„Ich kann mit meinen Merkwürdigkeiten wundervoll sein“
Daniel Plettenberg (53) hat etliche Jahre verplempert. Damit, irgendwie in diese Welt zu passen. Zu studieren, zu überlegen, welchen Beruf man braucht. Doch er und diese Welt – das passte einfach nicht. „Irgendwann habe ich die Kraft gefunden, mir selbst zu erlauben, ich zu sein. Ich muss nicht reinpassen. Ich kann in meinen Merkwürdigkeiten wundervoll sein“, sagt der Mann, der vor 30 Jahren seiner Extravaganz Raum ließ und Tunte und Dragqueen Didine van der Platenvlotbrug wurde. Eine „queere Mum“, die als Entertainerin, Moderatorin, Performerin und Philosophin auf der Bühne steht und es liebt, einfach nur sie selbst zu sein.
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Daniel Plettenberg (53) hat etliche Jahre verplempert. Damit, irgendwie in diese Welt zu passen. Zu studieren, zu überlegen, welchen Beruf man braucht. Doch er und diese Welt – das passte einfach nicht. „Irgendwann habe ich die Kraft gefunden, mir selbst zu erlauben, ich zu sein. Ich muss nicht reinpassen. Ich kann in meinen Merkwürdigkeiten wundervoll sein“, sagt der Mann, der vor 30 Jahren seiner Extravaganz Raum ließ und Tunte und Dragqueen Didine van der Platenvlotbrug wurde. Eine „queere Mum“, die als Entertainerin, Moderatorin, Performerin und Philosophin auf der Bühne steht und es liebt, einfach nur sie selbst zu sein.
Mit übereinandergeschlagenen Beinen sitzt Didine auf einem Holzhocker in ihrem Wohnzimmer. Den Körper gehüllt in einen schwarzen, weit ausgeschnittenen Pailletten-Hosenanzug, unter dem das tätowierte Dekolleté hervorlugt. Um den Hals schwere Klunker. Auf die Frage, ob sie lieber Didine oder Daniel genannt werden möchte, antwortet sie mit einem Lächeln. „Gerne Didine“, sagt sie, nimmt einen Schluck Tee und berichtet von Kindheitserinnerungen, die ihr kürzlich wieder eingefallen seien. Wie sie schon als kleiner Junge keinen Männerkörper haben wollte. Und dass sie sich, wenn sie auf dem Schoß der Freundinnen ihrer Mutter saß, immer die langen Haare über den eigenen Kopf gelegt hat.
Didine: „Ich würde mich als genderfluid bezeichnen“
„Schon in der Grundschule war mir klar, dass ich schwul bin. Ich habe versucht, alle Jungs in meiner Klasse zu verführen. Ganz schön frühreif“, sagt Didine lachend. Fußball spielen, sich messen, raufen – alles, was normale Jungs machten, fand Didine ganz fürchterlich. Sie spielte lieber mit den Mädchen. Einmal schrieb die Grundschullehrerin in einem Zeugnis: „Daniel kann sich nicht in die Klasse integrieren, weil er zu viel mit den Mädchen spielt.“ Eine Frechheit – die Didine noch heute aufregen könnte. Und die ihr früh zeigte: Sie darf ihr Innerstes nicht mit anderen teilen und muss sich ihre eigene Welt erfinden. Die Welt hat keinen Platz für sie.
Heute weiß die Künstlerin, wer sie ist. Sie ist Daniel und Didine in einer Person. „Ich würde mich als genderfluid bezeichnen.“ Ein Mensch mit „flüssigem“ Geschlecht, das sich mit der Zeit oder situativ ändert. Bis zu dieser Erkenntnis war es jedoch ein weiter Weg. Den ersten großen Schritt machte sie 1989. Didine, damals noch Daniel, zog vom südhessischen Darmstadt nach Hamburg und hatte hier ihr Coming-out. Eine Zeit, in der Homosexuelle massiven Anfeindungen ausgesetzt waren. Didine erinnert sich noch, wie sie damals durch eine Fußgängerzone schlenderte. Einen großen Schal mit Paisleymuster um. Ein altes Ehepaar kam auf sie zu und zischte: „So etwas wie Sie hätte man damals vergast.“ Die Frau im Paillettenkleid schüttelt den Kopf. „Solche Dinge passierten auf der Straße, wenn man zu auffällig rumlief.“
„Ich bin 30 Kilo schwerer und habe eine andere Lebenserfahrung“
Auch Bedrohungen von Jugendlichen waren damals „normal“. Einmal wurde Didine am Hauptbahnhof von zehn Halbstarken umringt. Sie beschimpften sie als „schwule Sau“ und drohten, ihr eine reinzuhauen. „Da lief sogar die Polizei an mir vorbei. Ich weiß nicht, ob sie es nicht sahen oder es sie nicht interessierte. Geholfen haben die Beamten auf jeden Fall nicht.“ Heute passiert Didine so etwas nicht mehr. „Ich bin auch 30 Kilo schwerer und habe eine andere Lebenserfahrung.“
Doch es sei nicht nur eine schwierige Zeit gewesen. Es war auch eine Zeit des Aufbruchs. Die Zeit, in der Didine van der Platenvlotbrug geboren wurde. Ihren „Tuntennamen“, dessen Aussprache kaum einer im ersten Anlauf schafft, bekam sie vor 30 Jahren verpasst. Von einem kleinen Mädchen im Hollandurlaub, das mit ihrem bürgerlichen Namen experimentierte. Seitdem steht Didine auf der Bühne und „trägt den queeren Blick in die Gesellschaft“. Ihre erste Drag-Show „Tunten und besetzte Häuser“ mit ihrer langjährigen Bühnenpartnerin Blessless Mahoney fand zwischen Hafenstraße und Roter Flora statt. Mittlerweile tritt sie in Theatern, Museen, bei Veranstaltungen und Partys auf, macht Performances, Comedy, hält Vorträge und moderiert. „Irgendwer hat mal gesagt, wir seien die intellektuellsten Tunten Deutschlands.“
Didine ist Mitbegründerin des „Feminité St. Pauli“.
Wohl nicht ohne Grund. An Schulen gibt die Dragqueen Workshops in vierten Klassen, an Universitäten hält sie Vorträge in Philosophie. Auch in Südfrankreich gibt Didine im Rahmen der Provence-Akademie „queer-philosophische Seminare“. Darüber hinaus ist sie Mitgründerin des „Feminité St. Pauli“. Das „Weiblichkeitenmuseum“ ist ein virtuelles Museum, dessen Wanderausstellung „Achtzehn Weiblichkeiten“ schon an verschiedenen Orten zu sehen war und besondere Frauen zeigt, die den Stadtteil mitgeprägt haben.
Sich für St. Pauli zu engagieren, ist Didine wichtig. Seit mehr als 20 Jahren lebt sie auf dem Kiez. Für die Tunte ihr „Ermöglichungsraum.“ Wenn sie im Fummel über die Straße läuft, kommen die Jungs vom Fahrradladen und rufen: „Hey, siehst Bombe aus.“ Ihre schönsten Fotos von Auftritten schickt sie an ihre Fleischereifachverkäuferin, die stets mitfiebert. Und Nachbarn haben ihr bereits mitgeteilt, dass sie immer einen Baseballschläger parat haben, damit sie sie schützen können, falls Deppen durch die Straßen ziehen. Was allerdings noch nicht vorgekommen sei. „Das ist wow. Ich muss mich hier keine Sekunde rechtfertigen. Es gibt ganz viele Menschen, die mein und unser Leben auf St. Pauli möglich machen.“
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Ein buntes Leben. Mit Perücken, lackierten Nägeln, Klamotten- und Schuhtick und einer „wundervollen, selbstgewählten queeren Familie“. Doch die „queere Mum“ ist nur ein Drittel ihres Lebens. Zwei Drittel nehmen die beiden Hauptjobs von Daniel Plettenberg ein. Er ist Mitgründer der Parfum-Firma „Atelier PMP“, die seit zehn Jahren mit „fantastischen Parfummachern in Paris“ zusammenarbeitet. Zudem ist er Inhaber einer Marktforschungsfirma und reist für Luxusunternehmen um die Welt, um deren Konsument:innen zu befragen. „Ich fliege nach Schanghai und unterhalte mich mit Multimillionären über deren Inneneinrichtung oder rede mit Menschen über deren Brillanten.“
Ganz schön ausgefallene Jobs. Wie so vieles im Leben der Dragqueen. Sich selbst zu erlauben, all das zu sein, was man möchte – das sei die grundsätzliche Kraft des Tunteseins, sagt Didine. Eine Kraft, die sie erst finden musste. Die ihr aber seitdem erlaubt, endlich die zu sein, die sie immer sein wollte: Sie selbst.