Kind nach OP verstorben: Warum die Ärzte ihre Strafen nicht bezahlen müssen
Es war ein erschütternder Fall: Ein neunjähriger Junge verstirbt nach einer kurzen Routine-OP mit Vollnarkose in einer Harburger HNO-Praxis – nun wurden der Operateur und der Mit-Inhaber der Praxis nach einem Mammut-Prozess verurteilt. Die Vorsitzende Richterin sprach von einem „überaus tragischen Unglücksfall“ und erklärte, warum die Kammer die beiden Mediziner zwar zu hohen Geldstrafen verurteilt hat, ihnen aber gleichzeitig deren Bezahlung erlässt.
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Es war ein erschütternder Fall: Ein neunjähriger Junge verstirbt nach einer kurzen Routine-OP mit Vollnarkose in einer Harburger HNO-Praxis – nun wurden der Operateur und der Mit-Inhaber der Praxis nach einem Mammut-Prozess verurteilt. Die Vorsitzende Richterin sprach von einem „überaus tragischen Unglücksfall“ und erklärte, warum die Kammer die beiden Mediziner zwar zu hohen Geldstrafen verurteilt hat, ihnen aber gleichzeitig deren Bezahlung erlässt.
Der HNO-Facharzt (65), der im März 2007 den Schüler in seiner Praxis operiert hatte, wurde wegen fahrlässiger Körperverletzung mit Todesfolge zu 66.000 Euro Geldstrafe verurteilt (150 Tagessätze à 440 Euro, ab 91 Tagessätzen gilt man als vorbestraft). Der Mit-Inhaber der Praxis (69) müsste wegen Beihilfe zur Unterlassung 5250 Euro (75 Tagessätze à 70 Euro) zahlen, aber: „Wegen der überlangen Verfahrensdauer gelten beide Strafen als vollstreckt“, so die Vorsitzender Richterin.
Die Begründung: Es habe „rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen von staatlicher Seite“ gegeben. So wurden die Ermittlungen gegen den Mit-Inhaber der Praxis 69 Monate lang nicht vorangetrieben, im Fall des Operateurs passierte bei der Justiz gar 100 Monate lang nichts – mehr als acht Jahre. Der Prozess schließlich dauerte weitere 13 Monate. „Das bedeutete eine extrem große Belastung für die Angeklagten und den Nebenkläger.“
Vater des toten Jungen ist ein „gebrochener Mann“
Der Nebenkläger ist der Vater des Jungen: „Ein gebrochener Mann“, wie die Richterin sagt. Sie spricht von einer „absoluten Tragik“ für die Eltern, die sich nach dem Tod ihres Kindes getrennt hatten. Der Vater hatte sein Kind an jenem schicksalhaften Tag zu der OP begleitet, die die Nasenatmung des Neunjährigen erleichtern sollte. Er war dabei, als der Junge im Aufwachraum der Praxis starb. Der kleine Patient war an kein Überwachungsgerät angeschlossen und es war kein geschultes Personal anwesend, nur die Arzthelferinnen, die auch noch den Empfang betreuen mussten. Es gab auch kein Gerät zum Freisaugen der Atemwege. Damit, so die Vorsitzende, hätten die Angeklagten gegen damals gültige medizinische Standards verstoßen. Zur Urteilsverkündung hatte der Vater nur seinen Rechtsanwalt geschickt.
Neben den einfühlsamen Worten für die trauernden Eltern zeigt die Richterin aber auch Sympathie für die Angeklagten, sprach ausdrücklich von einem „Unglücksfall“: „Beide sind zu Recht angesehene Ärzte am Ende eines langen Arbeitslebens“. Die Verurteilung solle nicht zum Verlust der Approbation führen, das wolle sie im schriftlichen Urteil vermerken.
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Bei einer Durchsuchung der Praxis war ein Protokoll gefunden worden, laut dem das Praxispersonal angeblich zwei Tage vor der Tragödie standardgemäße Anweisungen zur Überwachung der Patienten bekommen haben sollten. Selbst dafür zeigt die Richterin Verständnis: „Es kann ein menschlicher Reflex sein, so ein vordatiertes Protokoll zu schreiben, um vor sich selbst den Vorwurf der Fahrlässigkeit abzuwehren.“
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft hatte für den Operateur eine Bewährungsstrafe gefordert, die Verteidigung wollte Freisprüche erreichen.