Vor 90 Jahren: Bücher großer deutscher Dichter gehen in Flammen auf
Vor genau 90 Jahren gehen in Deutschland Bücher in Flammen auf. Zuerst am 10. Mai 1933 in Berlin und etlichen anderen Städten. Fünf Tage später zieht Hamburgs Studentenschaft nach. Eine „Aktion wider den undeutschen Geist“ nennen sie dieses beschämende Spektakel. Ein nachdenklicher Blick zurück:
Vor genau 90 Jahren gehen in Deutschland Bücher in Flammen auf. Zuerst am 10. Mai 1933 in Berlin und etlichen anderen Städten. Fünf Tage später zieht Hamburgs Studentenschaft nach. Eine „Aktion wider den undeutschen Geist“ nennen sie dieses beschämende Spektakel. Genährt werden die Flammen mit den Werken großer deutscher Dichter: Thomas Mann, Anna Seghers, Heinrich Heine, Bertolt Brecht, Erich Kästner, Kurt Tucholsky und Carl Zuckmayer beispielsweise.
Der 15. Mai 1933 ist ein Montag. Gegen 23 Uhr marschiert der SA-Studentensturm 6/76 am Kaiser-Friedrich-Ufer in Eimsbüttel auf. Außerdem finden sich Angehörige schlagender Verbindungen und die Hochschulgruppe des Frontkämpferbundes „Stahlhelm“ ein.

Nur wenige Fotos sind von jener Nacht erhalten: Darauf sind gespenstische Szenen zu sehen. Es herrschte Hamburger Schmuddelwetter, der Scheiterhaufen loderte, knisternde Flammen züngelten in den nächtlichen Himmel und beleuchteten die Akteure. Begleitet von den Reden des Kreisführers des Studentenbundes Reinhold Schulze und Wolf Meyer-Christians, Gründer des Nationalsozialistischen Studentenbundes Hamburg, wurden die auf dem Index stehenden Bücher ins Feuer geworfen, darunter Werke von zehn Hamburger Autoren. Während die Flammen lodern, haben SA-Leute im Halbkreis Aufstellung genommen und zeigen den Hitlergruß. Unter den Zuschauern: auch Zivilisten, „normale“ Hamburger Bürger. Ob wohl wenigstens ein paar von ihnen erschauderten?
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Überliefert ist, welche Parolen die NS-Studenten brüllten, während sie die Bücher ins Feuer warfen. „Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkriegs, für Erziehung des Volkes im Geist der Wehrhaftigkeit!“, rief einer, so laut er konnte, und fügte hinzu: „Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque.“ Dann ein anderer noch lauter, noch hasserfüllter: „Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Schriften von Tucholsky und Ossietzky!“ So geht es eine halbe Stunde lang. Ein widerliches Schauspiel.
Nazi zu sein, das war schick, entsprach dem Zeitgeist
Nicht ein Student, nicht ein Professor der Hamburger Universität sprach sich öffentlich gegen diese Aktion aus. Die Aktion traf einhellig auf Zustimmung. Das passt zu der ultrarechten Stimmung, die damals an der Uni herrschte. Nationalistisch und antisemitisch zu sein war schick, entsprach dem Zeitgeist. In einem Aufruf am 1. Mai 1933 hatte der „Führer“ der Hamburger Studentenschaft, der Student Wolff Heinrichsdorff, mit Blick auf die Machtergreifung Hitlers erklärt: „Gefallen ist die liberale Fiktion der Gleichheit vor dem Gesetz und der Unabhängigkeit des Richtertums! Fallen muss und wird die Autonomie der Hochschule, damit der Boden für die nationalsozialistische Universität Hamburg bereitet werden kann!“
An den Unis hatte bereits im März 1933 eine regelrechte Hetzjagd auf alles Undeutsche begonnen. Es kam zu Übergriffen gegen jüdische Dozenten und Kommilitonen. Vorlesungen wurden gestört, Professoren am Betreten ihrer Arbeitsstätte gehindert. Der blanke Terror!
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Der Höhepunkt sollte die Bücherverbrennung sein. Dass es dazu in Hamburg erst am 15. Mai kam – nicht am 10. wie im Rest des Reiches – hatte einen Grund: Am 10. Mai trat die am 5. März gewählte Bürgerschaft zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Es war der Tag, an dem die NSDAP in der Hansestadt das Rathaus in Besitz nahm – und da wollte sie sich nicht die Schau stehlen lassen. Aus diesem Grund wurde die Aktion verschoben. Am Schwarzen Brett des Universitätshauptgebäudes an der Edmund-Siemers-Allee hing ein Aushang. Darauf stand: „Hamburgs Studenten versammeln sich im Kampf für ein vom jüdisch-bolschewistischen Ungeist gereinigtes Schrifttum am Montag, dem 15. Mai um 23 Uhr am Kaiser-Friedrich-Ufer.“
Weil der Scheiterhaufen am Kaifu nicht hoch genug war, musste alles wiederholt werden
Unfassbar erscheint heute, dass die Bücherverbrennungen tatsächlich auf eine Initiative der Deutschen Studentenschaft (DSt) und des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) zurückgingen und keineswegs auf Propagandaminister Joseph Goebbels oder Diktator Adolf Hitler. Zum Vorbild nahmen sich die Initiatoren eine Bücherverbrennung beim Wartburgfest im Oktober 1817, wo eine Gruppe von Burschenschaftlern symbolisch einige Bücher von Autoren verbrannt hatte, die sie als ihre Gegner ansahen.

Hamburg war am 15. Mai 1933 zwar spät dran, dafür aber gab es das Schauspiel aber gleich fünfmal. Weil der Scheiterhaufen am Kaiser-Friedrich-Ufer den Nazis nicht mächtig genug gewesen war, wurden auf Anweisung der Schulbehörde noch im gleichen Monat alle Schulbüchereien durchforstet: 58 Titel mit „pazifistischer, marxistischer oder religionsfeindlicher Tendenz“ waren auszusortieren. Eine ganze Lkw-Ladung kam dabei zusammen.
Die zweite Hamburger Bücherverbrennung fand am 30. Mai 1933 statt: Auf dem Lübeckertorfeld – dort, wo heute die Alsterschwimmhalle steht – errichtete die Hitler-Jugend einen Scheiterhaufen. Die Aktion begann mit einem Fackelzug, an dem unter anderem 2000 Hitlerjungen, 300 BDM-Mädchen und Mitglieder des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes teilnahmen. Er führte vom Adolf-Hitler-Platz (so hieß damals der Rathausmarkt) über die Mönckebergstraße und den Steindamm zum Lübeckertorfeld.
Dort hielt Gauwirtschaftsberater Gustav Schlotterer eine Rede: „Im Angesicht dieses Scheiterhaufens, der die Werke der Vernichtung entgegenführen soll, die uns 14-jährige Marxistenherrschaft beschert hat, sagen wir: Wir sind keine Feinde der deutschen Kultur, des deutschen Geistes, des deutschen Sozialismus. Unsere Abrechnung mit den Kultursünden der Vergangenheit ist gleichzeitig ein Bekenntnis zur wahren deutschen Volkskultur.“
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Der Bannführer der Hitlerjugend, Wilhelm Kohlmeyer, begann mit der Bücherverbrennung. Als Erstes warf er die Werke Lenins in Feuer. Weiter ging’s mit vermeintlich „undeutschen“ Büchern sowie der Fahne der KPD.
Auch in Eimsbüttel, in den Borberger Dünen und in Bergedorf brennen die Bücher

Noch drei weitere Bücherverbrennungen gab es in der Stadt: Eine fand ebenfalls Ende Mai in der Methfesselstraße in Eimsbüttel statt, zwei weitere zur Sonnenwendfeier am 24. Juni 1933, und zwar in den Boberger Dünen in Lohbrügge und auf dem Fritz-Reuter-Platz in Bergedorf.
Seit 1985 gibt es am Kaiser-Friedrich-Ufer ein Mahnmal, das an den Nazi-Frevel erinnert. Es handelt sich um einen steinernen Halbkreis mit vier roten Marmorblöcken, auf denen unter anderem die Titel verbrannter Werke eingraviert sind. Auch die Namen der Autoren stehen dort. Daneben der berühmte prophetische Satz von Heinrich Heine, den er bereits 1821 geschrieben hatte: „Das war ein Vorspiel nur. Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“
Vier Wochen lang: Festival „Hamburg liest verbrannte Bücher“
„Bücher, das wissen wir jetzt, kann man nicht verbrennen“ – das berühmte Zitat von Erich Kästner, der auf dem Berliner Opernplatz Zeuge wurde, wie seine Werke in Flammen aufgingen, steht als Motto über dem Festival „Hamburg liest verbrannte Bücher“, das von der HAW Hamburg, der Kulturbehörde und der Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky veranstaltet wird. Vier Wochen lang, vom 10. Mai bis zum 10. Juni, feiert Hamburg genau die Autoren, die von den Nazis verfemt und verfolgt wurden.

Ein breites Netzwerk Hamburger Institutionen und Kulturschaffender stellt die geächteten Schriftsteller in mehr als 50 Lesungen, Vorträgen und Ausstellungen vor, bei Poetry Slams und Liederabenden, in einem Festival-Magazin, auf künstlerisch gestalteten Plakaten und in animierten Poetry Clips, zu Wasser und per Fahrrad. Wenig bekannte Namen wie Grete Berges oder Heinz Liepman tauchen im Programm ebenso auf wie die von Heinrich Heine, Erich Maria Remarque oder Joachim Ringelnatz.
Mehr als 50 Vorträge, Ausstellungen und Lesungen überall in Hamburg
„Die Resonanz bei der Planung hat gezeigt, dass das Thema nicht nur aus historischer Perspektive gewichtig ist“, erklärt Konstantin Ulmer, der „Hamburg liest verbrannte Bücher“ für die Staats- und Universitätsbibliothek in Kooperation mit der Behörde für Kultur und Medien und der Hochschule für Angewandte Wissenschaften federführend organisiert. „Besonders erfreulich ist auch, dass wir die Idee, die ganze Stadt zu bespielen, umsetzen können: Wir sind in allen Hamburger Bezirken unterwegs.“ An den Veranstaltungen wirken bekannte Künstler wie Michael Batz, Bas Böttcher, Kirsten Boie, Saša Stanišić, Henning Venske und viele mehr mit.

Dass „Hamburg liest verbrannte Bücher“ auch im Bereich der bildenden Kunst viel zu bieten hat, ist das Verdienst der Illustrationsstudierenden der HAW, die die Bücherverbrennungen als Semesterthema in ihren Seminaren behandelt haben. Die Ergebnisse – Plakate, Zines und Comics, aber auch szenisch inszenierte Puppen – sind unter anderem in der Ausstellung „feuerfest“ zu sehen, die während des Festivals im Ausstellungsraum der Stabi untergebracht ist. Die Ausstellung ist genau wie viele der Veranstaltungen eintrittsfrei.