Liberaler Kantor in Hamburg: Er steht für „Neues Judentum made in Germany“
Die Planungen für die neue Bornplatzsynagoge im Grindelviertel laufen. Sie soll einmal ein Haus für alle Juden in Hamburg sein, egal ob religiös, liberal oder säkular. Jetzt gibt es schon das erste Zeichen für die Öffnung der bisher vorwiegend traditionell geprägten Gemeinde: Zum ersten Mal seit Ende der Shoa tritt ein liberaler Kantor seinen Dienst an.
- Deutsch (Deutschland)
MOPO+ Abo
für 1,00 €Jetzt sichern!Die ersten 4 Wochen für nur 1 € testen!Unbeschränkter ZugangWeniger Werbung
Danach nur 7,90 € alle 4 Wochen
Wenn Sie E-Paper Kunde sind, betrifft diese Änderung Sie nicht.
Die Planungen für die neue Bornplatzsynagoge im Grindelviertel laufen. Sie soll einmal ein Haus für alle Juden in Hamburg sein, egal ob religiös, liberal oder säkular. Jetzt gibt es schon das erste Zeichen für die Öffnung der bisher vorwiegend traditionell geprägten Einheitsgemeinde: Zum ersten Mal seit Ende der Shoa tritt ein liberaler Kantor seinen Dienst an.
Seinen ersten Gottesdienst in Hamburg hat Assaf Levitin bereits hinter sich. Am vergangenen Samstag hat er die Predigt zu Shawuot gesungen, dem jüdischen Erntedankfest.
Allerdings nicht in der Synagoge an der Hohen Weide, denn die ist den Traditionellen vorbehalten. Assaf Levitin ist im Gemeindehaus am Grindelhof aufgetreten, in dem auch die Joseph-Carlebach-Schule untergebracht ist.
Liberale Juden hatten in Hamburg bisher keinen festen Kantor
Denn: Der neue Kantor vertritt die liberale Reformsynagoge, die bisher ohne festen Vorbeter war. Die Kantoren kamen aus anderen Bundesländern und wechselten sich ab. Assaf Levitin soll nun mehr Stabilität bringen – und einen Beitrag dazu leisten, die immer heterogenere Gemeinde in Hamburg zu einen. Damit hat er viel Erfahrung.
Geboren wurde Assaf Levitin in Israel. Sein Großvater kam aus Augsburg. Sein Urgroßvater, der ebenfalls Kantor war, wurde in der nationalsozialistischen Tötungsanstalt Bernburg ermordet. Trotz dieser Gräuel, die seine Familiengeschichte überschatten, kam Levitin Ende der 90er Jahre nach Deutschland, um hier Operngesang zu studieren.
Neuer Kantor repräsentiert das moderne Judentum in Deutschland
Er hatte Engagements an verschiedenen Opernhäusern, war fünf Jahre lang Kantor der liberalen Gemeinde in Hannover und setzte sich auch in Berlin für das ein, was er „Neues Judentum made in Germany“ nennt.
„Bei uns sind alle Menschen herzlich willkommen. Jegliche sexuelle Orientierung ist akzeptiert. Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Wir beten nicht getrennt, sondern zusammen. Auch Frauen können bei uns eine Kipa oder einen Gebetsschal tragen. Sie können Rabbinerin oder Kantorin werden.“
Der 49-Jährige will das Judentum modernisieren. „Die Tradition ist wichtig. Aber sie ist Vergangenheit. Man kann sie nicht wiederbeleben. Ich konzentriere mich auf das Jetzt und auf die Zukunft.“ Dabei hat Levitin nicht nur die liberal eingestellten Juden im Auge, sondern auch diejenigen, die überhaupt nicht in die Synagoge gehen.
Assaf Levitin will die jüdische Gemeinde einen
„Viele Israelis, die hier leben, haben mit den Gemeinden und der Synagoge nichts zu tun. Denn in Israel ist man entweder orthodox oder gar nichts. Es gibt keine Zwischenstufen.“ Doch wenn Kinder geboren werden, entsteht oft das Bedürfnis nach Anbindung an Traditionen. Ähnlich wie bei Nicht-Christen, die mit ihren Kindern nur zu Weihnachten in die Kirche gehen.
In Berlin ist es Levitin gelungen, eine wachsende Gemeinde aufzubauen. „Zuerst ist niemand gekommen. Es hat gedauert, bis die Menschen mir vertraut haben, dass ich sie nicht zu Orthodoxen machen will“, lacht Levitin. Auch in Hamburg will Levitin mit seiner Offenheit als Bindeglied wirken. „Der Ukraine-Krieg zerreißt die Gemeinde. Die Russen und Ukrainer sprechen nicht mehr miteinander. Ich kann kein Russisch, wir sprechen Deutsch in der Reformsynagoge.“
Bornplatzysynagoge als ein Haus für alle Juden in Hamburg
Als neutraler Neuzugang aus Berlin will Levitin die Aufmerksamkeit auf das lenken, was Spaß mache: die Musik, die Feste, bei denen – anders als bei den Orthodoxen – auch Instrumente erlaubt sind. Levitin schreibt seine Stücke selbst, setzt eigene Akzente. Er freut sich auf seine Arbeit in Hamburg: „Ich sehe große Chancen, hier etwas zu bewegen. Die jüdische Gemeinde ist mir mit großer Offenheit für neue Ideen begegnet. Es ist gut, wenn Juden in Hamburg eine Wahl haben zwischen orthodoxen und liberalen Angeboten.“
Das könnte Sie auch interessieren: MOPO-Serie über jüdisches Leben in Hamburg gewinnt Preis
Umso begeisterter ist Assaf Levitin von den Plänen für die Bornplatzsynagoge: „Sie soll ein Dach für alle werden. Ein Treffpunkt und nicht nur ein Ort zum Beten.“
Trotz aller Vorzüge: Nach Hamburg umziehen will der neue Kantor aber erstmal nicht. „Zu viel Regen“, wehrt er lachend ab. Der wahre Grund ist aber die Familie. Seine Kinder (14 und 10) gehen in Berlin zur Schule, seine Frau, eine Ärztin, hat ihre Praxis in der Hauptstadt. Gleichberechtigung – das gilt bei den Levitins auch zu Hause.