„Sehr wirksam“: Der Boom der Fettweg-Spritzen
Abnehmen bedeutet Verzicht – und Quälerei beim Versuch, den untrainierten Körper auf Trab zu bringen. Kein Wunder also, dass Medikamente wie Ozempic derzeit einen weltweiten Hype auslösen. Mit dem Medikament soll man sich schlank spritzen können, so das Versprechen. Doch wie wirksam ist das? Die MOPO hat mit einem Experten und einer Nutzerin gesprochen.
Abnehmen bedeutet Verzicht – und Quälerei beim Versuch, den untrainierten Körper auf Trab zu bringen. Kein Wunder also, dass Medikamente wie Ozempic derzeit einen weltweiten Hype auslösen. Mit dem Medikament soll man sich schlank spritzen können, so das Versprechen. Doch wie wirksam ist das? Die MOPO hat mit einem Experten und einer Nutzerin gesprochen.
US-Promis und Influencer preisen das Medikament als Diät-Wundermittel an: Reality-Star Kim Kardashian passt plötzlich in ein Marilyn-Monroe-Kleid, Tesla-Chef Elon Musk twittert, er habe mehr als 13 Kilo abgenommen. Zum Hashtag #Ozempic finden sich allein bei TikTok mehr als drei Millionen Clips von Menschen, die sich die Spritze setzten und von ihren Abnehmerfolge schwärmen. Alles übertrieben?
„Das Medikament ist sehr wirksam“, bestätigt Prof. Jens Aberle, Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie vom Ambulanzzentrum des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). „Das ist auch der Grund, warum die Nachfrage so groß ist. Es gibt klinische Studien, wonach die Gewichtsreduktion im Schnitt bei etwa 17 Prozent des Körpergewichtes liegt.“ Eine Person, die 100 Kilo wiegt, würde demnach 17 Kilo abnehmen – in einem Zeitraum von etwa einem Jahr.
Hamburg: Engpässe bei Medikament für Diabetiker
Ozempic ist ein Medikament, das eigentlich zur Behandlung des Typ-2-Diabetes dient. Es enthält den Wirkstoff Semaglutid. Der gleiche Wirkstoff ist auch zur Therapie des erhöhten Körpergewichts zugelassen. Dann heißt er jedoch Wegovy – hat also einen anderen Handelsnamen und ist anders dosiert. Die Spritze zur Therapie der Diabetes enthält maximal ein Milligramm des Wirkstoffs in einem Fertig-Pen, zur Reduktion des Körpergewichts sind es 2,4 Milligramm. Ozempic ist verschreibungspflichtig, es braucht also ein Rezept vom Arzt.

In Deutschland ist Wegovy zwar bereits zugelassen, kommt aber voraussichtlich erst im zweiten Halbjahr 2023 auf den Markt. Dänemark ist das einzige Land in der EU, in dem Wegovy für die Adipositas-Behandlung bereits erhältlich ist. Zu einem hohen Preis: Die Wochendosis von 2,4 Milligramm kostet 320 Euro. Derweil führt der riesige Hype in den USA weltweit zu Lieferengpässen. „Deswegen wird hier manchmal das Diabetes-Medikament zweckentfremdet, was aber eigentlich nicht zulassungskonform ist“, so Jens Aberle. „Wir sind momentan fast täglich mit dem Problem konfrontiert, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes, die auf das Medikament angewiesen sind, von ihren Apotheken nicht mehr versorgt werden können. Die Nachfrage ist nicht nur weltweit unglaublich groß, sondern auch hier in Deutschland.“
Der Wirkstoff wird einmal pro Woche ins Unterhautfettgewebe gespritzt und ahmt die Wirkung eines körpereigenen Hormons nach, das GLP-1 heißt. Dieses Hormon wird bei jedem Menschen in Zellen des Magendarmtrakts produziert und freigesetzt, wenn die Zellen in Kontakt mit Nährstoffbestandteilen wie Glukose, Fettsäuren und Aminosäuren kommen. Das Hormon hat verschiedene Wirkungen: Es setzt in der Bauspeicheldrüse verstärkt Insulin frei, um den ansteigenden Blutzuckerwert abzufangen. Und es wirkt im zentralen Nervensystem, wo wir wahrnehmen, ob wir satt oder hungrig sind.
Hamburg: Ozempic hilft gegen Sättigungsstörung
„Das Hormon sorgt dafür, dass wir ein verstärktes Sättigungsgefühl wahrnehmen. Anders ausgedrückt: Der Hunger, den wir normalerweise empfinden, wird weniger wahrgenommen“, sagt Mediziner Jens Aberle. „Deshalb isst man weniger am Tag, ohne das jedoch als belastend, negativ oder anstrengend zu empfinden. So kommt es zu dieser deutlichen Gewichtsreduktion.“
Doch es gibt nicht nur Diabetiker und adipöse Menschen, denen das Medikament das Leben erheblich erleichtert. Linda Müller (Name geändert) war nie dick – jedoch nur, weil sie tagtäglich kämpfte und trotz Hungers nach einer Portion aufhörte zu essen. Das Gefühl satt zu sein kennt sie nicht. Vor einigen Monaten nimmt sie ihren Mut zusammen, geht zum Endokrinologen und lässt sich untersuchen. Er diagnostiziert eine Sättigungsstörung und verordnet ihr Ozempic.
Bereits nach ein paar Tagen merkt Linda Müller eine Veränderung. „Ich werde nie vergessen, wie ich nach einem Arbeitsessen nach Hause kam und meinem Mann freudestrahlend erzählt habe, dass ich meine Portion nicht geschafft hatte. Ich war satt. Ein tolles Gefühl!“ Sie habe schon zwei bis drei Kilo abgenommen. Das sei in ihrem Fall zwar nicht das Wichtigste, aber ein schöner Nebeneffekt. „Plötzlich war alles ganz einfach und ich begriff, dass es wahrscheinlich für viele Menschen so einfach ist. Man isst, wenn man Hunger hat, man wird satt und hört auf.“
Ozempic: Wirkstoff in Medikament bremst Hungergefühl
Die Nebenwirkungen von Ozempic sind gering. Zu Beginn klagen etliche Patienten über leichte Übelkeit oder Magen-Darm-Probleme, berichtet Aberle. Beides sei jedoch temporär und nicht gefährlich. Linda Müller verspürt nur ein leichtes Unwohlsein, als ihre Dosis erhöht wird. In ganz seltenen Fällen können sich Gallensteine durch extreme Gewichtsreduktion bilden oder es kann zu einer Bauchspeicheldrüsenentzündung kommen, so Aberle.
„Für Menschen mit Typ-2-Diabetes und Menschen mit Adipositas ist der Nutzen in der Regel größer als die Risiken von Nebenwirkungen“, so der Mediziner. Auch Linda Müller hofft, dass sie das Medikament weiterhin nehmen kann und nichts entdeckt wird, das dagegen spricht. „Es hat mein Leben verändert. Ich bin sehr glücklich“, sagt sie.
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Wer jedoch aus rein ästhetischen Gründen gerne zwei, drei Kilo weniger hätte, der solle die Spritzen nicht nehmen, sagt Aberle. „Die kosmetische Anwendung ist zumindest aus Fachexpertise nicht zu befürworten. Zum einen, weil es dafür nicht getestet und zugelassen ist, zum anderen aufgrund der Lieferengpässe.“