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Anne Meier-Göring, Vorsitzende Richterin im Stadtpark-Verfahren, hat sich im „Spiegel“ erstmals zu den Angriffen nach dem Urteil geäußert (Archivbild).
  • Anne Meier-Göring, Vorsitzende Richterin im Stadtpark-Verfahren, hat sich im „Spiegel“ erstmals zu den Angriffen nach dem Urteil geäußert (Archivbild).
  • Foto: dpa Pool | Jonas Klüter

Höcke, Hass und Fake News: Hamburger Richterin über Zeit nach Vergewaltigungs-Urteil

Sie hat eines der am meisten beachteten Verfahren der vergangenen Jahre geleitet: den Prozess gegen zehn junge Männer, die im September 2020 auf der Festwiese im Stadtpark in wechselnder Zusammensetzung eine 15-Jährige vergewaltigt hatten. Nun schildert Anne Meier-Göring im Interview mit dem „Spiegel“ erstmals, wie sie die Welle des Hasses erlebte, die nach der Verkündung des vermeintlich laschen Urteils über die Kammer hereinbrach – und warum die Öffentlichkeit, befeuert von interessierter Seite, eine falsche Vorstellung von dem tatsächlichen Geschehen hat.

Von den zehn jungen Angeklagten musste nur einer ins Gefängnis, acht bekamen Jugendstrafen auf Bewährung, einer wurde freigesprochen – es dauerte nur Stunden nach der Urteilsverkündung im November 2023, da hatte der Online-Mob sich formiert. Männer, die sich als Beschützer der Frauen aufspielen, posteten wüste Vergewaltigungsfantasien gegen die Richterin, es gab Gewaltaufrufe, Todeswünsche und jede Menge rassistische Hetze. Die Polizei sei sogar Streife gefahren vor ihrem Wohnhaus.

„Und dann war auch noch mein Bild auf der Facebook-Seite von Björn Höcke, nach dem Motto: Schaut sie euch an, das ist die Frau, die Vergewaltiger laufen lässt“, sagt die erfahrene Richterin im „Spiegel“.

Vergewaltigung in Hamburg: Opfer hat kaum Erinnerungen

Anne Meier-Göring schildert den Zwiespalt, in dem sich Richter befinden, wenn sie nach einem nicht-öffentlichen Verfahren abwägen müssen, welche Erkenntnisse aus den Prozesstagen in die öffentliche Urteilsbegründung einfließen dürfen. Im Stadtpark-Fall wurde anderthalb Jahre hinter verschlossenen Türen verhandelt, zum Schutz der zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten, aber auch zum Schutz des 15-jährigen Opfers. Die Schülerin habe kaum Erinnerungen an die Tatnacht, sagt die Richterin. Zu viele Details, die durch die Urteilsbegründung in die Öffentlichkeit gelangen, könnten sie retraumatisieren – andererseits ergeht ein Urteil stets „im Namen des Volkes“ –und das Volk muss die Urteilsgründe nachvollziehen können. Ein Drahtseilakt.

Meier-Göring ist es wichtig, im Gespräch mit dem „Spiegel“ wenigstens die krassesten öffentlichen Fehlannahmen über das Geschehen im Stadtpark zu korrigieren. Es habe „keine brutale Gruppenvergewaltigung“ gegeben, keine körperliche Gewalt und kein Zerren in ein Gebüsch. Wofür die jungen Männer verurteilt worden sind, war, dass sie den hilflosen Zustand des betrunkenen Mädchens ausgenutzt hatten. Die 15-Jährige hatte die Angeklagten teilweise selbst angesprochen, ist mit ihnen mitgegangen, es gab sogar Küsse. „Ein solches Verhalten wäre noch bis November 2016 in Deutschland nicht strafbar gewesen, alle wären freigesprochen worden“, betont Anne Meyer-Göring.

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Erst nach den massenhaften Übergriffen in der Silvesternacht 2015/16 wurde das Sexualstrafrecht dahingehend reformiert, dass keine Gewalt mehr nötig ist, um eine Tat strafbar zu machen. Es reicht, dass das Opfer eine sexuelle Handlung nicht wollte. Und weil die Schülerin nicht mehr in der Lage war, ihre Zustimmung zu geben, handelt es sich bei den Taten im Stadtpark um Vergewaltigungen. Daraus zu machen, dass „neun Barbaren“ über ein „Kind“ hergefallen seien, das sei „bewusstes Streuen von Fake News“, so die Richterin.

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