x
x
x

    Jüdisches Leben in Hamburg: Chanukka bei Familie Merkhasin in Harvestehude

    Harvestehude –

    2184 Jahre ist eine Zahl, mit der der kleine Chaim (6) noch nicht viel anfangen kann. So lange ist es her, dass in Jerusalem ein Wunder geschah, dessen die Juden in aller Welt jedes Jahr im Dezember gedenken. Doch wenn Chaims Vater die Lichter des achtarmigen Leuchters anzündet, dann spürt auch Chaim, dass etwas ganz besonderes gefeiert wird: das Chanukka-Fest.

    Der Leuchter steht auf einem kleinen Altar gleich neben der Balkontür. Vorsichtig bringt Arye Merkhasin die in Öl schwimmenden Dochte mit einer Kerze zum Brennen. Seine fünf Kinder und Ehefrau Avital stehen um den Altar herum und sehen mit leuchtenden Augen zu. 

    Lichterfest erinnert an die Wiedereinweihung des Tempels in Jerusalem

    Chanukka, das Lichterfest, gehört zu den wichtigen Festen im Judentum. Es erinnert an die Befreiung Jerusalems von der griechischen Besatzung im Jahr 164 vor Christus. In dem entweihten Tempel fand sich nicht genügend Öl, um das ewige Licht zu erhalten. Doch dann geschah ein Wunder: Das Öl reichte acht Tage – genau bis zum Tag der Tempeleinweihung. „Chanukka“ heißt Einweihung und wird von allen jüdischen Familien gefeiert. Egal, ob sie säkular sind oder orthodox wie die Familie Merkhasin. 

    Chanukka: Shneor

    Große Augen: Der kleine Shneor (3) freut sich über die vielen Lichter.

    Foto:

    Quandt/ Florian Quandt

    „Religion hat für meine Eltern keine große Rolle gespielt“, erzählt Arye Merkhasin, der in der damals noch sowjetischen Ukraine geboren und aufgewachsen ist. Die Feste wurden in der jüdischen Familie mehr aus Traditionsgründen begangen. Erst als er 20 Jahre alt war, beschloss Arye Merkhasin, von nun an ein frommes Leben zu führen. Er zog nach Israel, studierte dort, heiratete seine Frau Avital und kam mit ihr vor sechs Jahren nach Hamburg, um die Leitung des neu gegründeten Rabbinerseminars in der Hansestadt zu übernehmen.

    Kinder besuchen die jüdische Schule im Grindelviertel

    „Wir fühlen uns sehr wohl hier“, sagt der 35-Jährige. Die Synagoge ist nicht weit. Die Kinder besuchen die Krippe und Grundschule des Joseph-Carlebach-Bildungshauses im Grindelviertel. Mutter Avital ist neben der Hausarbeit an einem Projekt zur Herstellung von Handyketten aus bunten Holzperlen beteiligt.

    Nur das streng koschere Leben, das die Merkhasins im Unterschied zu den weltlichen Juden führen, die 95 Prozent der jüdischen Gemeinde darstellen, ist in Hamburg eine ganz schöne Herausforderung. „Wir müssen die meisten Lebensmittel aus Belgien oder Frankreich bestellen“, sagt Arye Merkhasin. Dass seine Kinder sich mal mit nichtjüdischen Mitschülern bei denen zu Hause treffen, ist wegen der strengen Speisegesetze nicht möglich. Zu groß die Gefahr, dass sie mit nichtkoscheren Nahrungsmitteln in Berührung kommen. Erst wenn Mendel (7), Chaim (6), Batya (4), Shneor (3) und Muska (1) ein bisschen älter sind, werden sie selbst die Verantwortung übernehmen können. Traurig ist Chaim nicht darüber: „Es geht ja eh gerade nicht wegen Corona“, sagt der Sechsjährige ernst. 

    Hamburg: Auf der Straße wird die Familie oft angestarrt

    Chaim und seine Brüder tragen die Kippa. Ein flaches Käppchen, das ihren Hinterkopf bedeckt. Unter ihrem Pullover lugen Zizijot hervor – mehrfach geknotete weiße Fäden, an deren Enden Quasten baumeln. Vater Arye trägt einen Hut, Mutter Avital den Sheitel, also eine Perücke. So wie es nur die orthodoxen Jüdinnen nach der Heirat tun.

    Das könnte Sie auch interessieren:Was wird aus der Synagoge Hohe Weide?

    Diese traditionelle Kleidung ist es, weshalb die Merkhasins auf der Straße in Hamburg nicht selten angestarrt werden. Arye Merkhasin findet das nicht weiter schlimm. „Ich würde es genau so tun. Man guckt eben hin, wenn jemand anders aussieht als die Mehrheit. In Israel ist das übrigens auch nicht anders. Dort werden wir Frommen auch angestarrt.“

    Spielzeug-Pistolen sind bei Familie Merkhasin tabu

    Nur ein paar Mal ist es vorgekommen, dass er auch von Hamburger Bürgern beschimpft wurde. „Zum Glück hab ich es nicht verstanden“, lacht Arye Merkhasin, dessen Deutsch noch ein wenig brüchig ist.

    Unterschiede zu den weltlichen Juden sieht Merkhasin neben den regelmäßigen Synagogenbesuchen, der koscheren Ernährung und der Kleidung vor allem auch in der Kindererziehung. „Uns ist es wichtig, sie zu friedlichen Menschen zu erziehen“, sagt der Vater. Dazu gehört zum einen ein frühzeitiges Heranführen an die heiligen Schriften. Aber auch die Auswahl des Spielzeugs. Chaims Mitschüler würden zum Spielzeugtag in der Schule oft Pistolen oder Gewehre mitbringen, erzählt Merkhasin. „So etwas gibt es bei uns nicht. All unser Spielzeug hat mit Bauen zu tun: Bauklötze, Lego, Playmobil.“

    Kinder sammeln Geld für arme Familien

    Auch heute gab es Playmobil – als Geschenk zu Chanukka. Der siebenjährige Mendel zeigt stolz seine neue Weltraum-Rakete. „Es ist uns wichtig, die Kinder mit den Geschenken dabei zu bestärken, dass sie auf dem richtigen Weg sind“, sagt Merkhasin. Die Münzen, die die Kinder ebenfalls zu Chanukka geschenkt bekommen haben, stecken sie in eine Spardose. „Wir sammeln für Familien, die durch Corona in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind“, so Merkhasin.

    Chanukka: Chaim

    Chaim (6) steckt die Münzen, die er zu Chanukka geschenkt bekommen hat, in eine Spardose. Mit dem Geld wollen die Merkhasins Familien in Not helfen.

    Foto:

    Quandt/ Florian Quandt

    Vor dem Altar setzt der fröhliche Familienvater zum Gebet an: „Baruch ata Adonai, Hashem, Elohenu, Melech ha-olam b’mizwotaw.“ Gesegnet seist du, Herr, unser Gott, König des Universums, der du uns deine Gesetze geschickt hast.

    Chanukka: Bei den Merkhasins wird gesungen und getanzt

    Auch die Kinder dürfen Kerzen anzünden. Darauf haben sie sich schon den ganzen Tag gefreut. Batya kommt einer Kerze etwas zu nah. „Au“, ruft die Vierjährige und reibt sich den Finger. Dann fangen alle zusammen an zu singen. 

    Chanukka: Chaim zündet Kerze ann

    Der sechsjährige Chaim darf auch ein paar Kerzen anzünden.

    Foto:

    Quandt/ Florian Quandt

    „Hah-nay-roht hah-lah-loo ah-noo mahd-lee-kin.“ Zu Deutsch: Wir zünden diese Kerzen an zum Gedenken an das Wunder, das Gott uns gebracht. Die Kinder wippen zu den Versen. Sie hopsen. Sie drehen sich im Kreis. Batya fässt ihren Vater an den Händen. Je länger das Lied dauert, desto lauter wird gesungen. Desto schneller. Und plötzlich bricht es abrupt ab. 

    „Chag sameach!“, rufen alle zusammen. Frohes Fest!

     

    Email
    Share on facebook
    Share on twitter
    Share on whatsapp