Heiß geliebt und unvergessen: Hamburg und seine Straßenbahn
Bürgermeister Hans-Ulrich Klose (SPD) ahnte es damals schon. „Es kann sein“, sagte der zu öffentlichter Nachdenklichkeit neigende Politker, „dass das ein Fehler ist.“ Heute wissen wir es ganz genau: Es war eine der dümmsten politischen Entscheidungen in der Hamburger Nachkriegsgeschichte, die Straßenbahn abzuschaffen. Genau 45 Jahre liegt das jetzt zurück – und bis heute wird diskutiert, diesen Schritt wieder rückgängig zu machen.
Bürgermeister Hans-Ulrich Klose (SPD) ahnte es damals schon. „Es kann sein“, sagte der zu öffentlicher Nachdenklichkeit neigende Politiker, „dass das ein Fehler ist.“ Heute wissen wir: Es war eine der umstrittensten politischen Entscheidungen in der Hamburger Nachkriegsgeschichte, die Straßenbahn abzuschaffen. Genau 45 Jahre liegt das jetzt zurück – und bis heute wird diskutiert, diesen Schritt wieder rückgängig zu machen.
Der Tag, an dem die letzte Straßenbahn aufs Abstellgleis und von da in die Schrottpresse rollte, war der 1. Oktober 1978. Es war ein Wochenende und es gab ein großes Abschiedsfest: 200.000 Menschen kamen zum Rathausmarkt. Spielmannszüge machten Musik, das DRK sorgte für Erbsensuppe. Souvenirs wurden verkauft. Aber ungetrübt war der Spaß nicht: Trauer und Verlustgefühle überwogen. Und vor laufender Kamera ließ sich Hans-Ulrich Klose (1973-2023) zu dem einen Satz hinreißen, der seither oft zitiert wird.

Vor 45 Jahren kamen 20.000 Menschen in die City, um von der Straßenbahn Abschied zu nehmen
Zum Abschied von der Straßenbahn legten die Menschen liebevoll ihre Hände auf die drei Fahrzeuge, die auf der Schleife auf dem Rathausmarkt abgestellt waren. Als die letzte Fahrt der „2“ vom Rathaus bis rauf nach Schnelsen begann, säumten Bürger die Straßen, winkten und weinten. Manche Leute fuhren mit dem Auto nebenher und filmten. Andere hatten Kassettenrekorder dabei, um den Sound aufzunehmen. Gesänge wurden angestimmt: „Junge, komm bald wieder!“ Die Leute spürten, dass dieser Tag eine Zäsur darstellt. Das Ende einer 112 Jahre währenden Erfolgsgeschichte.
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Alles geht 1866 los, als Hamburg – so wie im Jahr davor bereits Berlin – eine Pferdebahn in Betrieb nimmt. Ein modernes Verkehrsmittel, das die Massen schnell von der Wohn- zur Arbeitsstätte und wieder zurückbringt, ist dringend nötig, denn Hamburg boomt, die Einwohnerzahl steigt dramatisch. Und weil die innerstädtischen Wohnquartiere nach und nach verschwinden und dafür neue Viertel außerhalb von Alt- und Neustadt entstehen, werden die Wege weiter.

1866 ist das der letzte Schrei: Hamburg stellt eine Pferdebahn in Dienst
Zwar gibt es schon seit 1839 Pferdeomnibusse in der Hansestadt, aber die Fahrt über Kopfsteinpflaster ist sehr unbequem und vor allem langsam. Die Pferdebahn erreicht ein weit höheres Tempo, denn jetzt ziehen Gäule die auf Schienen rollenden Wagen durch die Stadt. Eine Fahrt vom Hamburger Rathaus nach Wandsbek dauert „nur noch“ 42 Minuten und kostet drei Schillinge. Später werden Sammelbilletts eingeführt: 25 Fahrten für fünf Mark.
Der Wettbewerb im öffentlichen Nahverkehr wird härter: Verschiedene Gesellschaften versuchen einander auszustechen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sind bis zu 3600 Pferde im Schichtbetrieb im Einsatz. Zwischen 1878 und 1897 verkehrt eine dampfgetriebene Bahn – im Volksmund „Plätteisen“ genannt – nach Wandsbek. Und die gelben, an Pagoden erinnernden Wagen der „Hamburg-Altonaer Centralbahn“, die schon elektrisch fahren und Hamburg mit Altona verbinden, werden im Volksmund „Chinesenbahn“ getauft.

Ab 1894 setzen sich überall in der Stadt die elektrisch betriebene Straßenbahn durch. Unumstritten ist sie anfangs jedoch nicht: Die Höchstgeschwindigkeit von 30 Stundenkilometern bezeichnen viele Zeitgenossen als „Wahnsinn“. Trotzdem setzt sich der Fortschritt durch: Nach und nach schluckt die Strassen-Eisenbahn-Gesellschaft (SEG) die meisten ihrer kleineren Mitbewerber. Die dunkelgrün gestrichenen Fahrzeuge der SEG prägen nun das Straßenbild. In der Anfangszeit fährt die Ringlinie in etwa entlang des heutigen Ring 1 einmal um die innere Stadt herum. Bis 1900 ist ein innerstädtisches Netz fertig.
1894 wird die erste elektrisch betriebene Straßenbahn in Hamburg in Betrieb genommen
1911 wird die Hamburger Hochbahn AG gegründet, die nach dem Ersten Weltkrieg die verbliebenen Straßenbahngesellschaften übernimmt. 1914 gibt es bereits 40 Linien. Zwar hat 1912 der U-Bahn-Bau begonnen, aber die Straßenbahn trägt weiter die Hauptlast des öffentlichen Nahverkehrs.
Nach den verheerenden Bombenangriffen im Sommer 1943 liegt Hamburgs Straßenbahn für lange Zeit lahm. Erst 1947 ist das Netz wieder einigermaßen komplett. Einige Linien, wie beispielsweise die 21 (Barmbek – Eilbek – Rothenburgsort), werden nicht mehr in Betrieb genommen. Mit dem Anschluss von Lurup 1955 erreicht das Straßenbahn-Netz seine größte Ausdehnung nach dem Krieg. Mehr als 1000 Wagen sind im Einsatz.

Seit den 30er Jahren hat die Straßenbahn in Hamburg ein einheitliches Aussehen: unten rot, oben cremefarben. Bei diesem Design bleibt es auch bei den sogenannten „Sambawagen“, die nach dem Zweiten Weltkrieg verkehren. Wieso die so heißen? Weil die Passagiere, wenn der Fahrer bremst, nur mit einem Ausfallschritt das Gleichgewicht halten können – wie beim Samba eben.
Straßenbahnbriefkästen – die hat es nur in Hamburg gegeben
Eine Sache gibt es außer bei der Hamburger Straßenbahn nirgendwo auf der Welt: die sogenannten Straßenbahnbriefkästen. Ab Herbst 1920 hängen bei allen Linien, die den Stephansplatz und den Hauptbahnhof anfahren, abnehmbare Briefkästen am letzten Wagen. Jeder Bürger hat hier die Möglichkeit, Eilbriefe und Telegramme einzuwerfen. Allein 1921 werden eine Million Sendungen befördert. Bis 1958 gibt es diesen Service.

Etwa zur selben Zeit fällt die Entscheidung, die Straßenbahn abzuschaffen. Mit ihrer starren Streckenführung steht sie dem stark wachsenden motorisierten Individualverkehr buchstäblich im Wege. Die Tram passt nicht in das Konzept der autogerechten Stadt. Und so beschließt der Senat, in Zukunft ganz auf U-Bahnen und Busse zu setzen. 1957 wird mit dem Typ V7 die letzte Straßenbahn neu in Dienst gestellt. Hergestellt werden viele der Wagen bei den Fahrzeugwerken Falkenried in Hoheluft. Heute befindet sich dort ein exklusives Wohngebiet.
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Zwar wird bald klar, dass aus Kostengründen der Ausbau der U-Bahn so schnell wie gedacht gar nicht möglich ist – aber insbesondere die in Hamburg regierende SPD bleibt stur: Sie lässt sich weder von Petitionen noch von Demonstrationen und auch nicht von Unterschriftenaktionen umstimmen. Die Straßenbahn muss weg. Basta!
- MOPO-Archiv 1971: Die letzte Fahrt der Linie 12 nach Rönneburg.
1971: Die letzte Fahrt der Linie 12 nach Rönneburg. - MOPO-Archiv Verschrottung der alten Straßenbahnen.
Verschrottung der alten Straßenbahnen. - MOPO-Archiv Verschrottung der ausgedienten Straßenbahnen auf dem Straßenbahnfriedhof an der Kollaustraße.
Verschrottung der ausgedienten Straßenbahnen auf dem Straßenbahnfriedhof an der Kollaustraße. - MOPO-Archiv Straßenbahn der Linie 1 in der Langen Reihe in St. Georg.
Straßenbahn der Linie 1 in der Langen Reihe in St. Georg. - Wedemeyer Eine Straßenbahn der Linie 14.
Eine Straßenbahn der Linie 14. - Straßenbahn in der Schmiedestraße / Alter Fischmarkt im Jahre 1897
Straßenbahn in der Schmiedestraße / Alter Fischmarkt im Jahre 1897 - MOPO-Archiv Blilck ins Straßenbahndepot: Der Betriebshof am Sandweg in Eimsbüttel.
Blilck ins Straßenbahndepot: Der Betriebshof am Sandweg in Eimsbüttel. - Stadtarchiv Altona Die Straßenbahn in der Hamburger Hochstraße in Altona, aufgenommen um 1953.
Die Straßenbahn in der Hamburger Hochstraße in Altona, aufgenommen um 1953. - MOPO-Archiv Linie 9: 1964 entstand dieses Foto. Die berühmte Straßenbahnlinie fuhr dieses Strecke: Flughafen-Winterhuder Markt – Mittelweg – Dammtor – Rathaus-Lange Reihe – Hamburger Straße – Bramfeld.
Linie 9: 1964 entstand dieses Foto. Die berühmte Straßenbahnlinie fuhr dieses Strecke: Flughafen-Winterhuder Markt – Mittelweg – Dammtor – Rathaus-Lange Reihe – Hamburger Straße – Bramfeld.
1958 fällt die Entscheidung: Die Straßenbahn stört die autogerechte Stadt und muss weg
Widerspruch wird nicht geduldet: Als der HVV-Ingenieur Peter Fechner es 1975 wagt, einen Aufsatz zu schreiben, in dem er daran erinnert, dass es kein wirtschaftlicheres öffentliches Verkehrsmittel als die Straßenbahn gibt und dazu rät, wenigstens die wichtigsten Linien zu erhalten, muss er seinen Hut nehmen. Legendär ist übrigens, wie die Stadt ganz offiziell die Einstellung der Straßenbahn begründet: damit nämlich, dass das elektrische Verkehrsmittel die Luft „durch das Aufwirbeln von Staub“ verunreinige. Kein Witz. Fragt sich, was damals wohl aus den Auspuffrohren der Busse kommt? Veilchenduft?
Bereits 1954 wird die erste Strassenbahn-Linie eingestellt: die 44 in Harburg. 1959 ist dann die Linie 13 (St. Pauli – Rönneburg) dran. Von da an nimmt die Zahl der Linien stetig ab. 1976 sind nur noch die drei Linien 1, 2 und 14 unterwegs. Die Linie 1 verbindet den Rathausmarkt mit dem Lattenkamp, Linie 2 verkehrt von Schnelsen bis zur Veddel und die 14 bringt ihre Fahrgäste von der Veddel über Winterhude bis zum Grindelberg. Am 1. Oktober 1978 ist dann ganz Schluss: Jetzt stellt auch die letzte verbliebene Linie – die 2 – den Betrieb ein. Schon einen Tag später beginnt die Stadt damit, sämtliche Schienen auszugraben oder zu asphaltieren.

Der „Wiedergänger“ Hamburger Rathauspolitik: Brauchen wir eine Stadtbahn?
Schon in den 80er Jahren setzt eine Diskussion darüber ein, ob es nicht sinnvoll wäre, die Straßenbahn wieder einzuführen. 2001 werden die Pläne für eine „Stadtbahn“, wie sie jetzt genannt wird, konkreter. Doch nach langem hin und her fällt 2011 die Entscheidung, stattdessen eine weitere U-Bahn-Linie zu bauen, um Bramfeld, Steilshoop, Lurup und Osdorf besser an die Stadt anzubinden: die U 5. Doch zu Ende ist die Diskussion um die Stadtbahn damit immer noch nicht. Zuletzt sind es im Sommer 2023 die Jusos, die die Diskussion neu entfachen.
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Wo überall in der Stadt noch Spuren der alten Straßenbahn zu finden sind
Ob sie irgendwann doch noch kommt, die neue Straßenbahn? Bis dahin müssen sich die Hamburger mit den Überbleibseln der alten zufriedengeben. Da und dort sind sie noch zu finden: Etwa in Winterhude, wo geschützt vor der Witterung im Rewe-Parkhaus ein Wagen der Baureihe V7 seinen Lebensabend fristet – liebevoll restauriert von Ingo Naefcke (81), einem ehemaligen Schaffner. Zu besichtigen: jeden Samstag von 9 bis 16.30 Uhr. Außerdem ist bei Bauhaus im einstigen Betriebshof Lokstedt an der Alten Kollaustraße ein V6E-Triebwagen ausgestellt.
Einige alte Gleise haben auch überlebt. In der Straßburger Straße in Dulsberg sind noch echte Schienen zu sehen und in der Straße „Bei der Reitbahn“ in Ottensen erinnert ein Muster im Kopfsteinpflaster an den alten Fahrtweg der Straßenbahn.

Insgesamt 30 Wagen hat die Hochbahn 1978 verkauft – einige davon an Museen im In- und Ausland. Andere pendelten noch ein wenig länger gemeinsam mit weiteren historischen Wagen durch San Franzisko oder an der New Yorker Ostküste entlang. Wer Lust hat, nochmal in einer alten Hamburger Straßenbahn zu fahren, der muss zum Schönberger Strand in der Nähe von Kiel: Dort gibt es einen Museumsbahnhof, der noch einen Wagen der alten Linie 21 betreibt. Viel Spaß!