Wahre Geschichte der „Peking“: Ohne das „weiße Gold“ wäre sie nie gebaut worden
Schnapszahl! Die „Peking“ feiert 111. Geburtstag. Am 25. Februar 1911 lief die Viermastbark bei „Blohm + Voss“ vom Stapel. Inzwischen ist sie zum neuen maritimen Wahrzeichen Hamburgs geworden und wird, wenn in den nächsten Jahren der Neubau des Deutschen Hafenmuseums auf dem Grasbrook fertiggestellt ist, dessen größter Zuschauermagnet sein.
Die Geschichte der „Peking“, die zu den 65 legendären „Flying P-Linern“ der Reederei F. Laeisz zählt, ist eine Geschichte frühen Globalisierung. Denn gebaut wurde der „Hamborger Veermaster“ – genauso wie die Schwesternschiffe „Pangani“,„Petschili“, „Pamir“, „Passat“, „Priwall“ und „Padua“ – vor allem aus einem Grund: Die „Peking“ sollte so schnell wie möglich und so viel wie möglich „weißes Gold“ aus Südamerika nach Hamburg holen.
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Schnapszahl! Die „Peking“ feiert 111. Geburtstag. Am 25. Februar 1911 lief die Viermastbark bei „Blohm + Voss“ vom Stapel. Inzwischen ist sie zum neuen maritimen Wahrzeichen Hamburgs geworden und wird, wenn in den nächsten Jahren der Neubau des Deutschen Hafenmuseums auf dem Grasbrook fertiggestellt ist, dessen größter Zuschauermagnet sein.
Die Geschichte der „Peking“, die zu den 65 legendären „Flying P-Linern“ der Reederei F. Laeisz zählt, ist eine Geschichte frühen Globalisierung. Denn gebaut wurde der „Hamborger Veermaster“ – genauso wie die Schwesternschiffe „Pangani“,„Petschili“, „Pamir“, „Passat“, „Priwall“ und „Padua“ – vor allem aus einem Grund: Die „Peking“ sollte so schnell wie möglich und so viel wie möglich „weißes Gold“ aus Südamerika nach Hamburg holen.
Die Rede ist von Salpeter. Dabei handelt es sich um ein Nitratsalz, dessen größte Vorkommen in der chilenischen Atacamawüste zu finden sind. Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts war der Hunger Europas danach riesengroß. Erstens, weil es keinen besseren Mineraldünger gab. Und zweitens, weil Salpeter noch einen anderen Vorzug hatte: Er war unerlässlich für die Herstellung von Sprengstoff.
Salpeter: Das „Wunderzeug aus der Wüste“ löst einen wahren Goldrausch aus
Ausgelöst hat den Salpeterboom der österreichische Gelehrte und Forschungsreisende Thaddäus Haenke, der Anfang des 19. Jahrhunderts die Salpetervorkommen in der Atacamawüste entdeckte und ein Verfahren entwickelte, den Stoff als Düngemittel einzusetzen. Das „Wunderzeug aus der Wüste“ kam wie gerufen, denn die Industrielle Revolution ließ in Europa die Bevölkerungszahlen explodieren. Es gab immer mehr hungrige Mäuler.
Was dann passierte, erinnert ein bisschen an den Goldrausch am Klondike: Der Stoff war plötzlich so wertvoll, dass Chile von 1879 bis 1883 Krieg deswegen führte und diejenigen Teile der Atacamawüste, die zu Bolivien und Peru gehörten, besetzte. Dadurch sicherte sich das Land das weltweite Monopol für Stickstoff. Es winkten Profit, Geld und Macht.
Neben chilenischen Investoren waren es vor allem Briten und Deutsche, die den Salpeterabbau dominierten: Henry B. Sloman (1848-1931) etwa scheffelte so viel Geld, dass er der reichste Hamburger wurde und sich mit dem Bau des Chilehauses ein Denkmal setzte.
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Während er und seinesgleichen in Luxus schwelgten, mussten die Arbeiter in den Minen und den Salpeterfabriken, den sogenannten „Oficinas“ furchtbar leiden: Zu Tausenden schufteten die Männer in der Wüste, sprengten das salpeterhaltige Gestein los, transportierten es mit Maultierkarren, später mit Eisenbahnwaggons in die Fabriken, wo die Brocken zerkleinert und die begehrten Salpetersalze mit Wasserdampf herausgelöst wurden. Verpackt in Säcken schafften sie das Pulver auf Maultieren zum Hafen von Iquique, wo die Schiffe beladen wurden.
Henry B. Sloman baut mit seinen Profiten das berühmte Chilehaus
Wagten es die Beschäftigten, sich gegen die mörderischen Arbeitsbedingungen und gegen die schlechte Bezahlung zur Wehr zu setzen, riefen die Minenbesitzer das Militär zu Hilfe, das dann auch rücksichtslos von der Waffe Gebrauch machte. 1907 starben streikende Männer, Frauen und Kinder im Kugelhagel – von 2000 Opfern ist die Rede.
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Das „Massaker von Iquique“ lag gerade vier Jahre zurück, der Salpeterboom dauerte an, da brach am 22. Juni 1911 die nagelneue „Peking“ zu ihrer Jungfernfahrt auf. 30 Mann Besatzung waren an Bord: Die einfachen Seeleute teilten sich zwei beengte Kammern, während Kapitän J. H. Hinrich Nissen und der Erste Offizier Einzelunterkünfte hatten und sogar einen eigenen Sanitärbereich. Immerhin – und das sorgte für gute Stimmung – gab es regelmäßig Frischfleisch für alle. Dafür wurden lebende Schweine mitgeführt – in einem Stall aus Metall.
Die Überfahrt vom englischen Lizard am Ausgang des Ärmelkanals bis Chile dauerte üblicherweise rund 74 Tage. Das Leben an Bord war hart und gefährlich. Wie leicht konnte ein Matrose bei schwerer See von den Wanten geweht werden! Und schlechtes Wetter gab es häufig.
Irving Johnson, ein amerikanischer Autor und Abenteurer, der an Bord der „Peking“ eine Reise begleitete, schrieb: „Riesige Wellenberge türmten sich auf. Pausenlos rollten, hüpften, schlingerten und tauchten wir.“ Das Schiff habe geknarrt, als hätte es Gefühle, „als würde es Angst und Schmerzen empfinden angesichts dieses furchtbaren Orkans“.
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Mit 5000 Tonnen Salpeter im Bauch umschifft die „Peking“ Kap Hoorn
In Chile angekommen, dauerte es Wochen, bis das Schiff vollständig beladen war: Damit Leck- und Schwitzwasser abfließen konnten, wurde der Boden zuerst mit Holzlatten, Schilf- und Bastmatten ausgelegt. Anschließend mussten 5000 Tonnen Salpeter – genug, um damit 33 Eisenbahnwaggon zu füllen – säckeweise von kleineren Schiffen aus mit Handwinden an Bord gehievt und abwechselnd quer- und längsschiffs in den Luken eingestaut werden.
Gepackt wurde in Pyramidenform. Das sorgte für Stabilität. Besser, die Seeleute machten dabei keinen Fehler, andernfalls konnte die Ladung bei hohem Wellengang ins Rutschen geraten. Vor allem während der Umrundung von Kap Hoorn wäre das lebensgefährlich gewesen – denn die Südspitze Südamerikas war (und ist) eine der gefährlichsten Schifffahrtsstraßen überhaupt und außerdem einer der größten Schiffsfriedhöfe der Erde.
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Als im Sommer 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, befand sich die „Peking“ gerade vor der chilenischen Hafenstadt Valparaíso auf Reede. An ein Auslaufen war nicht mehr zu denken. Die Briten internierten das Schiff für die nächsten vier Jahre, errichteten eine Seeblockade und schnitten damit Kriegsgegner Deutschland vom Salpeter-Nachschub ab.
Inzwischen hatten die Chemiker Fritz Haber und Carl Bosch ein Verfahren zur Synthetisierung von Ammoniak entwickelt, aus dem sich Salpetersäure herstellen lässt. Um die künstliche Produktion von Salpeter auch im industriellen Maßstab umsetzen zu können, unterzeichneten Carl Bosch für die BASF und die Oberste Heeresleitung Ende 1914 einen Vertrag, der Abnahmegarantien und ein Darlehen von 35 Millionen Mark seitens des Reiches vorsah, wodurch der Bau von Produktionsanlagen ermöglicht wurde, erst in Ludwigshafen-Oppau, dann in Merseburg (später Leuna).
Erst dank des Leuna-Werkes gelang es ab 1917, mit dem „Haber-Bosch-Verfahren“ so große Mengen von Salpetersäure künstlich herzustellen, dass damit das von Chilesalpeter abgeschnittene Deutsche Reich seine Munitonsproduktion aufrechterhalten und den Zusammenbruch abwenden konnte.
So war es also der Erste Weltkrieg, der entscheidend zum Ende des Chilesalpeters beitrug. Völlig zum Erliegen kam der Salpeterhandel schließlich während der Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er Jahre. Chile – eben noch steinreich aufgrund der Salpeter-Vorkommen – schlitterte in den Staatsbankrott. Die Salpeterminen mussten aufgegeben werden, ganze Arbeitersiedlungen verwaisten – heute noch zeugen Geisterstädte in der Atacamawüste davon.
Heute erinnern in Chile noch Geisterstädte an den Salpeterboom
Auch die Salpeterfahrt war bald Geschichte. Die „Peking“ unternahm ihre 17. und letzte Reise nach Chile Anfang 1932. Dabei kam es zu einem furchtbaren Unglück: Zwei Seeleute stürzten in den Laderaum – einer von ihnen starb an seinen schweren Kopfverletzungen.
Die wirtschaftliche Not zwang die Reederei Laeisz anschließend dazu, die „Peking“ zu verkaufen: Im Herbst 1932 trat sie ihre Fahrt nach England an. Umbenannt in „Arethusa“ wurde sie in Apnor nahe Rochester als stationäres Schulschiff fest verankert – und diente einmal sogar als Filmkulisse, nämlich für „Mörder ahoi!“ mit Margarete Rutherford als Miss Marple.
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1974 zog die „Peking“ um, wurde Museumsschiff auf dem Hudson River in New York City – bis die Stadt Hamburg sie 2017 zurück in die Heimat holte. Nach dreijähriger Restaurierung liegt die „Peking“ nun seit September 2020 bei den 50er Schuppen im Hansahafen. Dort bleibt sie bis zur Fertigstellung des Deutschen Hafenmuseums auf dem Grasbrook, wo ihr endgültiger Liegeplatz sein wird.
Zum 111. Jahrestag des Stapellaufs der „Peking“ hat die Stiftung Historische Museen Hamburg gemeinsam mit dem „Verein der Freunde der Viermastbark Peking“ eine Reihe von Kurzfilmen produziert. Darin werden das Team und der aktuelle Stand auf dem Schiff vorgestellt. Die Kurzfilme sind ab dem 25. Februar auf der Website der Stiftung (www.shmh.de) zu sehen.
Und so geht es mit Hamburgs maritimen Wahrzeichen jetzt weiter
Zurzeit ist die „Peking“ nicht für den uneingeschränkten Publikumsbetrieb zugänglich. In einem gemeinsamen Projekt mit Google Art & Culture werden jedoch seit Februar 2021 digitale Rundgänge angeboten. Ab Herbst 2021 gab es außerdem erste Baustellen-Führungen für Gruppen bis zu zehn Personen.
Mit der Saisoneröffnung im Schuppen 50A am 3. April ist geplant, die Baustellen-Führungen fortzusetzen. Weitere Informationen zum Umfang und zu den Buchungsmöglichkeiten werden in der zweiten Märzhälfte bekannt gegeben.
Ebenfalls zum Saisonstart im Schuppen 50 A wird die „Peking“ mit einem sogenannten Klüvernetz ausgestattet, das in der Winterpause zusammen mit einem Team von ehrenamtlichen Mitarbeitern hergestellt wurde.
Im Sommer 2022 wird der aktuelle Liegeplatz des Schiffes ausgebaut: Dazu werden dann Dalben errichtet, an denen das Schiff befestigt wird. Bislang ist es lediglich am Kai vertäut. Parallel geht die Arbeit an einem Konzept der musealen Ausstattung der „Peking“ weiter.