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  • Foto: picture alliance/dpa

Ist das wirklich gerecht?: Warum einige Betriebe aufbleiben dürfen — und andere nicht

Ab nächsten Montag geht Deutschland in den „Wellenbrecher Lockdown“: Kanzlerin Angela Merkel und die 16 Ministerpräsidenten stellten am Mittwoch die verschärften Corona-Maßnahmen vor. Diese beinhalten unter anderem: Gastronomie, Theater, Kinos und Fitnessstudios müssen schließen, Kontakte werden radikal eingeschränkt. Was ist richtig, was ist sinnvoll, was wird massiv kritisiert – die große Übersicht. 

Sind massive Beschränkungen für Deutschland wirklich notwendig?

Fakt ist: Die Pandemie droht außer Kontrolle zu geraten – so wie in vielen Nachbarländern. Dass etwas passieren muss, ist unstrittig. Stefan Kluge, Leiter der Intensivmedizin am UKE, schätzt die starke Zunahme der Corona-Infektionen als „absolut besorgniserregend“ ein und fordert mit Blick auf die neuen Kontaktbeschränkungen: „Wir müssen diesen Trend stoppen, die Politik muss handeln. Uns bleibt keine andere Wahl.“

Trifft es die richtigen Branchen?

Das wird sehr unterschiedlich bewertet. Angela Merkel bezeichnete die Maßnahmen als verhältnismäßig. Ein Kritiker ist Virologe Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut auf St. Pauli. Er findet den Teil-Lockdown in mancher Hinsicht überzogen.„Bei bestimmten Maßnahmen stellt sich einfach die Frage der Verhältnismäßigkeit und ob sie auch zielgerichtet sind und das bezwecken, was wir eigentlich erreichen wollen – also eine Stabilisierung der Lage.“ Das Problem ist: Aktuell lässt sich bei 75 Prozent der Infektionen nicht mehr sagen, woher sie kommen. Entsprechend schwierig ist es, mit gezielten Maßnahmen die Pandemie aufzuhalten.

Aus für die Kultur im November – Ist das wirklich verhältnismäßig?

Virologe Schmidt-Chanasit äußerte sich explizit kritisch zum Aus für die Kultur. So sei beispielsweise die Schließung der Elbphilharmonie, deren Hygienekonzept er gut kenne, nicht zielführend. „Es ist aus meiner Sicht, aus virologischer Sicht, nahezu unvorstellbar, dass dort massenhaft Infektionen aufgetreten sind.“ Auch Thalia-Theater-Intendant Joachim Lux kritisiert, dass es „nicht einmal andeutungsweise zu erkennen ist, dass Kulturveranstaltungen zur Verbreitung des Virus beitragen“.

Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) warnte vor den Folgen: „Einen solchen Schritt können wir aber gesellschaftlich und auch wirtschaftlich nicht beliebig oft wiederholen.“ Die Branche habe mit viel Kreativität, Engagement und Verantwortungsbewusstsein bewiesen, dass sie auch unter Pandemiebedingungen gut und sicher arbeiten könne. Erst vor wenigen Tagen hatte Brosda Theater und Konzerthäuser mit Blick auf mögliche Ansteckungsrisiken als „sicherer als zu Hause“ beschrieben.

Der Chef des Zeise-Kinos, Matthias Elwardt, kann die Entscheidung ebenfalls nicht nachvollziehen. „Das bedeutet die zweite Schließung des sichersten Kulturortes der Welt“, sagte er. „Kino ist durch seine Lüftungs- und Hygienekonzepte sicher.“

Restaurants müssen wieder schließen: Die Wut der Gastronomen

Am Mittwoch hatten Vertreter der Gastro-Branche, darunter auch TV-Koch Tim Mälzer, einen Brandbrief an Kanzlerin Angela Merkel geschrieben. Dort appellierten die Gastronomen an die Politik, ihre Branche, die so viel Mühe und Geld in Hygienekonzepte investiert habe, als Partner zu sehen. „Einen zweiten Lockdown überleben viele Betriebe nicht.“ Schon warnen Experten vor einer Pleitewelle. Auch für Restaurants gilt: Zumindest sind sie nicht nachweisbar Treiber der Pandemie, ausgeschlossen sind Infektionen hier aber auch nicht. Manche Gastronomen sind sehr sorgfältig bei der Ausgestaltung der Regeln, andere eher nachlässig.

Bars und Clubs während Corona: Große Infektionsherde?

Dass vor allem Bars Infektionsherde sein können, hatten mehrere Corona-Ausbrüche in der Schanze gezeigt. Davon waren unter anderem die Bar „Katze“ betroffen sowie die Shisha-Bar „Le Vou“. Bei der Kontaktnachverfolgung durch das Gesundheitsamt zeigte sich zusätzlich: Viele hatten nicht ihren richtigen Namen eingetragen.

Das Hamburger „barkombinat“ hatte sich allerdings schon am Montag darüber beschwert, dass es von politischer Seite auch kein Miteinander gebe, durch diese Zeit zu kommen. „Die Bars und Kneipen inklusive ihrer Betreiber sind der Stadt Hamburg völlig gleichgültig“, schreiben sie.

Clubs wurden in Deutschland zu Anfang der Pandemie geschlossen: Dass sie ein Risiko sind, hatte u.a. der Fall eines Corona-Infizierten in Berlin gezeigt, der beim Feiern diverse Menschen ansteckte.

Warum müssen Kosmetik- und Tattoostudios schließen, Friseure aber nicht?

Friseure wurden schon beim ersten Lockdown als letztes geschlossen – Haare schneiden wird von der Politik als besonders wichtig angesehen. Hjalmar Stemmann, Präsident der Handwerkskammer Hamburg, appellierte, die Kosmetik- und Fußpflegebranche gegenüber den Friseuren nicht außen vor zu lassen. Die Hygienestandards seien dort bereits vor der Pandemie extrem hoch und seien nun noch einmal strenger. „Eine höhere Infektionsgefahr ist nicht auszumachen“, sagte er.

Trotz einiger Superspreader-Events: Warum bleiben Gottesdienste erlaubt?

Gottesdienste dürfen laut Angela Merkel weiterhin stattfinden. Unterstützung bekam sie von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der darauf verwies, dass besonders die Versammlungs- und Religionsfreiheit sensible Grundrechte seien. Das löst bei vielen Unverständnis aus angesichts mehrerer Superspreader-Events, unter anderem in Frankfurt und Stralsund. Politiker von SPD und Grünen kritisierten die Entscheidung als willkürlich und ohne wissenschaftliche Grundlage.

Aus für den Sport: Warum darf ich trotz Hygienekonzept nicht mehr ins Fitnessstudio?

Fitnessstudios haben mit Sperrung von Geräten, Durchlüftung, Desinfektion und Maskenpflicht auf Corona reagiert. Nun müssen sie wieder schließen. Bisher sind allerdings so gut wie keine Fälle bekannt, bei denen sich eine Infektionskette durch ein Studio zieht. Im „FitX“ in Steilshoop zum Beispiel, in dem ein Corona-Infizierter trainiert hatte, konnten sich mögliche Kontaktpersonen testen lassen. Das Ergebnis: 0 positive Resultate.

Auch der Amateursport muss seinen Spielbetrieb vorübergehend einstellen. Dirk Fischer, Präsident des Hamburger Fußballverbandes, bekräftigt, dass der Amateursport seinen Beitrag leisten muss. „Dennoch ist es schwer vermittelbar, dass Kinder und Jugendliche in der Schule zusammensitzen und dann an frischer Luft keinen Sport zusammen treiben dürfen. Der Sport auf dem Platz ist nicht Treiber der Infektionen, es ist das Umfeld.“

Warum muss alles schließen, aber die Schulen und Kitas bleiben auf?

Es wurde bereits sehr früh von Bund und Ländern kommuniziert, dass die Schulen und Kitas als letztes schließen. Die Erfahrung in Hamburg hat gezeigt, dass es zwar Infektionen an Schulen gibt, die aber fast immer von außen reingetragen werden. Infektionsketten innerhalb von Schulen sind kaum bekannt. Auch innerhalb der Kitas gibt es wenig Infektionsgeschehen. Initiativen wie „Sichere Bildung Hamburg“ werfen der Politik vor, das Beharren auf Präsenz-Unterricht und Lüftungspläne seien unzureichend und ein reines „Augen zu und durch“.

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