Kahlschlag bei Gruner+Jahr: Wie RTL einen Hamburger Traditionsverlag zerstört
Tränen, Wut, Empörung: Der von RTL-Chef Thomas Rabe am Dienstag verkündete Kahlschlag bei Gruner+Jahr hat bei den Mitarbeitern für Entsetzen gesorgt. Bis zu 700 Stellen werden abgebaut, 23 Zeitschriften eingestellt. 23 weitere Magazine werden verkauft. Auch für die Hansestadt ist die Nachricht ein Schock. Denn sie bedeutet das Ende eines altehrwürdigen Hamburger Traditionsverlages.
Tränen, Wut, Empörung: Der von RTL–Chef Thomas Rabe am Dienstag verkündete Kahlschlag bei Gruner+Jahr hat bei den Mitarbeitern für Entsetzen gesorgt. Bis zu 700 Stellen werden abgebaut, 23 Zeitschriften eingestellt. 23 weitere Magazine werden verkauft. Auch für die Hansestadt ist die Nachricht ein Schock. Denn sie bedeutet das Ende eines altehrwürdigen Hamburger Traditionsverlages.
Wochenlang hatten sie gezittert. Seit im Dezember bekannt wurde, dass sich der TV-Konzern RTL Deutschland, der Gruner+Jahr im Sommer 2021 gekauft hatte, vom Zeitschriften-Geschäft verabschieden möchte, bangten die Mitarbeiter am Baumwall (Neustadt) um ihre Zukunft. Um ihre persönliche, aber auch um die ihres traditionsreichen Verlages.
Gruner+Jahr: Flaggschiff für Qualitätsjournalismus in Deutschland
Denn mit seinen Titeln „Stern“, „Geo“, „Brigitte“ oder „Schöner Wohnen“ stand Gruner+Jahr seit der Gründung 1965 durch Richard Gruner, John Jahr und Gerd Bucerius für einen Qualitätsjournalismus alter Schule. In dem grauen Pressehaus mit den Bullaugen-Fenstern ging es nie um schnelle News. Hier wurde Wert gelegt auf erstklassige Recherche, gute Texte, aufwändige Layouts und hochwertige Druckprodukte.
Ende der 60er Jahre war Gruner+Jahr das zweitgrößte Presseunternehmen in Deutschland nach Axel Springer. Der Verlag wuchs stetig – auch ins Ausland, wo es zu Beteiligungen und Niederlassungen in Spanien, Frankreich, Großbritannien und den USA kam. Zwischenzeitlich wurde Gruner+Jahr so zum größten Zeitschriftenverlag Europas. In den 80ern kam der Einstieg ins Tageszeitungsgeschäft. Auch die MOPO gehörte in dieser Zeit zu Gruner+Jahr.
Die Finanzkrise traf den Verlag ab 2007 hart. Stärkung sollte der wachsende Einstieg des Bertelsmann-Konzerns bringen, zu dem auch RTL gehört. Misstrauisch beäugten die Mitarbeiter diese Entwicklung. Umso desillusionierter waren sie, als es im August 2021 zur Fusion mit RTL Deutschland kam. Dass sie auf dem Weg zur Arbeit nicht mehr von der grün-weißen Gruner+Jahr-Flagge begrüßt wurden, sondern von einer „Willkommen RTL Deutschland“-Tafel, löste bei vielen Beschämung aus.
Leere Versprechen: RTL hatte von einer „Fusion auf Augenhöhe“ gesprochen
Qualitätsjournalismus und Boulevard-Magazine wie „RTL explosiv“ – wie sollte das zusammenpassen? RTL-Chef Thomas Rabe versuchte zu beruhigen und versprach eine „Fusion auf Augenhöhe“. Bei der Zusammenführung gehe es nicht um ein Spar-, sondern um ein Wachstumsprogramm.
Alles nicht wahr – wie sich nun zeigte. Als Rabe am Dienstag um 9 Uhr vor die Belegschaft trat, um die Hiobsbotschaft zu verkünden, schlug ihm Empörung entgegen. Besonders betroffen waren die Mitarbeiter der 23 Magazine, die nun eingestampft werden sollen.
„Dass es uns trifft, hätten wir nicht erwartet“, erklärt Joachim Telgenbüscher, Redaktionsleiter von „Geo Epoche“. Das Geschichtsmagazin sei profitabel und erfülle in der aktuellen weltpolitischen Lage eine wichtige Rolle: „Es braucht solche Titel, die die historischen Hintergründe auf unterhaltsame Weise beleuchten“, so Telgenbüscher zur MOPO. Die gerade erschienene Ausgabe beschäftigt sich mit Verschwörungstheorien. Telgenbüscher: „Wir sind fassungslos.“
Trauer und Entsetzen: Gruner+Jahr-Mitarbeiter protestieren vor dem Rathaus
Auch im Rest des Hauses saß der Schock tief. Hunderte Mitarbeiter zogen am Mittag aus Protest auf den Rathausmarkt. Politik und Gewerkschaften unterstützten die Demonstrierenden. „Heute ist ein rabenschwarzer Tag für den Medienstandort Hamburg“, so Hansjörg Schmidt, medienpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. „RTL und Bertelsmann opfern Gruner+Jahr der Profitgier, ohne sich um die Menschen zu kümmern, die in den vergangenen Jahren für exzellenten, informativen und unterhaltsamen Journalismus standen. Dieser Umgang ist eine Schande.“
Auch Kultursenator Carsten Brosda (SPD) erklärte: „Das ist ein schlechter Tag für den Medienstandort Hamburg und die Medien insgesamt. Man hätte kreativer mit den Herausforderungen umgehen können und müssen, vor denen das Unternehmen und die Branche stehen.“
Kultursenator Brosda: „Ein schlechter Tag für den Medienstandort Hamburg“
Norbert Hackbusch von der Linken kritisierte: „Die Einstellung diverser Zeitschriften ist nicht nur ein Angriff auf Arbeitsplätze, sondern auch den Journalismus und damit auf Teilhabe, Wissen, Aufklärung und Demokratie. Selbst der Bertelsmann-Vorsitzende musste zugeben, dass Managementversagen eine wichtige Ursache der Misere ist. Bestraft werden dafür dann aber nicht die Manager, sondern Kolleg:innen, die über Jahre und Jahrzehnte ihre Arbeit gut gemacht haben.“ Dennis Thering, Vorsitzender der CDU-Fraktion, ergänzte: „Wir erwarten von Bertelsmann jetzt seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden und für alle betroffenen Mitarbeiter eine sozialverträgliche Lösung zu finden.“
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Für den Hamburger Journalistik-Professor Volker Lilienthal ist der Kahlschlag „ein herber Verlust für die Pressefreiheit“. Auch er kritisiert das „Missmanagement von Bertelsmann“. Lilienthal: „Vorbei die Zeiten, da in Gütersloh ein Verleger saß, der sich auch als Ermöglicher und Förderer sah. Gewinne aus dem einen Sektor erlaubten Verluste dort, wo Wichtiges für Politik und Gesellschaft dennoch angeboten werden sollte. Diese Mischkalkulation ist passé, heute zählen bei Bertelsmann nur noch Profite.“