Jetzt also doch: Polizei korrigiert Demo-Zahlen nach Druck von oben
Es war eine der größten Hamburger Demos der vergangenen Jahrzehnte: Nicht nur am Jungfernstieg, sondern auch in den umliegenden Straßen der Innenstadt drängten sich die Teilnehmer dicht an dicht. Aus den U-Bahnen quollen die Menschen, viele kamen gar nicht erst zum Veranstaltungsort. Die von der Polizei genannten Zahlen waren dennoch ernüchternd: 50.000 Teilnehmer seien bei der Demo gewesen. Bei Teilnehmern, Medienschaffenden wie auch den Veranstaltern regten sich Zweifel. Nun wurde erneut geprüft und es zeigte sich: Es waren viel mehr Menschen vor Ort, als zunächst angegeben.
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Es war eine der größten Hamburger Demos der vergangenen Jahrzehnte: Nicht nur am Jungfernstieg, sondern auch in den umliegenden Straßen der Innenstadt drängten sich die Teilnehmer dicht an dicht. Aus den U-Bahnen quollen die Menschen, viele kamen gar nicht erst zum Veranstaltungsort. Die von der Polizei genannten Zahlen waren dennoch verhalten: 50.000 Teilnehmer seien bei der Demo gewesen. Bei Teilnehmern, Medienschaffenden wie auch den Veranstaltern regten sich Zweifel. Nun wurde erneut geprüft und es zeigte sich: Es waren offenbar viel mehr Menschen vor Ort, als zunächst angegeben.
Es ist an sich nichts ungewöhnliches: Die Teilnehmerzahlen von den Veranstaltern einer Demo und der Polizei gehen oftmals auseinander. Normalerweise versandet das Thema schnell, man gibt sich mit dem Gedanken zufrieden: Irgendwo zwischen den Zahlen liegt die Wahrheit.
Doch in diesem Fall ist es anders – nicht nur, weil die Bilder von Menschenmassen und das eigene Erleben der Demonstranten, der Abbruch der Demo wegen Überfüllung und die Bilder und Videos in den Sozialen Medien und von Presse-Fotografen an der geringen Zahl zweifeln lassen, sondern vor allem, weil das Thema so wichtig ist: „Hamburg steht auf – gegen Rechtsextremismus und neonazistische Netzwerke“.
Hamburg: Innenbehörde prüft Zahlen der Demo
In Zeiten, in denen AfDler, Mitglieder der CDU, der Werteunion und bekannte Rechtsextremisten heimliche Treffen veranstalten und offen über Remigration, also die Deportation von Menschen ausländischer Herkunft, schwadronieren, ist es wichtig zu sehen, wie viele Menschen sich dagegen zur Wehr setzten.
Kazim Abaci, SPD-Bürgerschaftsabgeordneter und Mitorganisator der Kundgebung, bekam deshalb etliche Zuschriften. Viele Demo-Teilnehmer seien irritiert von den Polizei-Zahlen und hätten immer wieder nachgefragt. Deshalb habe er die Innenbehörde per E-Mail um Nachprüfung gebeten, sagte Abaci. Und diese Nachprüfung hat ergeben: Es waren nicht 50.000 Teilnehmer und auch nicht 130.000 wie Abaci zunächst verkündete. Es waren 180.000!
Doch wie kann es zu so einem Zahlen-Wirrwarr kommen? Die MOPO hatte bereits am vergangenen Freitag die Information, es könnte sich tatsächlich um 180.000 Teilnehmer handeln. Auf Nachfrage bei der Polizei blieb diese jedoch am Montag bei ihrer bisherigen Einschätzung: „Die Zählung unterstützende Luftbilder des Polizeihubschraubers standen der Einsatzleitung bereits am 19.01.2024 zur Verfügung und wurden in die Ermittlung der Teilnehmerzahl mit einbezogen. Insgesamt wurde durch die Polizei auf diese Weise für die Versammlung eine Teilnehmerzahl von 50.000 Personen ermittelt.“
Demo gegen Rechts: Andy Grote erklärt abweichende Zahlen
Am Donnerstag schaltete sich dann Innensenator Andy Grote (SPD) ein und erklärte die von der Polizei zunächst viel zu gering geschätzte Teilnehmerzahl mit der schwierigen Situation: „Das hat damit zu tun, dass wir ständig weiteren Zulauf hatten, dass es eine unübersichtliche Situation vor Ort war.“ Die herkömmliche Art der Zählung sei an Grenzen gestoßen. Zudem habe sich die Schätzung vor allem auf die angemeldete Versammlungsfläche am Jungfernstieg bezogen. „Und alles, was sich dann noch so weiter drumherum abgespielt hat, ist dann nicht mehr vollständig in die Betrachtungen gekommen.“
Die Behörde wies aufgrund des öffentlichen Interesses und der besonderen Größenordnung ausnahmsweise eine nachträgliche Prüfung der Zahl durch die Polizei an, so heißt es. Diese basierte nun auf der Gesamtfläche, die die Teilnehmenden in Anspruch nahmen. Diese Fläche sei anhand von öffentlich einsehbaren (Luft-)Bildaufnahmen ermittelt worden, also Pressebilder und Social Media. Hubschrauber-Bilder habe man nicht auswerten dürfen, hieß es nun auf einmal – dafür fehle die rechtliche Grundlage. Die Innenbehörde kam so auf eine belegte Fläche von rund 60.000 Quadratmetern. Unter der Annahme, dass auf einem Quadratmeter drei Personen standen, ergab sich rechnerisch eine Zahl von 180.000 Teilnehmern.
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Es handele sich dabei jedoch nicht um ein Standardvorgehen, das auch auf andere Versammlungen übertragen werden könne, heißt es. Eine nachträgliche Berechnung anhand von Flächengrößen sei polizeilich im Normalfall nicht vorgesehen.
Abaci zeigte sich ob der neuen Zahlen beeindruckt: „Ich bin stolz auf die Stadt und stolz, ein Hamburger zu sein, weil das ein gigantisches Zeichen für Demokratie und Zusammenhalt ist.“ Rein rechnerisch sei jeder zehnte Einwohner und jede zehnte Einwohnerin an dem Tag gegen Rechts auf die Straße gegangen.