne er jedoch nicht feststellen, sagt Schieffer zur MOPO. „Aber ich formuliere es mal so: Biontech war irgendwann jedoch Hauptimpfstoff und Hauptimpfstoff-Lieferant.“ Heißt: Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass hier am meisten Schäden gemeldet werden.