Anwohner gegen Wirte: Gastro-Zoff auf St. Pauli
Auf dem Kiez herrscht dicke Luft. „Pauli wohnt!“ steht in dicken, schwarzen Buchstaben auf gelben DIN-A4-Zetteln. Sie kleben beinahe an allen Fenstern der Altbauten in der Paul-Roosen-Straße. Auf Zetteln wird zum Widerstand gegen die Außengastronomie aufgerufen, von „Belagerung“ und einem „Kipppunkt“ ist die Rede.
„Es ist einfach viel zu laut hier geworden“, sagt eine junge Anwohnerin, die gerade auf ihrer Fensterbank im Erdgeschoss sitzt und die Sonne genießt, zur MOPO. „Hier wohnen halt auch Menschen. Das vergessen viele, die hier nur zum Trinken herkommen.“
Wem gehört der Kiez? Diese Frage wird immer wieder heiß diskutiert – und eskaliert jetzt in der, sowohl bei Anwohner:innen wie bei Nachtschwärmer:innen, beliebten Parallelstraße zur Reeperbahn. Lesen Sie mehr mit MOPO+ – jetzt vier Wochen lang für nur 99 Cent testen!
Auf dem Kiez herrscht dicke Luft. „Pauli wohnt!“ steht in dicken, schwarzen Buchstaben auf gelben DIN-A4-Zetteln. Sie kleben beinahe an allen Fenstern der Altbauten in der Paul-Roosen-Straße. Auf Zetteln wird zum Widerstand gegen die Außengastronomie aufgerufen, von „Belagerung“ und einem „Kipppunkt“ ist die Rede. „Es ist einfach viel zu laut hier geworden“, sagt eine junge Anwohnerin, die gerade auf ihrer Fensterbank im Erdgeschoss sitzt und die Sonne genießt, zur MOPO. „Hier wohnen halt auch Menschen. Das vergessen viele, die hier nur zum Trinken herkommen.“
Wem gehört der Kiez? Diese Frage wird immer wieder heiß diskutiert – und eskaliert jetzt in der, sowohl bei Anwohner:innen wie bei Nachtschwärmer:innen, beliebten Parallelstraße zur Reeperbahn. Die einen sehnen sich nach ruhigen Nächten mit erholsamem Schlaf, die anderen wollen nach zwei schweren Pandemie-Jahren endlich wieder feiern, die Gastronom:innen zudem ordentlich Umsatz machen.
Anwohner auf Hamburg-St. Pauli: „Wir haben keinen Bock mehr!“
Von der angespannten Situation auf St. Pauli ist am Dienstagvormittag auf den ersten Blick nichts zu sehen. Die Sonne strahlt in die Paul-Roosen-Straße. Wirt:innen bauen Tische und Stühle auf. Anwohner:innen spazieren mit Kinderwagen über die schmalen Gehwege. Doch wer genauer hinschaut, sieht die Frustration in der Kiez-Nachbarschaft.
Bewohner:innen der Straßen Großen Freiheit, Am Brunnenhof und der Paul-Roosen-Straße haben sich zusammengetan und die Initiative „Pauli wohnt!“ gegründet. „Fragt ihr euch, ob man morgens um 3.30 Uhr vielleicht doch die Polizei ruft? Steigt ihr auf dem Weg zu Edeka über 237 Füße? Lauft ihr Slalom um Tische und Tourist:innen? Wir auch“, heißt es in einem Schreiben der Initiative.

Zwei Jahre habe man mit der Politik geredet, der Polizei, dem Ordnungsamt, dem Quartiersbeirat. „Auch wir lieben Bier, Schnaps, Tresen, Essen – aber der Kipppunkt ist erreicht. Wir haben keinen Bock mehr, noch einen Sommer belagert zu werden.“
Kernproblem: Wegen Corona wurden die Außenflächen der Gastro ausgeweitet, wo früher Autos parkten, stehen jetzt Tische und Stühle. „Es geht einfach nicht mehr, dass diese weiterhin die Parkflächen als Außengastro-Bereiche nutzen können“, beschwert sich ein Anwohner. „Ich wohne seit 30 Jahren auf dem Kiez und liebe es hier. Ich bin wegen des Trubels hierher gezogen. Der Lärm ist aber viel schlimmer geworden“, sagt er zur MOPO.
St. Pauli: Parkflächen werden für Gastro genutzt
„Wir waren dafür, unsere Autos woanders zu parken, damit die Parkflächen für Gastro genutzt werden, als Corona-Hilfe-Solidarität. Wir haben Verständnis für die schwere finanzielle Situation der Betreiber:innen. Aber die Nutzung der Fläche hatte von Anfang an ein Ablaufdatum. Die Betreiber:innen wollen diese nun aber dauerhaft nutzen“, sagt er. „Und die Gäste sitzen dann quasi vor meinem Schlafzimmer.“
Von „monatelanger Okkupation des öffentlichen Raums“ ist in dem Aufruf der Anwohner:innen die Rede. Autos raus? Gerne – aber nicht, wenn dafür überall Tische und Stühle stehen und man keinen Schlaf mehr findet, so die Kritik. „Wir sind gegen jene Gastronom:innen, die sich auf unsere Kosten die Taschen voll machen – auf unseren Plätzen mitten in der Nacht.“
Die Gastronom:innen dagegen fühlen sich unfair behandelt. „Wir haben zwei Jahre echt hart kämpfen müssen, um zu überleben. Die Parkflächen waren monatelang die einzige Möglichkeit, Gäste zu bewirten“, sagt Stephanie Döring vom „Weinladen St. Pauli“. Die Pandemie sei noch nicht überstanden, die Gastronom:innen seien nach wie vor abhängig von den umfunktionierten Parkflächen.
Hamburg: Anderer Bezirk, andere Regeln!
Der Bezirk Hamburg-Mitte hat bereits reagiert. Wegen der „zahlreichen Beschwerden der Anwohnerschaft und Anlieger:innen“ ist die Nutzung der Parkflächen nur begrenzt erlaubt, teilte der Bezirk zu Beginn des Jahres mit. Lediglich an den Wochenenden dürfen dort Gäste bewirtet werden und dann auch nur von 17 bis 22 Uhr. Eine Regelung, die offenbar alle Seiten nervt. Gastronom:innen müssen ständig Tische auf- und abbauen, Parkverbotsschilder aufstellen, Anwohner:innen dafür pünktlich am Freitagnachmittag ihre Wagen umparken.
In anderen Bezirken ist die Handhabung dagegen lockerer. Zum Beispiel wurden im Bezirk Eimsbüttel rund 200 Genehmigungen für die Sondernutzung von Gehwegen und Parkflächen erteilt – ohne Einschränkungen. Auch im Bezirk Altona wurden pandemiebedingte Sondernutzungen für Flächen wie Parkbuchten und Ladezonen erteilt. „Und gerade auf dem Kiez, der schon immer sehr belebt war und von Bars und Clubs lebt, agiert der Bezirk so streng. Das verstehen wir nicht“, sagt Jan-Ole Bauer, Betreiber vom „Krug“ in der Paul-Roosen-Straße.
„Kein Treffpunkt von Touristenmassen“
Doch den Anwohner:innen reicht die Einschränkung nicht aus. Sie wollen kein „Treffpunkt von Touristenmassen der Business-Gastronomie sein“, fordern ein Viertel für die Bewohner:innen, die schon lange dort lebten, gerne auch „mit Wirt:innen, die ihre Nachbar:innen respektieren“.
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Vielleicht gibt es doch noch Möglichkeiten der Koexistenz. „Wir möchten einen Austausch mit den Anwohner:innen. Wir können uns gemeinsam Lösungen überlegen, anstatt uns gegenseitig so anzugehen“, sagt Döring vom „Weinladen St. Pauli“. So sieht es ein Anwohner: „Wir können uns gern unterhalten. Wir wollen hier niemanden verdrängen. Wir wollen, dass wir uns hier alle wohlfühlen: Die, die hier wohnen und die, die hier arbeiten“.