Wie die Nazis 1933 die „Rote Festung“ Hamburg sturmreif schossen
Adolf Hitler: eine gescheiterte Existenz, ohne Berufsausbildung. Ein rhetorisch begabter Bierhallen-Agitator mit lächerlichem Schnauzbart. Vor genau 90 Jahren, am 30. Januar 1933, ernennt der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg diesen Niemand, dessen Partei sich trotzdem zur stärksten politischen Kraft gemausert hat, zum Reichskanzler. Aber so ganz am Ziel ist der selbsternannte Führer damit noch nicht. Bis die braunen Horden auch Hamburg, die „Rote Festung an der Elbe“, erringen, vergehen nochmal fünf Wochen. Und eine Zeitlang sieht es so aus, als wenn das nicht ohne Blutvergießen ablaufen wird.
Adolf Hitler: eine gescheiterte Existenz ohne Berufsausbildung. Ein rhetorisch begabter Bierhallen-Agitator mit lächerlichem Schnauzbart. Vor genau 90 Jahren, am 30. Januar 1933, ernennt der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg diesen Niemand, dessen Partei inzwischen stärkste politische Kraft im Lande ist, zum Reichskanzler. Aber so ganz am Ziel ist der selbsternannte Führer damit noch nicht. Bis die braunen Horden auch Hamburg, die „Rote Festung an der Elbe“, einnehmen, vergehen nochmal fünf Wochen. Und eine Zeitlang sieht es so aus, als wenn das nicht ohne Blutvergießen ablaufen wird.
Der alles entscheidende Tag ist der 5. März 1933. Abends marschieren plötzlich zwei führende Nazis ins Rathaus und verlangen von Polizeisenator Paul de Chapeaurouge: „Machen Sie Schluss, jetzt sind wir an der Reihe!“ Dann geht es mit einem Mal hoch her. Filmreife Szenen spielen sich ab, als Hamburg, eine der letzten Bastionen der Demokratie in Deutschland, fällt …

Am 5. März 1933 kommt es im Bürgermeisterzimmer in Hamburg zum Showdown
Seit 1919 regieren in Hamburg Sozialdemokraten gemeinsam mit den liberalen und bürgerlich-koservativen Koalitionspartnern DDP und DVP. Nach der überwundenen Inflation 1923 ist die politische Lage in der Stadt ziemlich stabil, weitaus stabiler als im Rest des Reiches.
Doch die Goldenen Zwanziger finden mit dem Börsencrash in New York am 24. Oktober 1929 ein jähes Ende. Hamburg, das vom Außenhandel lebt, ist besonders hart getroffen von der Krise, die die gesamte Weltwirtschaft erfasst. Firmen gehen reihenweise pleite, Betriebe müssen massenhaft Personal entlassen, die Zahl der Arbeitslosenzahlen in der Stadt schießt in die Höhe: von 50.000 (1928) auf 165.000 (1932). Not, Hunger und Elend machen sich breit.
Das kommt den Extremisten zugute: In Hamburg sind es zunächst vor allem die Kommunisten, die die herrschende Ordnung in Frage stellen. Die KPD, die große Teile der Bevölkerung hinter sich weiß, wartet nur auf eine Gelegenheit, loszuschlagen. Beim Kommunistenaufstand 1923 haben es Kommunistenführer Ernst Thälmann und seine Genossen schon einmal probiert – erfolglos. Sie träumen von einer Räterepublik nach Moskauer Vorbild.

Die NSDAP ist 1928 noch eine unbedeutende Kraft in Hamburg – wie gelingt ihr der Aufstieg?
Die NSDAP spielt in der Stadt lange überhaupt keine Rolle. Aber das ändert sich, denn gerade die Jugend ist begeistert von dem neuen Politstar aus München: Wenn dieser Hitler Hamburg besucht, kommen Tausende in die Festhalle Sagebiel (Drehbahn), auf den Victoria-Sportplatz an der Hoheluftchaussee, zu Hagenbecks Tierpark oder in den Zirkus Krone. Eine Mark kostet es, sich seine Hass-Tiraden anzuhören – und die Leute zahlen. Als Hitler im April 1932 auf der Radrennbahn Stellingen spricht, hängen 120.000 Menschen an seinen Lippen.
Hitler gelingt es in seinen Reden, die Massen mitzureißen. Er verspricht Wohlstand, Arbeit, bessere Löhne, er geißelt die Exzesse des internationalen Finanzkapitalismus, macht die Juden für alles verantwortlich. Doch es ist gar nicht so wichtig, was er sagt, viel wichtiger ist, wie er es sagt: Er schreit, geifert, spuckt. Alle sind überzeugt: Der meint es ernst.
Der Aufstieg der Nazis in Hamburg schlägt sich auch bei den Wahlergebnissen nieder: Bei der Bürgerschaftswahl 1931 erringt die Hitler-Partei, die 1928 lediglich 2,2 Prozent geholt hat, plötzlich 26,3 Prozent der Stimmen. Die KPD erringt knapp 22 Prozent. Die Rathauskoalition aus SPD (27,8 Prozent), DDP (8,7) und DVP (4,8) verliert ihre Stimmenmehrheit in der Bürgerschaft. Sie regiert die Stadt ab da nur noch geschäftsführend.

SA sorgt für Straßenterror – um zu beweisen, dass die Demokraten nicht für Ordnung sorgen können
Die Gewalt nimmt dramatische Formen an: Die Nazi-Schlägertruppe SA liefert sich Straßenschlachten mit den „Rotfrontkämpfern“ der KPD oder mit Mitgliedern des sozialdemokratisch dominierten Wehrverbandes „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“. Ganz gezielt terrorisieren die Nazis die Straße – so wollen sie der Bevölkerung vor Augen führen, dass die regierenden Politiker nicht in der Lage sind, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Laufend gibt es Tote: Am Altonaer Blutsonntag im Juli 1932 sterben beim Marsch einer SA-Kolonne durch die kommunistisch dominierte Altstadt Altonas 18 Menschen – die meisten völlig unbeteiligte Anwohner oder Passanten.

Nachdem Hitler Reichskanzler geworden ist, gehen am 5. Februar 1933 in Hamburg massenhaft Sozialdemokraten und Kommunisten auf die Straße und protestieren – zeitgleich, aber getrennt, denn die beiden Arbeiterparteien sind einander spinnefeind: Seit langem beschimpfen Kommunisten SPD-Anhänger als „Sozialfaschisten“. Sich zusammenzutun gegen die Gefahr von rechts, das ist unter diesen Umständen kaum noch möglich. Dabei repräsentieren die beiden Parteien gemeinsam immer noch rund die Hälfte der Hamburger Wähler.
„Was auch immer kommen wird – wir werden unseren Kampf so führen, bis die Konterrevolution der Rechten und ihre Machenschaften bezwungen ist!“, versichert SPD-Landesvorsitzender Karl Meitmann in einer Rede an seine Genossen. Und ein KPD-Redner ruft den Nazis zu: „Ihr mögt das Geld der Reichen haben, aber wir haben den Enthusiasmus der Massen, wir haben den revolutionären Kampfwillen der Unterdrückten, wir haben die Begeisterung Millionen Arbeiter auf unserer Seite und werden zum Sieg schreiten.“
SPD und KPD drohen Anfang Februar 1933 mit Bürgerkrieg – doch dann bleibt alles ruhig
Das klingt nach Entschlossenheit, nach Bürgerkrieg, danach, dass die Linken nicht davor zurückschrecken werden, auf die Barrikaden zu gehen, um eine Nazi-Diktatur zu verhindern.

Einschüchtern lassen sich die Nazis davon nicht. Sie veranstalten am darauffolgenden Tag ebenfalls einen Umzug: Am Abend des 6. Februar 1933 nehmen am Hammer Steindamm uniformierte SA- und SS-Mitglieder Aufstellung, entzünden ihre Fackeln und ziehen mit ihren Spielmannszügen und mit dröhnendem Gesang bis zum Kaiser-Friedrich-Ufer und feiern den neuen Reichskanzler. An vielen Häusern links und rechts flattern Hakenkreuz- und schwarz-weiß-rote Fahnen.
Jetzt kommt alles auf die Reichstagswahl am 5. März an: Um Hitlers absolute Macht zu verhindern, muss die NSDAP geschlagen werden. Bisher hat die Nazi-Regierung keine parlamentarische Mehrheit im Reichstag. Es handelt sich wieder nur um eins dieser Präsidialkabinette, die von Hindenburgs Gnaden abhängig und meist nicht von langer Dauer sind.
Der Reichstagsbrand am 27./28. Februar 1933 kommt Hitler wie gerufen

Doch Hitler hat nicht vor, die Macht jemals wieder herzugeben. Noch bevor der Wahltermin da ist, beginnt er damit, seine Stellung zu festigen: In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 brennt der Reichstag – der willkommene Anlass, um die „Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat“ in Kraft zu setzen, die dem Kanzler diktatorische Vollmachten verleiht: In Hamburg und im Rest des Landes werden kommunistische Funktionäre verhaftet, KPD-Versammlungen und -Zeitungen verboten.
Nun wird die rote Festung Hamburg endgültig sturmreif geschossen: Am 3. März 1933 verfügt der Reichsinnenminister mit der Macht der Notverordnung, dass auch die SPD-Zeitung „Hamburger Echo“ ihr Erscheinen einstellen soll. Anlass: Das Blatt hat in einem kritischen Kommentar angedeutet, dass die Reichstagsbrandstifter wohl weniger unter Kommunisten als unter Nazis zu suchen seien…
Aus Protest gegen das Verbot ihrer Zeitung treten alle fünf SPD-Senatoren zurück. Zum ersten Mal seit 1919 regieren keine Sozialdemokraten mehr im Rathaus. Nur noch ein Rumpfsenat mit den Vertretern der bürgerlichen Koalitionspartner hält dort die Stellung.
Am selben Tag ist Hitler in der Stadt. Die Polizei hat Hinweise, dass Kommunisten einen Bombenanschlag auf ihn planen – nichts passiert. Der Kanzler spricht in einer Halle auf dem Gelände des ehemaligen Zoos. „Wir haben dafür zu sorgen“, zischt er, „dass Deutschland, das einst stürzte, sich wieder erhebt im alten Glanze der Freiheit und der Ehre!“ Am Abend zeigt sich der „Führer“ auf dem Balkon des Hotels „Atlantic“ und nimmt die Ovationen der Massen entgegen. „Sieg Heil“-Rufe gellen durch die Straßen.
Als die SA eindringt, verlassen die demokratischen Senatoren durch einen Nebeneingang das Rathaus
5. März. Wahltag. Polizeisenator Chapeaurouge bekommt die Meldung, dass Polizisten auf den Kasernen die Hakenkreuzflagge gehisst haben und sich weigern, sie zu entfernen. Das ist Meuterei! Während die Senatoren, die im Rathaus zusammengekommen sind, das weitere Vorgehen beraten, marschieren Hunderte SA-Leute auf den Rathausmarkt, schlagen gegen das verschlossene Tor und verlangen die Übergabe – lange bevor die Wahlergebnisse da sind.
Nur dem NSDAP-Gauleiter Karl Kaufmann und dem Bürgerschaftsabgeordneter Harry Henningsen wird Einlass gewährt. Es kommt zum Showdown im Bürgermeisterzimmer: „Hören Sie auf mit Ihrem Gerede, Sie zögern die Sache nur hinaus!“, brüllt Heningsen und fügt lautstark hinzu: „Machen Sie Schluss, jetzt sind wir an der Reihe!“ Henningsen trägt braune Uniform und einen mächtigen Revolver im Gurt.
Bürgermeister Carl Wilhelm Petersen selbst ist nicht da. Er hat schon am Vortag schriftlich seinen Rücktritt erklärt. Polizeisenator Paul de Chapeaurouge, der sich zunächst weigert, gibt dem Druck schließlich nach, überträgt noch am selben Abend SA-Standartenführer Alfred Richter die Kontrolle über die Polizei. Damit haben die Nazis jetzt das wichtigste Machtinstrument in ihrer Gewalt.
Viele in der Stadt fragen sich: Wäre jetzt nicht der Zeitpunkt gekommen, dass Kämpfer des sozialdemokratischen Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold zu den Waffen greifen? Wird es blutige Unruhen geben? Es bleibt aber alles ruhig.

Gegen 22 Uhr verlassen die Senatoren über einen Nebenausgang am Alten Wall das Gebäude und bemerken kaum, was sich inzwischen auf dem Rathausmarkt abspielt: Dort feiern SA-Leute ihren Sieg. In Reih und Glied nehmen sie Aufstellung, grüßen die Hakenkreuzfahne, die vom Balkon des Rathauses weht. SA-Führer Arthur Böckenhauer hält eine Rede vom Rathausbalkon und sagt, vielen sei die Bedeutung der Stunde noch nicht in vollem Umfange bewusst. Ein dreifaches „Sieg Heil!“ donnert über den Rathausmarkt. Er wird bald darauf Adolf-Hitler-Platz heißen.
Bei dieserer Reichstagswahl – es ist bis Kriegsende die letzte Wahl, an der mehr als eine Partei teilnimmt – verbucht die NSDAP deutschlandweit 43,9 Prozent. Ein Erdrutschsieg. Elf Prozent mehr als im November 1932. In Hamburg kommt Hitlers Partei auf 39 Prozent. 2,2 Prozent – so viel hatte die NSDAP bei den Bürgerschaftswahlen 1928 geholt…
Am 8. März 1933 feiern die Braunhemden den frisch gewählten Nazi-Senat
Am 8. März 1933 ist der Machtwechsel in der „roten Festung“ perfekt: Die Bürgerschaft wählt an diesem Tag einen neuen Senat, und ihm haben Nazis das Sagen. Sechs von zwölf Senatoren stellt die NSDAP. Bürgermeister wird der Kaufmann und Reeder Carl Vincent Krogmann – er wird seinen Posten bis 1945 behalten. Die neuen Machthaber gehen sofort an die Arbeit: Nur wenige Wochen brauchen sie, um sämtliche Einrichtungen des Hamburger Staates, alle Behörden und Ämter „gleichzuschalten“. Alle Verbände und Organisationen werden entweder zu Hilfsorganisationen der NSDAP umfunktioniert – oder verboten.

Die Bürgerschaft wird Schritt für Schritt entmachtet und am 14. Oktober 1933 ganz aufgelöst. Damit ist in der Stadt das Führerprinzip vollends etabliert. Alle Gewalt geht nunmehr von Reichsstatthalter Karl Kaufmann aus.
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Anlässlich des 90. Jahrestages der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler lädt die „Initiative Stadthaus“ zu einer Kundgebung ein. Dabei will sie daran erinnern, dass die Nazis sich 1933 die Macht nicht mit Gewalt unter den Nagel rissen, sondern rechtskonservative Parteien sowie militärische, wirtschaftliche und akademische Eliten ihnen den Weg ebneten. Es sprechen unter anderem Cornelia Kerth von der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes/Bund der Antifaschisten, Ex-Polizeipräsident Wolfgang Kopitzsch von der Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten und Detlef Baade, der aus Texten seines Vaters Herbert Baade liest, der kommunistischer Widerstandskämpfer war. Die Veranstaltung findet am Montag, 30. Januar 2023, ab 16.30 Uhr an der Ecke Stadthausbrücke/Neuer Wall statt.