Im Suff und viel zu schnell: Er fuhr eine Fußgängerin tot – Streit um Urteil
Es sind drei Sekunden, in denen Mustafa G. (44) die Kontrolle über seinen Wagen verliert. Drei Sekunden, die alles ändern. Eine Passantin wird durch umherfliegende Autoteile verletzt, einem Mann werden beide Beine gebrochen und eine junge Frau wird so schwer verletzt, dass sie wenig später stirbt. Mustafa G., Ehemann und Vater zweier kleiner Kinder, landet vor dem Amtsgericht Altona. Er wird wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Doch die Staatsanwaltschaft geht in Berufung, sie hält das Urteil für zu mild und fordert: Haft. Die verwaisten Eltern der Fußgängerin haben dazu eine überraschende Haltung.
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Es sind drei Sekunden, in denen Mustafa G. (44) die Kontrolle über seinen Wagen verliert. Drei Sekunden, die alles ändern. Eine Passantin wird durch umherfliegende Autoteile verletzt, einem Mann werden beide Beine gebrochen und eine junge Frau wird so schwer verletzt, dass sie wenig später stirbt. Mustafa G., Ehemann und Vater zweier kleiner Kinder, landet vor dem Amtsgericht Altona. Er wird wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Doch die Staatsanwaltschaft geht in Berufung, sie hält das Urteil für zu mild und fordert: Haft. Die verwaisten Eltern der Fußgängerin haben dazu eine überraschende Haltung.
„Es gibt keine Berufung, die mich so sehr ärgert wie diese“, sagt der Verteidiger von Mustafa G. (Name geändert) am Mittwoch zu Beginn des Prozesses vor dem Landgericht Hamburg am Sievekingplatz. Er macht deutlich: Keiner wolle diesen Prozess – außer dem Staatsanwalt. Weder er und sein Mandant, noch die Angehörigen der getöteten 26-Jährigen, noch Stefan H., der Mann, der bei dem Unfall schwer verletzt wurde. „Ich würde mich freuen, wenn die Staatsanwaltschaft sich einen anderen Fall heraussucht, um ein Exempel zu statuieren“, so der Verteidiger.
Hamburg: Staatsanwalt fordert Strafe ohne Bewährung
Der Staatsanwalt will davon nichts wissen. Er sieht hier keine fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs, sondern eine vorsätzliche. Sein Ziel: Eine Strafe ohne Bewährung. Die Richterin fasst den Vorwurf gegen den Angeklagten zusammen: Am 14. April 2020 fuhr Mustafa G. gegen 18.30 Uhr mit seinem Mercedes die Kieler Straße Richtung Eimsbütteler Marktplatz. Er war alkoholisiert, kam bei einem Fahrspurwechsel von der Straße ab und erfasste mit wenigstens 80 km/h (erlaubt sind 50) die an einer Ampel wartende Linda F. (26) und den ebenfalls wartenden Stefan H. Die junge Frau verstarb zehn Tage später an ihren schweren Verletzungen, Stefan H. erlitt zahlreiche Brüche in den Beinen, musste bislang elf Mal operiert werden und hat eine lange Reha hinter sich.
Mustafa G. räumte die Tat im ersten Prozess direkt ein, zeigte Reue, entschuldigte sich bei den Eltern der Getöteten, bei Stefan H. und bei der verletzten Passantin. Er habe sich am Nachmittag vor dem Unfall am Telefon mit seiner Frau gestritten, berichtet er. Es war in der Pandemie, die finanzielle und familiäre Situation sei sehr angespannt gewesen, er hatte Schulden beim Finanzamt und Angst, seinen Laden schließen zu müssen.
Mustafa G. betreibt ein Lebensmittelgeschäft in Nettelnburg. Freie Tage habe er kaum, oft kommt er erst spät nach Hause, erzählt er. Auch an diesem Abend wollte er eigentlich erst gegen 22 Uhr zurück bei seiner Familie sein. Seine Frau warf ihm jedoch am Telefon vor, er lasse sie mit den Kindern allein. Nach dem Streit habe er getrunken, die Liköre Feigling und Berentzen-Apfel, dazu Jack Daniels Cola. Eigentlich trinke er nur bei Geburtstagen. Er habe seinen Vater angerufen, damit der im Laden übernimmt und sich in seinen Wagen gesetzt: „Ich habe in dem Moment nur an meine Frau und an den Streit gedacht.“ Gutachter stellen bei Mustafa G. später 1,54 Promille fest.
Prozess: Angeklagter entschuldigt sich bei Angehörigen
Während der Verhandlung sitzt Mustafa G., ein breitschultriger Mann in dunkelgrünem Hemd, ruhig neben seinem Verteidiger und schaut die meiste Zeit auf den Tisch vor sich. Wenn er spricht klingt seine Stimme gebrochen. Der Verteidiger liest aus der Stellungnahme des Angeklagten vor: „Ich möchte mein tiefstes Bedauern ausdrücken. Ich schäme mich. Es tut mir unendlich Leid, ich habe so viel Kummer und Schmerz verursacht.“
Es werden auch die Entschuldigungen verlesen, die Mustafa G. während des ersten Prozesses direkt an Stefan H. und die Eltern von Linda F. richtete: „Ich weiß, was ich Ihnen angetan habe“ und „der Tod Ihrer Tochter wird immer auf meinen Schultern lasten“ heißt es darin.
Tränen bei Unfallopfer
Stefan H. (36) ist vom Landgericht als Zeuge geladen. „Ich erinnerte mich, dass ich auf dem Rücken lag und nach oben guckte. Mir war sehr kalt“, schildert er den Unfall. Der Mann mit Rauschebart und geweiteten Löchern in den Ohrläppchen gibt sich aufgeräumt. Psychisch sei alles soweit okay, er sei wegen der Verletzungen, Narben und Gehbehinderung nicht in eine Depression gerutscht.
Körperliche Beschwerden habe er jedoch bis heute, das reiche von Kribbeln in den Beinen bis zu Schwellungen und Schmerzen. Er könne nicht mehr in der Pflege arbeiten, sich die Hose wegen Gleichgewichtsproblemen nicht mehr im Stehen anziehen und an Radfahren oder wandern – zwei Leidenschaften von ihm – sei nicht mehr zu denken. „Natürlich wünsche ich mir, dass es nicht passiert wäre. Es tut mir weh, dass ich manches nicht mehr machen kann. Aber für das, was mir passiert ist, habe ich einen sehr guten Status. Ich kann mein Leben soweit normal weiterführen“, sagt er.
Nebenkläger sind gegen Berufungsprozess
Die Reue nimmt er dem Angeklagten ab, die Entschuldigung an. „Ich finde es verkehrt, dass wir heute hier sitzen“, sagt Stefan H.. „Ich bin mit der Strafe vom Amtsgericht Altona einverstanden.“ Für einen kurzen Moment bekommt seine lockere Fassade Risse, er beginnt zu weinen. „Ich glaube, wir sind alle genug bestraft mit dem, was wir hier haben.“
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So sehen es auch die Eltern von Linda F. Der Angeklagte habe seine Reue und sein tiefes Bedauern ausgedrückt, man habe ihm verziehen. Der Berufungsprozess sei „unangemessen“. Mit Blick auf die Frau und die zwei kleinen Kinder des Angeklagten heißt es: „Eine unbedingte Freiheitsstrafe würde den Kreis der Betroffenen erweitern.“ Ein Urteil wird beim nächsten Prozesstermin, am 14. Dezember, erwartet.