Überall Schmerzen, aber eine wichtige Erkenntnis – MOPO testet Krav Maga
Israels Geheimdienst und Armee sind berühmt für sie: die Kampftechnik Krav Maga, die als Reaktion auf die Verfolgung der Juden in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde. Heute boomt diese schweißtreibende Sportart. MOPO-Reporterin Marie Kröger hat sie ausprobiert – und wurde mächtig in die Mangel genommen. Außer schmerzenden Knochen nahm sie vor allem eine wichtige Erkenntnis mit.
Ein kräftiger Mann wirft mich zu Boden. Er setzt sich auf meinen Bauch. Mit seinem Körpergewicht fixiert er meine Hüfte. Ich kann meine Beine nicht mehr bewegen. Ich bekomme Panik, mein Puls schnellt hoch. Dann drückt er seine Hand auf meinen Kehlkopf. Jetzt bleiben mir noch 20 Sekunden, bis die Sauerstoffversorgung meines Kopfes abbricht.
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Israels Geheimdienst und Armee sind berühmt für sie: die Kampftechnik Krav Maga, die als Reaktion auf die Verfolgung der Juden in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde. Heute boomt diese schweißtreibende Sportart. MOPO-Reporterin Marie Kröger hat sie ausprobiert – und wurde mächtig in die Mangel genommen. Außer schmerzenden Knochen nahm sie vor allem eine wichtige Erkenntnis mit.
Ein kräftiger Mann wirft mich zu Boden. Er setzt sich auf meinen Bauch. Mit seinem Körpergewicht fixiert er meine Hüfte. Ich kann meine Beine nicht mehr bewegen. Ich bekomme Panik, mein Puls schnellt hoch. Dann drückt er seine Hand auf meinen Kehlkopf. Jetzt bleiben mir noch 20 Sekunden, bis die Sauerstoffversorgung meines Kopfes abbricht.
Im Bruchteil einer Sekunde ziehe ich meine Beine Richtung Oberkörper ran. Nun spüre ich zum ersten Mal Kraft. Mit genau dieser Kraft drücke ich mein Becken hoch, robbe schnell rückwärts. Der Angreifer fliegt automatisch runter. Endlich gewinne ich Abstand, stehe auf und verpasse ihm einen Schlag aufs Ohr. „Erst die Selbstverteidigung, dann der Folgegriff“, mahnt Trainer Farhad Barwar (45), der eben noch mein Angreifer war und seit 15 Jahren Krav Maga im „Budocentrum“ in Alsterdorf unterrichtet.
Krav Maga wendet auch der Mossad an
Die israelische Kampftechnik Krav Maga (hebräisch: Kontaktkampf) wurde während des Zweiten Weltkrieges von Imrich Lichtenfeld entwickelt. Der gebürtige Ungar, ein ehemaliger Boxer und Ringer, hatte bereits in den 1930ern bei antisemitischen Pogromen in seinem Wohnort Bratislava Erfahrungen im echten Straßenkampf gesammelt. Seine Technik sollte den Juden damals helfen, sich im 1-zu-1-Kampf effektiv zu behaupten. Zur Staatengründung Israels, Ende der 40er Jahre, entwickelte er dann seine Krav-Maga-Techniken weiter und wurde Chefausbilder beim Militär.
Später übernahmen die israelische Armee und der Geheimdienst Mossad seine Methode. Heute werden auch die Bundeswehr und die Polizei darin ausgebildet. Und mittlerweile bieten immer mehr Vereine und Boxstudios Krav Maga an. So wie das „Budocentrum“ in der Carl-Cohen-Straße.
Krav Maga: Gleich beim ersten Training geht es zur Sache
„Gleich beim ersten Training wollen wir den Leuten das Handwerk mitgeben, sich zu verteidigen. Ohne Regeln – Hauptsache schnell“, sagt Trainer Farhad Barwar und spielt damit auf andere Kampfsportarten an, in denen die Schüler sich erst einen Gürtel verdienen müssen, bevor sie einen neuen Griff lernen.
Zeit zum Aufwärmen bleibt hier wirklich keine. Schläge, Tritte, Fäuste – so ziemlich jede Art sich zu wehren ist hier erlaubt und wird im Akkord eingesetzt. Dann fordert der Trainer Liegestütze. „Eins“, brüllt er im Kasernenton. Die Gruppe springt zu Boden und antwortet im Chor: „Zwei!“
Krav Maga in Hamburg: Lernen, mit Adrenalin umzugehen
Ist das hier ein Boot-Camp? Barwar will seine Gruppe nicht abhärten. Mit seinem Kommando zielt er auf die Psyche seiner Teilnehmer ab, in dem er bewusst „Stress“ im Körper auslösen will. „Ein Täter kündigt sich nicht an. Ein klarer Kopf rettet in so einem Moment Leben. Aber durch den den überraschenden Angriff und das Adrenalin kann das Opfer in eine Schockstarre fallen. Damit die Flucht- oder Kampf-Reaktion in Notfällen gelingt, trainieren wir hier am besten mit einem Puls von über 130. So gewöhnen wir das Nervensystem an die Adrenalinausschüttung und eine sofortige Reaktion“, erzählt der 45-Jährige, der bereits seit 30 Jahren Kampfsport macht.
Erst seit zwei Jahren beim Krav Maga dabei ist Nikita Fedorowa (25). Im Handumdrehen zieht die Frau einen 1,80 Meter großen Mann mit ihrem Arm über ihre Schulter – und lässt ihn laut auf die Matte knallen.
„In Neapel kam ich in eine bedrohliche Situation. Mir wurde schlagartig bewusst, wie wehrlos ich eigentlich war“, erzählt die die Mediengestalterin aus St. Pauli. Mittlerweile beherrscht Fedorowa ihre neuen natürlichen Abwehrreflexe gut. „Selbst auf dem Kiez fühle ich mich jetzt viel wohler“.
Ein bisschen mehr Erfahrung bringt Burc Özüpek (38) mit. Am besten gefällt ihm, dass „man hier einfach macht“. Bevor er mit Krav Maga anfing, machte der IT-Ingenieur aus Winterhude vier Jahre Karate: „Hier gibt es keine Regeln. Alles ist praxisorientiert: also für die Straße“, meint Özüpek.
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„Alle Übungen sind alltagstauglich und für ganz normale Menschen geeignet“, sagt Trainer Barwar. Oft sei das Wissen und Können von Krav Maga mehr für die eigene Psyche von Vorteil als für eine wirkliche Konfrontation. „Täter haben einen Blick für wehrlose Menschen. Wenn man dem Täter mit seiner Ausstrahlung signalisiert: Ich bin kein Opfer – dann ist das schon die halbe Miete!“, erklärt er.
Nach 90 Minuten bin ich fix und fertig. Zum Abschluss lobt der Trainer zwar meine selbstbewusste Körperhaltung, fügt aber hinzu: „Man sieht an deinen Schlägen, dass du noch nie gekämpft hast.“
Um sicherer in meinen Bewegungen zu sein, bräuchte ich aber kein kompliziertes Training: „Wiederholung macht den Meister“, so Barwar. Mein Brustkorb, meine Arme und Hände schmerzen und sind knallrot. Trotz der Niederlage auf der Matte habe ich heute einiges gelernt: etwa, dass ein Unterarm mehr Wucht hat als eine Faust. Und dass 90 Prozent der Täter von ihrem Opfer ablassen – wenn es sich nur wehrt.