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Jugendproteste: Die chauvinistischen Machos haben ausgedient

Jugend und Politik. Das waren früher ungewaschene Student*innen, die auf dem Campus selbstgebastelte Flyer für ihre Demos verteilt haben. Sozialistische Kommunen mit großen Ideen und vom Cannabiskonsum gebremstem Antrieb. Idealistisch und ambitioniert. Ein Klischee, um die Hippiebewegung zu entromantisieren. Man kann sich darauf einigen, dass damals viel erreicht wurde. Rosa Parks oder auch Bärbel Bohley wurden erst Jahre später, aber vollkommen zu Recht zu Ikonen des Protests stilisiert. Die Gewissheit war geboren, dass die jungen Wilden – frei und unabhängig – etwas am Status quo ändern können.

Meiner Generation wird diese Durchschlagskraft abgesprochen. Politik machen ist unsexy, aktiv sind wir nur in der digitalen Welt, und die Tendenz geht eher zurück zum Individuum, jeder macht seine eigenen Träume wahr. Pflegenotstand, zu wenig Azubis, aber jeder Woche 200 neue YouTuber. Ab und zu mischt sich einer mit blauen Haaren darunter, und eine Handvoll Millennials googeln zum ersten Mal Begriffe wie CDU oder Agenda 2010. Wieso auch ernsthaft Politik machen, wenn die Trumps und Bolsonaros alles ad absurdum führen? Wenn man nicht mehr weiß, ob die Nachrichten vom „Postillon“ oder der „Tageschau“ kommen.

David Friedrich (28) ist Poetry Slammer und regt sich am liebsten so auf, dass andere es mitbekommen, sagt er.

David Friedrich (28) ist Poetry Slammer und regt sich am liebsten so auf, dass andere es mitbekommen, sagt er.

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Tim Brüning

Der Schein trügt. Wir unterschätzen die Jugend auf ganzer Linie. Wenn wir denken, dass die Schüler*innen freitags nur gerne Schule schwänzen und Mehrwegbecher nur ein Hype zwischen Fidget Spinner und E-Scooter sind, liegen wir falsch wie Plastikflaschen im Altpapier.

Ich bin Poetry Slammer und schreibe, seit ich 14 Jahre alt war, all meinen Frust auf. Gerade die sozialen und politischen Themen lagen mir immer sehr. Und ich rege mich gerne auf. Ich rege mich aber am liebsten so auf, dass andere es mitbekommen, angespornt werden und sich vielleicht sogar noch gut unterhalten fühlen. Seit Jahren moderiere ich auch Poetry Slams, und bei diesen Veranstaltungen kommen jede Woche neue Gesichter auf die Bühne. Junge Menschen mit Herz, Mut und einer Aussage. Mit politischen Brandreden und tiefsinnigen Gedanken, lyrisch verpackt oder als lockere Kurzgeschichte.

Und der Funke springt über, nicht nur bei den jungen Leuten im Publikum. Gerade waren in Berlin die deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften. Zum großen Finale im Tempodrom kam zu Beginn Claudia Roth als Schirmherrin der Veranstaltung auf die Bühne, um ein paar Worte zu sagen. Aber anstatt eine langweilige Rede zu halten und ein bisschen Eigenwerbung für ihre Partei zu machen, trug sie einen Slam-Text vor. Und was für einen. Sie hatte sich anstecken lassen von der Energie, dem Mut und dem Pathos dieser Kunstform. Der Saal tobte, mehrmals Zwischenapplaus, ich hatte sogar Pipi in den Augen. Warum? Weil es entfesselnd war. Weil das Thema Mitsprache, Teilhabe und politischer Elan entfesselnd sein kann – sein muss!

Claudia Roth ist vielleicht nicht mehr die Jüngste, aber ihr Esprit und ihre Begeisterung haben sie schlagartig 30 Jahre jünger gemacht. Die Jugend, wie man sie auch definieren mag, sitzt nicht mehr vor der Bong und bastelt Flyer. Sie trägt keine Blümchen in den Haaren und protestiert mit unrasierten Achseln für freie Liebe. Die Jugend muss nicht mehr dafür kämpfen, dass Menschen aller Hautfarben denselben Bus benutzen dürfen. Sie demonstrieren dafür, dass Menschen aller Hautfarben gleich sind vor dem Gesetz und die Busse mit erneuerbarer Energie fahren. Und die Demo wird ohne Flyer und ohne Bastelschere mit zwei Tweets organisiert. Die Politik der alten, weißen, chauvinistischen Männer hat ausgedient.

Entscheidungen über unsere Zukunft sollten von den Menschen getroffen werden, die sie auch noch erleben werden. Der Fortschritt unserer Gesellschaft wird nicht an technologischen Errungenschaften gemessen, sondern an der Stärke unserer Gemeinschaft, unseren Werten und unserem Miteinander. Es ist verständlich, dass die etablierten Politiker*innen ein wenig Angst davor haben, dass wir mitreden. Denn wir haben ganz schön viel zu sagen und wir reden gerne. Wir sind risikobereit, frech und unbequem. Unabhängig von einer Farbe, einer Flagge oder einer Partei. Wir sind sehr viele und werden nicht weniger. Wir sind vernetzt, entschlossen, und das Grün hinter unseren Ohren steht uns. Genau so wie das Funkeln in unseren Augen.

Überzeugen Sie sich gerne selbst, wenn Sie mir nicht glauben. Morgen findet im Oberhafen das Festival unserer Zukunft statt. Ab 18.30 Uhr finden Vorträge und Diskussionen zu den Themen Klima, Mobilität und Arbeit statt, der Eintritt ist frei. Aber Vorsicht, der Name der Veranstaltung ist Programm: „Könnte ja gut werden.“

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