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  • In Berlin zeigte sich das riesige Misstrauen Tausender in unsere demokratischen Institutionen. Eine brandgefährliche Entwicklung ...
  • Foto: AP

Irrsinns-Demo der Corona-Leugner: Standpunkt: Wenn Argumente nicht mehr zählen

Vorsicht: Hier schreibt eine System-Hure. Ein Schlafschaf. Ein Mainstream-Schmierfink, ein willfähriger Befehlsempfänger von Merkel. Das ist zumindest die Perspektive derer, die  am Wochenende zu Tausenden in Berlin demonstriert haben. Und die sich auch gern   per Mail und über Social-Media-Kanäle in Redaktionen zu Wort melden, wenn Journalisten sich weigern anzuerkennen, dass es sich bei der Corona-Pandemie um ein abgekartetes Spiel dunkler Mächte handele. Bei dem skurrilen Aufmarsch wurde eines einmal mehr sehr deutlich: Quer durch die Bevölkerung hat sich bei nicht wenigen ein Ausmaß an Entfremdung von und Misstrauen gegen alle demokratischen Institutionen entwickelt, das einem Angst machen kann. Und ratlos. Ein paar Erkenntnisse.

1. Die Ignoranz hat vielfältige Gesichter

Es marschieren junge hippieeske Männer mit Rasta-Zöpfen neben älteren Ehepaaren im Frührentner-Outfit mit Angler-Hüten. Junge Familien halten lächelnd Plakate mit Regenbögen und Herzchen empor, daneben laufen breitschultrige Männer mit der Fahne des Deutschen Reichs und „Germania“-T-Shirts. Mittvierziger-Frauen in Xavier-Naidoo- und Wacken-Shirts, Erzieherinnen, mittelalte Männer, die aussehen, als wären sie Informatiker oder Verwaltungsangestellte, buntkostümierte Freaks, in die Jahre gekommene Blumenkinder,  Regenbogen-Fahnen, auffällig viele Frauen. Es ist ein bunter Mix, es ist, so wirkt es, die „Mitte“, ergänzt durch einige, die so aussehen, als hätten sie sich als „Mitte“ verkleidet. 

2. Keine Theorie ist hier zu absurd

Impfgegner predigen die Stärkung des Immunsystems statt einer Impfung. Und sie alle fühlen sich in ihrer Freiheit beschränkt, ihrer Grundrechte beraubt, einer Diktatur nah, oder schon als Opfer einer solchen. Dass sie diese Thesen offen und frei verbreiten können, sieht offenbar niemand als einen Widerspruch an. Sie sehen sich regiert von „kriminellen Halunken“, wieder in der DDR. „Möge die 2. Welle bald kommen…“ Bill Gates tötet, das 5G-Netz auch. „Drosten = Viro-Lüge“. Seit Monaten argumentieren Experten, diskutieren Politiker, erklären Journalisten, gibt es aufwändige Fakten-Checks. Nichts hat hier verfangen.

3. In diesem optisch fröhlich-sommerlich daherkommenden Marsch spielt Abgrenzung gegen Rechts keine Rolle

„Tag der Freiheit“ heißt ein NS-Propaganda-Film von Leni Riefenstahl über den siebten Reichsparteitag der NSDAP. „Tag der Freiheit“ ist auch das Motto der Demonstration. Bestimmt nur Zufall. Der Vegan-Koch Hildmann, der inzwischen offen rechtsradikale Parolen und Gewalt-Phantasien verbreitet? „Spitze!“, findet eine Frau im luftigen Sommerkleid. Ein Mann reckt ein grob gezeichnetes Bild von Merkel mit langer Nase empor. „Perfekte Volksmanipulierer“ steht darauf. Ein T-Shirt mit Schwarz-Rot-Gold: „Wenn dich diese Fahne stört, helfe ich dir beim packen!“ Als Reporter Teilnehmer fragen, ob sie mit solchen Aussagen Problem hätten, erwidern die: „Tja, ist halt Meinungsfreiheit.“

4. Unterschwellig kocht die Aggression

Dunja Hayali, für das ZDF vor Ort, dokumentiert, wie die Arbeit der Journalisten zum Spießrutenlauf wird. „Lügenpresse!“ schallt es ihr entgegen. „Schämt euch!“ „Warum lügt ihr?“ Die Meinungsfreiheit, die die Demonstranten für sich einfordern, gilt offenbar nicht für alle. Für die Pressefreiheit haben viele eh nur Hohn über.

Ein Mann mit Aluhut nimmt an der Demonstration gegen die Corona-Beschränkungen teil.

Ein Mann mit Aluhut nimmt an der Demonstration gegen die Corona-Beschränkungen teil.

Foto:

dpa

5. Rücksichtsnahme? Nicht zu erwarten

Maskenpflicht und Abstandsregeln werden gezielt ignoriert. Passanten, die Maske tragen, berichten, dass sie deswegen bepöbelt werden. Es geht nicht darum, zu hinterfragen, eine andere Position einzunehmen. Hier wird ziviler Ungehorsam praktiziert. Und mögliche Folgeschäden werden gezielt in Kauf genommen: „Wir sind die 2. Welle“, steht auf einem Plakat.

6. Die Polizei tut sich schwer mit der Situation

Lange schaut man dem Treiben, das offen gegen die Auflagen verstößt, zu. Appelle, sich an die Hygiene-Regeln zu halten, verpuffen. Später wird die Veranstaltung aufgelöst. Der gezielte Regelbruch ist gelungen. Die Bilder sind in der Welt.

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Nur skurril oder brandgefährlich? Der Berliner Aufmarsch gegen Corona-Maßnahmen.

Foto:

imago images/Stefan Zeitz

7. Die Verunsicherung der Einzelnen wird gezielt genutzt und verstärkt

Behörden und Beobachter gehen von etwa 20.000 Teilnehmern aus. Schon früh streuen Redner die völlig aus der Luft gegriffene Zahl von 1,3 Millionen Teilnehmern, vielfach wird sie, wie die „ARD-Faktenfinder“ dokumentiert haben, in sozialen Netzwerken geteilt. Auch von AfD-Politikern. Einer kommentiert: „Wie lange kann sie das noch aussitzen?“ Gemeint ist Merkel. Und ignoriert wird, dass die große Mehrheit der Deutschen hinter den Maßnahmen stehen.

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8. Der Staat braucht eine Antwort auf solche Entwicklungen

Großveranstaltungen, auf denen derart gezielt gegen die derzeit vergleichsweise moderaten Regeln verstoßen wird und die Manipulation verunsicherter und verwirrter Menschen verstärkt wird, sind ein immenses Risiko. Vor allem vor dem Hintergrund wieder steigender Infektionszahlen und eines damit erneut drohenden Lockdowns. Der hätte unabsehbare Folgen für die Wirtschaft und würde wohl vielen angeschlagenen Unternehmen den Todesstoß geben.

Ja, bei strengerem Vorgehen gegen Initiatoren und eklatante Regelverstöße droht eine Bestätigung und Verstärkung des Opfermythos’. Dass aber bei diesem Klientel auf Einsicht, oder zumindest Zurückhaltung nicht zu hoffen ist, das ist seit diesem Wochenende klar. Meint zumindest das Schlafschaf.

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