Plattenbauten, alles eng – egal: „Ich möchte zurück in meinen geliebten Brennpunkt“
Ihr Leben lang hat Cansu Özdemir am Osdofer Born gewohnt. Dann wurde sie Politikerin und Mutter, heiratete und zog nach Iserbrook. Was für die meisten Borner klingt wie eine Aufstiegsgeschichte – endlich raus aus dem Stadtteil – ist für Özdemir kein Erfolg. Sie liebt die Siedlung und möchte unbedingt wieder zurück, um ihren Sohn dort aufwachsen zu sehen. Der MOPO hat sie erzählt, warum das so ist – und was sich in dem Viertel dringend ändern muss.
Ihr Leben lang hat Cansu Özdemir am Osdorfer Born gewohnt. Dann wurde sie Politikerin und Mutter, heiratete und zog nach Iserbrook. Was für die meisten Borner klingt wie eine Aufstiegsgeschichte – endlich raus aus der Siedlung – ist für Özdemir kein Erfolg. Sie liebt es dort und möchte unbedingt wieder zurück, um ihren Sohn dort aufwachsen zu sehen. Der MOPO hat sie erzählt, warum das so ist – und was sich in dem Viertel dringend ändern muss.
Am Osdorfer Born leben pro Quadratkilometer 15.047 Menschen. In Iserbrook sind es 4248. Der Osdorfer Born liegt in den Stadtteilen Osdorf und Lurup. Es ist eine klassische Plattenbausiedlung mit vielen Hochhäusern: Wohnung an Wohnung, Tür an Tür, Mensch an Mensch. Die Armut ist groß: Hier leben dreimal so viele Menschen von Bürgergeld wie im Hamburger Durchschnitt. Und doch können viele Bewohner gut verbergen, wenn es ihnen schlecht geht. „Sie kommen teilweise drei Wochen lang nicht aus ihren Wohnungen. Die Armut findet hier nicht auf der Straße statt. Sie ist anonym“, sagt Cansu Özdemir.
Darum liebte Cansu Özdemir ihre Kindheit am Osdorfer Born
Die Linken-Fraktionsvorsitzende in der Hamburger Bürgerschaft ist am Osdorfer Born aufgewachsen und bezeichnet die Siedlung nach wie vor als ihr Zuhause. „Meine Großeltern kamen als Gastarbeiter nach Altona, lebten zunächst in der Stresemannstraße und zogen dann – wie viele Türken – an den Osdorfer Born. Hier war viel Platz und die Wohnungen bezahlbar“, erzählt die 34-Jährige, während sie durch die ihr so bekannten Straßen des Viertels läuft.

„In diesem Mehrfamilienhaus lebten meine Großeltern“, sagt sie und deutet auf einen flachen blassblauen Bau. „Zwischendurch zogen immer wieder andere Familienmitglieder ein. Manchmal waren es bis zu zwölf in den vier Zimmern. Es gab Probleme mit türkischen Rechten im Viertel, aber die sind irgendwann weggezogen.“ Als arm habe sie sich nie empfunden. „Ich würde meine Kindheit als weitgehend glücklich und unbeschwert bezeichnen“, so die Politikerin.

Jetzt, mit etwas Abstand, erkenne sie die Probleme des Viertels. „Die Mieten steigen auch hier und viele Menschen wissen nicht mehr, wie sie sich das noch leisten sollen. Der Sanierungsbedarf ist enorm und die Aufenthaltsqualität ist nicht besonders hoch. Die Cafés und Restaurants lassen sich an einer Hand abzählen. Im ganzen Stadtteil gibt es nur einen Kinderarzt.“

Dennoch fühlt sich Cansu Özdemir nirgends so wohl wie hier. Auf dem Spielplatz an der Kirche war immer etwas los, sagt sie, und erinnert sich an unbeschwerte Spielnachmittage. Bei einem Rundgang durch das „Born Center“ an der Straße Bornheide – Netto, Woolworth, EuroShop – wird sie von der Schneiderin Melek Sajas aufgehalten. Sie zeigt Fotos von ihrem Sohn, den Cansu früher nach der Schule beaufsichtigt hat. Inzwischen ist er 21.

Ungefähr in diesem Alter ging Cansu Özdemir in die Politik. Jetzt ist sie Vorsitzende der Linken-Bürgerschaftsfraktion und im Gegensatz zu manchen Mitgliedern ihrer Partei auch in den anderen Fraktionen durchaus anerkannt: Dort heißt es, sie sei ehrgeizig, gut informiert und kooperativ. 2021 fiel sie auf, als sie auf dem Weg ins kurdische Erbil von der Bundespolizei am Düsseldorfer Flughafen festgehalten wurde. Ihre Delegation habe Mitglieder für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK werben wollen, so der Vorwurf. Eine Frechheit, sagte Özdemir.
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Die 34-Jährige wird als Spitzenkandidatin der Linken in den nächsten Wahlkampf ziehen. Gerade hat sie sie nicht weit vom Osdorfer Born entfernt ihr neues Büro an der Luruper Hauptstraße bezogen und das in der City dafür aufgeben. „Ich möchte nicht über die Menschen reden, sondern mit ihnen“, sagt Cansu Özdemir. Und sie möchte mit ihrem kleinen Sohn und ihrem Mann umziehen: Dafür sucht sie schon eifrig nach einer Wohnung am Osdorfer Born. Iserbrook war nur eine Zwischenlösung. „Mein Sohn soll hier in den Kindergarten gehen und die Familie in der Nähe sein“, so die junge Mutter. „Damit er eine genauso schöne Kindheit hat wie ich.“