Zwei HSV-Stars: Der eine KZ-Häftling, der andere KZ-Kommandant
Asbjørn Halvorsen ist kein großer Ballkünstler, er glänzt aber durch strategisches Vermögen, durch Übersicht, geniales Stellungsspiel, Kampf- und Laufbereitschaft. Mit seinen Pässen kreiert er Chancen, die dann ein Otto Fritz Harder in Tore verwandelt. Mit „Assi“ Halvorsen als Spielmacher und „Tull“ Harder als Torjäger schlägt der HSV in den 1920er Jahren Gegner um Gegner, feiert Triumph um Triumph und erringt zweimal die Deutsche Meisterschaft. Beide Spieler sind Stars, weit über Hamburgs Grenzen hinaus populär. Sie sind Kumpel, hätten Freunde fürs Leben werden können. Doch es kommt ganz anders. Halvorsen organisiert in Norwegen den Widerstand gegen Hitler, wird dafür von den Nazis ins KZ gesteckt. Auch Harder kommt ins Konzentrationslager – aber als Kommandant.
Wir schreiben das Jahr 1921. Asbjørn Halvorsen ist 22 Jahre alt, als er Norwegen verlässt und nach Hamburg geht. Fußballerische Ambitionen hat der Norweger eigentlich nicht. Er will in der Reederei Rob. M. Sloman eine Ausbildung zum Schifffahrtskaufmann beginnen. Aber es dauert nicht lange, da entdeckt ihn der HSV.
Asbjørn Halvorsen: Eigentlich will er in Hamburg eine Ausbildung machen
- Deutsch (Deutschland)
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Asbjørn Halvorsen ist kein großer Ballkünstler, er glänzt aber durch strategisches Vermögen, durch Übersicht, geniales Stellungsspiel, Kampf- und Laufbereitschaft. Mit seinen Pässen kreiert er Chancen, die dann ein Otto Fritz Harder in Tore verwandelt. Mit „Assi“ Halvorsen als Spielmacher und „Tull“ Harder als Torjäger schlägt der HSV in den 1920er Jahren Gegner um Gegner, feiert Triumph um Triumph und erringt zweimal die Deutsche Meisterschaft. Beide Spieler sind Stars, weit über Hamburgs Grenzen hinaus populär. Sie sind Kumpel, hätten Freunde fürs Leben werden können. Doch es kommt ganz anders. Halvorsen organisiert in Norwegen den Widerstand gegen Hitler, wird dafür von den Nazis ins KZ gesteckt. Auch Harder kommt ins Konzentrationslager – aber als Kommandant.
Wir schreiben das Jahr 1921. Asbjørn Halvorsen ist 22 Jahre alt, als er Norwegen verlässt und nach Hamburg geht. Fußballerische Ambitionen hat der Norweger eigentlich nicht. Er will in der Reederei Rob. M. Sloman eine Ausbildung zum Schifffahrtskaufmann beginnen. Aber es dauert nicht lange, da entdeckt ihn der HSV.
Asbjørn Halvorsen: Eigentlich will er in Hamburg eine Ausbildung machen
Asbjørn Halvorsen hat da sportlich schon einiges hinter sich: Bereits als 16-Jähriger gehörte er 1915 fest zur ersten Mannschaft des Vereins Sarpsborg FK und wurde mit 18 norwegischer Meister. Nicht zuletzt dank ihm gelang es Norwegens Nationalteam 1918, Dänemark mit 3:1 zu schlagen – der erste Länderspielsieg überhaupt. Halvorsen hatte auch großen Anteil daran, dass die Elf bei den Olympischen Spielen 1920 in Antwerpen die favorisierten Briten besiegen konnte.
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„Assi“, wie die Hamburger ihn nennen, ist einer der besten Kicker seines Landes, und so einen können sie bei den Rothosen gut gebrauchen. Also ändert er seine Pläne und steht am 18. Dezember 1921 – also vor etwas mehr als 100 Jahren – erstmals in einem Ligaspiel für den HSV auf dem Platz.
Auch beim legendären Endspiel um die Deutsche Meisterschaft 1922 im Berliner Grunewaldstadion gegen den 1. FC Nürnberg ist er mit dabei. Eins der längsten Spiele der Fußballgeschichte: 189 Minuten. Als die Dunkelheit kommt, wird es ohne Sieger abgebrochen. Nach einem ebenfalls vorzeitig unentschieden beendeten Wiederholungsspiel und einigem Hin und Her gibt es 1922 keinen Deutschen Meister. Doch schon im kommenden Jahr erringt der HSV den ersten Titel, 1928 folgt der zweite.
1933 kehrt er Deutschland den Rücken – wegen der Nazis?
Halvorsen zeichnet sich durch Sportsgeist, Fairness und Kameradschaftlichkeit aus und trägt sportlich ganz erheblich zu diesen Erfolgen bei. Gemeinsam mit Tull Harder bildet er die Mittelachse des HSV-Spiels. Als Harder 1931 seinen Abschied nimmt, wird Halvorsen Mannschaftskapitän und im Frühjahr 1933 übernimmt er auch noch das Traineramt.
Dann die Überraschung: Wenige Monate später kehrt er Deutschland den Rücken. Geht er, weil die Nazis die Macht ergriffen haben? Nach dem Krieg wird er das in einem Zeitungsinterview so darstellen. Doch der Hamburger Halvorsen-Experte Jürgen Kowalewski zweifelt daran. Keinerlei Hinweise auf einen Konflikt mit den NS-Machthabern zu diesem Zeitpunkt gebe es, meint der Biograf.
Im Gegenteil: An der mit viel Nazi-Tamtam aufgezogenen Abschiedsveranstaltung im September 1933 wirkt Halvorsen – selbst bürgerlich-national eingestellt – bereitwillig mit. Er hebt zwar nicht die Hand zum Hitler-Gruß, fordert aber die Anwesenden zu einem dreifachen „Hipp-Hipp-Hurra auf Deutschland und den HSV“ auf. Widerstand sieht anders aus.
Nach Kowalewskis Überzeugung verlässt Halvorsen Deutschland nicht aus politischen Motiven: Er ist fürs Fußballspielen langsam zu alt, und in der Heimat ist ihm eine Lebensstellung als Geschäftsführer der staatlichen Krankenkasse in Aussicht gestellt worden.
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Dass er diesen Posten dann doch nicht bekommt, erweist sich als Glücksfall – für ihn wie für sein Heimatland: Als Trainer der norwegischen Elf reist er 1936 zu den Olympischen Spielen nach Berlin, wo seine Jungs die deutsche Auswahl unter den ungläubigen Augen des „Führers“ im Viertelfinale furios mit 2:0 besiegen und schließlich die Bronzemedaille gewinnen – bis heute der größte Erfolg des norwegischen Männerfußballs.
Halvorsen kritisiert die Nazi-Spiele in Berlin mit keinem Wort. Forderungen, Norwegen solle den Spielen fernbleiben, schließt er sich nicht an.
Als Hitler Norwegen überfällt, wird Halvorsen zum erbitterten Hitler-Gegner
Leidenschaftlicher Hitler-Gegner wird er erst im April 1940, als die Wehrmacht Norwegen überfällt. Inzwischen einer der mächtigsten Funktionäre im norwegischen Sport, trägt er entscheidend zur Gründung der „Sportfront“ bei, der ersten bedeutenden Widerstandsbewegung des Landes: Die Nazifizierung des Sports soll verhindert werden. Aktive wie Zuschauer boykottieren Wettkämpfe. Herausragende norwegische Athleten weigern sich, das Training aufzunehmen oder Wettkämpfe zu bestreiten. „Kein Sport unter NS“ lautet die Parole, der Zehntausende folgen.
Allein dafür hätten die Nazis ihn schon ins KZ werfen können. Aber Halvorsen traut sich noch mehr: Heimlich beteiligt er sich in großem Stil an der Herausgabe illegaler Zeitungen. Mit Schreibmaschine geschrieben und mithilfe einer Matrize vervielfältigt, versorgen sie die Bevölkerung mit unzensierten Informationen, veröffentlichen Direktiven der Londoner Exilregierung und dienen der Koordination des Widerstands. Die Nazis schäumen vor Wut und machen sich auf die Suche nach den Verantwortlichen.
Am 5. August 1942 steht die Gestapo vor Halvorsens Tür. Er wird festgenommen und drei Tage mit Gummiknüppeln und Eisenketten misshandelt, verrät aber keinen seiner Freunde. „Am ganzen Körper blutig geschlagen, konnte er vor Schmerzen weder liegen noch sitzen“, so Jürgen Kowalewski.
Ein Jahr verbringt Halvorsen im berüchtigten Polizeihäftlingslager Grini bei Oslo größtenteils in Einzelhaft, wird dann als sogenannter NN-Gefangener in das KZ Natzweiler im Elsass gebracht. NN-Gefangene haben besonders geringe Überlebenschancen. Es handelt sich um Häftlinge, die gegen die Besatzungsmacht revoltiert haben und ohne Nachricht für Verwandte und Freunde auf Nimmerwiedersehen verschwinden sollen – in „Nacht und Nebel“.
Halvorsen muss in Natzweiler im Steinbruch arbeiten, im härtesten Arbeitskommando überhaupt – praktisch ein Todesurteil. Sein Glück ist, dass einer der Kapos – das sind Funktionshäftlinge, oft nicht weniger brutal als die SS – den ehemaligen Fußballstar erkennt und ihm deshalb Privilegien verschafft.
48 Kilo wiegt Halvorsen, als er aus dem KZ freikommt
Unter den Mitgefangenen genießt Halvorsen hohes Ansehen. Es gelingt ihm, ein dichtes Kontaktnetz aufzubauen, über das er wertvolle Informationen über die Welt außerhalb des Stacheldrahts verbreitet. Er setzt sich für Mithäftlinge wie beispielsweise Trygve Bratteli ein, der im Steinbruch arbeitet und der dem Zusammenbruch nahe ist. Bratteli – in den 70er Jahren wird der Sozialist Regierungschef Norwegens – bekommt auf diese Weise eine leichtere Tätigkeit zugewiesen.
Nach der Evakuierung des von den alliierten Invasionstruppen bedrohten Stammlagers Natzweiler im September 1944 gelangt Halvorsen als Krankenpfleger in dessen Außenlager Neckarelz und wird im Januar 1945 weiter in das KZ Vaihingen bei Stuttgart verlegt, wo Mitte Februar 1945 das Fleckfieber ausbricht. Fast die Hälfte der schon stark geschwächten Gefangenen stirbt, auch Halvorsen erkrankt. Er übersteht die Fieberkrise mit knapper Not, magert ab auf 48 Kilo. Sein Herz nimmt schwer Schaden.
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Kurz vor Kriegsende kommt es dann zur berühmten Rettungsaktion der Weißen Busse: Graf Folke Bernadotte, der Vizepräsident des schwedischen Roten Kreuzes, erhält von SS-Chef Heinrich Himmler die Zusage, alle skandinavischen Gefangenen aus den Lagern abholen zu dürfen. Am Morgen des 5. April 1945 erreicht einer der Busse auch das KZ Vaihingen.
Zurück in Oslo nimmt Halvorsen – immer noch gesundheitlich angeschlagen – seine Arbeit als Sekretär des Norwegischen Fußballverbandes (NFF) wieder auf. Die Ehe mit seiner Frau Minna, einer Hamburgerin, wurde 1943 während seiner Haft in Grini geschieden. 1946 steht sie in Oslo wegen Kollaboration vor Gericht. Seit der Hochzeit 1936 besitzt sie die norwegische Staatsangehörigkeit, hat aber aktiv mit den Besatzern zusammengearbeitet. Die Anklage wirft ihr vor, ihren Mann an die Gestapo verraten zu haben. Sie streitet das ab und wird in diesem Punkt freigesprochen.
Zur Versöhnung zwischen Minna und Asbjørn kommt es trotzdem nicht. Die Familie ist zerstört. Unentschuldbar auch das Verhalten von Felix Achim, Minnas Sohn aus erster Ehe: Während Halvorsen, der Stiefvater, im KZ saß, ist der Junge Anfang 1945 der Waffen-SS beigetreten. Freiwillig. Verrat auf ganzer Linie.
Halvorsen setzt sich nach dem Krieg für Deutschland ein
Der im KZ Geschundene setzt sich auch für die Versöhnung der ehemaligen Kriegsgegner Norwegen und Deutschland ein. Im norwegischen Olympischen Komitee wirft er 1951 sein ganzes Gewicht in die Waagschale und sorgt gegen heftigen Widerstand dafür, dass die Bundesrepublik an den Winterspielen 1952 in Oslo teilnehmen darf.
1953 reist Halvorsen nach Hamburg, denn im Volksparkstadion treffen in der Qualifikation für die Fußball-WM 1954 Norwegen und Deutschland aufeinander. Trotz allem, was danach war, wolle er die schönen Jahre beim HSV nicht missen, sagt er. Er trifft manch alte Weggefährten wieder.
Nur ein gutes Jahr darauf – Halvorsen ist 56 und gerade auf Dienstreise – stirbt er an den Spätfolgen seines KZ-Aufenthalts. Er wird am 16. Januar 1955 tot in seinem Hotelzimmer in Narvik aufgefunden.
Heute ist Halvorsen in Hamburg vergessen. Das darf nicht so bleiben, findet Halvorsen-Biograf Kowalewski und kritisiert, dass das Vorhaben, den Hellgrundweg am Volksparkstadion in Halvorsen-Weg umzubenennen, von der Bezirksversammlung Altona abgelehnt wurde. Kowalewski meint, zur Abwehr rechten Gedankenguts wäre es wichtig, dass Hamburg anders umgeht mit einer Person, deren Widerstand gegen den Faschismus so beispielhaft sei.
Tull Harder: Der Stürmer, der zum KZ-Aufseher wurde
Und dann ist da noch Otto Fritz Harder, der große Torschütze des HSV der 20er Jahren. Als „Tull“, wie er genannt wird, 1956 stirbt, erweisen ihm am Sarg Spieler des HSV im Klubdress die letzte Ehre, darunter der 19-jährige Uwe Seeler. „Unsere Gedanken werden noch oft bei ihm verweilen und den schönen Stunden gedenken, die er uns bereitet hat“, schreiben die Vereinsnachrichten über den Toten.
Otto Fritz Harder hat 400 Tore für den HSV geschossen, ist nach Uwe Seeler der erfolgreichste Torschütze in der Geschichte des Vereins. Worüber die Trauerredner damals aber geflissentlich hinwegsehen: dass er eben auch ein Verbrecher war.
Geboren wird Harder 1892 in Braunschweig. Als er Spieler bei Eintracht Braunschweig ist, wird ihm der Spitzname „Tull“ verpasst – nach einem dunkelhäutigen Kicker von Tottenham Hotspur, dessen Spielweise seiner ähnelt. In der Saison 1912/13 wechselt er zum HFC 88 nach Hamburg, einem der drei Clubs, die sich 1919 zum HSV zusammenschließen.
Harder ist bald so populär, dass sogar eine Zigarettenmarke nach ihm benannt wird und seine Vita als Vorlage für den Ufa-Spielfilm „Der König der Mittelstürmer“ dient. „Wenn spielt der Harder Tull“, so skandieren die Zuschauer im Stadion, „dann wird es drei zu null“.
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Harder ist ein Superstar, wird gefeiert als bester Mittelstürmer Deutschlands, die Presse bezeichnet ihn als „Leben gewordenen Torschuss“, als Brecher und Prellbock, der Wucht und Stoßkraft verkörpert und dank enormer Schnelligkeit und Technik einen Offensivdrang zeigt, der die Abwehrspieler erschreckt.
Schon sehr früh sympathisiert Harder mit den Nazis
Bereits seit der „Schmach von Versailles“, wie die Rechte den Friedensvertrag von 1919 nennt, macht Harder aus seiner revanchistischen und rassistischen Haltung keinen Hehl. Er sympathisiert mit Hitler. 1931 verlässt er den HSV und legt im Jahr darauf gleich die Grundlagen für eine neue Karriere: Er tritt der NSDAP und der SS bei und wird ab 1939 Wachmann im KZ. In immer höheren Positionen schiebt der einstige Fußballstar Dienst in Sachsenhausen, Neuengamme, Hannover-Stöcken und schließlich – jetzt im Rang eines SS-Untersturmführers – im Neuengammer KZ-Außenlager Ahlem bei Hannover, dessen Kommandant er bis Kriegsende ist.
Von den Briten verhaftet wird ihm 1947 gemeinsam mit vier weiteren SS-Tätern der Prozess gemacht. Vorwurf: Mord in Hunderten von Fällen. „Die Bedingungen in diesem Lager waren, selbst im Vergleich zu gewöhnlichen Konzentrationslagerstandards, grässlich“, so heißt es in der Anklageschrift.
Harder beharrt darauf, sein Lager sei ein „Modell-Außenkommando“ gewesen. Angesprochen darauf, dass die Häftlinge zwölf Stunden täglich Zwangsarbeit verrichten mussten bei geringster Ernährung, entgegnete er, sie seien froh gewesen, etwas zu tun zu bekommen. Die Verpflegung sei „gut und ausreichend“ gewesen.
Nur knapp entgeht Harder einem Todesurteil
Harder entgeht dem Todesurteil wohl nur, weil er ein berühmter Sportler ist. Das Gericht verurteilt ihn zu 15 Jahren Gefängnis. Später wird die Haftzeit auf zehn Jahre verkürzt. Schließlich kommt er nach viereinhalb Jahren frei. Er kehrt nach Hamburg zurück und wird, als er ein Spiel des HSV besucht, vom Stadionsprecher überschwänglich begrüßt.
Seine braune Vergangenheit gerät in Vergessenheit. So sehr, dass 1974 der Hamburger Senat anlässlich der Fußball-WM eine Broschüre erstellt, in der neben Jupp Posipal und Uwe Seeler auch Tull Harder als Vorbild für die Jugend gepriesen wird. Im letzten Moment fällt der Schnitzer auf, die Seite wird rausgeschnitten.