Jeden Tag ein Rettungswagen, riesige Kosten: Der absurde Umgang mit den Obdachlosen
Krampfanfälle, Atemnot und Suizidprävention: Aus diesen und ähnlichen Gründen müssen Rettungswagen regelmäßig Wohnungslose aus der Tagesaufenthaltsstätte im Friesenweg (Hammerbrook) holen – im Schnitt mehr als einmal am Tag. Das ist nicht nur für die Menschen eine Quälerei, es kostet die Stadt mehrere 10.000 Euro. Dabei könnte es vor Ort eine günstigere Lösung geben.
- Deutsch (Deutschland)
MOPO+ Abo
für 1,00 €Jetzt sichern!Neukunden lesen die ersten 4 Wochen für nur 1 €!Unbeschränkter ZugangWeniger Werbung
Danach nur 7,90 € alle 4 Wochen
Wenn Sie E-Paper Kunde sind, betrifft diese Änderung Sie nicht.
Krampfanfälle, Atemnot und Suizidprävention: Aus diesen und ähnlichen Gründen müssen Rettungswagen regelmäßig Wohnungslose aus der Tagesstätte im Friesenweg (Hammerbrook) holen – im Schnitt mehr als einmal am Tag. Das ist nicht nur für die kranken Menschen eine Quälerei, es kostet die Stadt mehrere 10.000 Euro. Dabei könnte es vor Ort eine günstigere Lösung geben.
Für Niklas Berger ist es völlig unverständlich: Regelmäßig hört der Arzt im Gesundheitsmobil von seinen Patienten, dass sie in der Obdachloseneinrichtung Friesenstraße kaum bis gar nicht medizinisch versorgt werden. „Dabei haben viele von ihnen eine dauerhafte Begleitung dringend nötig: Sie haben chronische Krankheiten, offene Wunden, einen schlechten Allgemeinzustand“, sagt Berger.
96 Rettungseinsätze in zwei Monaten: Etwa 40.000 Euro
In der Friesenstraße ist die Warteschlange am einzigen Untersuchungstag in der Woche, dem Mittwoch, oft so lang, dass die letzten nicht mehr reindürfen, berichten externe Ärzte. Die Sprecherin des städtischen Unternehmens „Fördern und Wohnen“, das die Einrichtung betreibt, relativiert: „In der Regel dauert die Sprechstunde mehrere Stunden. Und es gibt täglich von morgens bis abends medizinische Versorgung durch einen externen Pflegedienst.“ Dr. Lina Ko, Niklas Bergers Kollegin im Gesundheitsmobil, hält dagegen: „Die Defizite in der Hygiene und der medizinischen Versorgung in der Friesenstraße sind uns durch Patienten bekannt.“
Was passiert mit den Menschen, die an einem anderen Tag als Mittwoch plötzlich ein Problem haben? Und mit denen, die am Mittwoch nicht drankommen? Sie werden per Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. Das bedeutet nicht nur vermeidbare Strapazen für die Patienten, sondern auch Kosten für die Stadt: Hochgerechnet 40.000 Euro alleine für die 96 Rettungseinsätze zwischen dem 1. April 2023 bis einschließlich 5. Juni 2023. Das geht aus der Kleinen Anfrage des Bürgerschaftsabgeordneten Andreas Grutzeck (CDU) hervor. „Die Sprechstunde muss dringend ausgeweitet werden“, sagt er beim Anblick der Zahlen.
Behörde betont Aufstockung des medizinischen Angebots
Um den Versorgungsnotstand etwas abzufedern, haben Niklas Berger und das Team von „Mahlzeit Altona“ eine medizinische Sprechstunde eingeführt. „Eigentlich nur als Übergangslösung“, so Berger. „Aber wegen des hohen Bedarfs werden wir sie dauerhaft weiterführen.“
Die Sozialbehörde indes betont, dass „niedrigschwellige Angebote für obdachlose Menschen in den letzten Jahren bereits ausgebaut“ wurden. In der Friesenstraße sei „derzeitig zwei– bis dreimal täglich ein Pflegedienst im Einsatz, der z.B. die Wundversorgung oder auch die Medikamentengabe für chronisch Erkrankte vornimmt“. Zudem unterhalte die Stadt zusätzlich beispielsweise drei Schwerpunktpraxen, die Krankenstube für obdachlose Menschen oder das Krankenmobil der Caritas.
Das könnte Sie auch interessieren: Verdrängt die Politik Obdachlose und ihre Helfer aus der Innenstadt?
Auszureichend scheint das Angebot nicht zu sein – 96 Rettungswagen-Einsätze in zwei Monaten sprechen für sich.