Hamburger Initiative fordert: Schafft die Schulpflicht ab!
Es ist ein Anschlag auf einen Kernpfeiler unseres Bildungssystems: Die allgemeine Schulpflicht. Die möchte die neu gegründete Volksinitiative „Bildung ohne Zwang“ abschaffen, sammelt derzeit Unterschriften dafür. Die Initiative, die auch von etlichen Eltern getragen wird, die schon 2015 mit der Volksinitiative „Guter Ganztag“ für mehr Mittel für die Schulen stritten, will zudem erreichen, dass zugelassene Privatschulen den staatlichen Schulen finanziell gleichgestellt werden. Wer hinter der Aufweichung der Schulpflicht steckt – und wie die Chancen für die Initative stehen.
Es ist ein Anschlag auf einen Grundpfeiler unseres Bildungssystems: Die allgemeine Schulpflicht. Die möchte die neu gegründete Volksinitiative „Bildung ohne Zwang“ abschaffen und sammelt derzeit Unterschriften dafür. Die Initiative, die auch von etlichen Eltern getragen wird, die schon 2015 mit der Volksinitiative „Guter Ganztag“ für mehr Mittel für die Schulen stritten, will zudem erreichen, dass zugelassene Privatschulen den staatlichen Schulen finanziell gleichgestellt werden.
Bis Ende Februar will die Volksinitiative 10.000 Unterschriften von Hamburger Wahlberechtigten sammeln, damit sich die Bürgerschaft mit dem Thema befassen muss. Die soll, so heißt es in der Vorlage, Schüler:innen auf Antrag anstelle von „Schulanwesenheitspflicht“ alternative Bildungsangebote genehmigen, „auch in Form von digitalem Fernunterricht“.
Warum will die Initiative die Schulpflicht abschaffen?
Doch warum die Schulpflicht abschaffen? „Das Schulsystem, so wie es ist, ist nicht für alle Kinder geeignet“, sagt Initiativen-Sprecherin Ulrike Dockhorn. Sie verweist darauf, dass selbst die Schulbehörde einige Kinder für „unbeschulbar“ hält, Kinder oft mit Mobbing und Leistungsdruck in der Schule nicht klarkämen, Versagens- und Schulangst dann ständiger Begleiter beim Schulbesuch seien. Der Anwesenheitszwang werde zudem im Einzelfall mit Zwangsmitteln durchgesetzt.
So räumte die Schulbehörde vor kurzem ein, dass im vergangenen Schuljahr mehr als 1500 Buß- und Zwangsgelder gegen Schulschwänzer:innen und ihre Eltern verhängt wurden, allein im vergangenen März 27 Schüler:innen im Jugendarrest eingeknastet waren, weil sie den Schulbesuch verweigerten. Das habe „mit Kinderschutz rein gar nichts zu tun“. Der Initiative gehe es darum, den Schüler:innen, für die die Schule schädlich sei, eine Alternative bereitzustellen: „In den Niederlanden nutzen 0,8 Prozent das Homeschooling. Ich vermute, dass wir in Hamburg ähnliche Zahlen hätten.“
Dockhorn kann darauf verweisen, dass die Pflicht zum regelmäßigen Schulbesuch eine sehr deutsche Angelegenheit ist, die es in anderen europäischen Ländern so nicht gibt. In Großbritannien, Österreich, Dänemark und den Benelux-Ländern wie den Niederlanden und Belgien gilt stattdessen die sogenannte Unterrichts- und Bildungspflicht. Sie kann etwa auch durch Hausunterricht oder alternative Bildungsangebote erfüllt werden. Nur in Deutschland ist das Homeschooling auch im Ausnahmefall verboten.
Schule ohne Zwang: Das spricht dagegen
Die Schulbehörde will von der Aufweichung der Schulpflicht nichts wissen und lehnt die Volksinitiative grundlegend ab: „Die Schulschließungen und das Homeschooling während der Corona-Pandemie haben in dramatischer Weise gezeigt, wie wichtig es für Kinder und Jugendliche ist, zur Schule zu gehen. Zu Hause auf sich allein gestellt konnten viele schlecht lernen und fast alle litten unter Einsamkeit und fehlenden sozialen Kontakten. Viele Studien haben die durch Homeschooling verursachten erheblichen Lernrückstände sowie die vielfältigen Störungen der sozialen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nachgewiesen.“ Argumente, denen sich im Kern auch SPD, CDU, Grüne und die Lehrer:innengewerkschaft GEW anschließen, obwohl GEW-Chef Sven Quiring anerkennt, dass die Initiative „vor allem Eltern aus dem Herzen spricht, deren Kinder nicht ins Schulsystem passen.“
Auch die Psychologin Gabriele Franke, die jahrelang im Auftrag der Schulbehörde kaum beschulbare Kinder individuell betreut und beim Schulbesuch begleitet hat, teilt die Ziele der Initiative nicht. „Es muss darum gehen, das staatliche Schulsystem so zu reformieren, dass alle Kinder und Jugendlichen angemessen betreut und beschult werden – auf Homeschooling und private Bildungsangebote auszuweichen ist keine Lösung“.
Deshalb hält die Psychologin auch nichts davon, „den Wildwuchs privater Schulen durch eine bessere Finanzierung noch voranzutreiben“. Die Volksinitiative hingegen will, dass anerkannte Privatschulen dieselben Mittel pro Schüler:in erhalten, wie staatliche Schulen und nicht darauf angewiesen seien, zusätzliches Schulgeld von den Eltern einzutreiben. „Reiche Eltern können es sich leisten ihre Kinder in Privatschulen anzumelden, wenn sie in staatlichen Schulen nicht klarkommen, viele Eltern aber nicht“, beklagt Dockhorn die aus ihrer Sicht „fehlende Chancengleichheit und Bildungsungerechtigkeit.“
Initiative gegen Schulpflicht hat kaum Bündnispartner
Teilweise Unterstützung findet die Initiative nur bei der Linken. Fraktionschefin Sabine Böddinghaus teilt das „Anliegen der Initiative uneingeschränkt.“ Der „Schulzwang“ widerspräche dem individuellen Recht auf Bildung, eine Verletzung der Schulpflicht müsse „ausschließlich pädagogisch bearbeitet und behoben werden“, keinesfalls aber mit Zwang und Strafe. Dass Privatschulen in Zukunft mehr Geld erhalten, lehnt Böddinghaus allerdings ab.
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So hat die Initiative kaum Bündnisparter:innen, die mit ihr an einem Strang ziehen, wenn es um die Abschaffung der Schulpflicht geht. Der deutsche Sonderweg Schulpflicht, scheint in Hamburg derzeit nicht ernsthaft in Gefahr.