Die schreckliche Geschichte dieses Hamburger Schulhofs
Ganz in der Nähe des Bahnhofs Sternschanze befindet es sich: das 130 Jahre alte Gebäude der ehemaligen Volksschule Altonaer Straße – heute Sitz einer Ganztagsgrundschule. Weil es sich hinter Wohnhäusern wegduckt, ist das Gebäude vom Gehweg aus kaum sichtbar. Aufgrund dieser abgeschirmten Lage wurde der Schulhof im Juli 1942 zum Sammelpunkt für rund 1700 jüdische Bürger: Kinder, Frauen und Männer, die von hier aus in den Tod geschickt wurden.
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Ganz in der Nähe des Bahnhofs Sternschanze befindet es sich: das 130 Jahre alte Gebäude der ehemaligen Volksschule Altonaer Straße – heute Sitz einer Ganztagsgrundschule. Weil es sich hinter Wohnhäusern wegduckt, ist das Gebäude vom Gehweg aus kaum sichtbar. Aufgrund dieser abgeschirmten Lage wurde der Schulhof im Juli 1942 zum Sammelpunkt für rund 1700 jüdische Bürger: Kinder, Frauen und Männer, die von hier aus in den Tod geschickt wurden.
Genau 80 Jahre danach ist nun eine Gedenktafel mit den Namen sämtlicher Deportierter am Schulgebäude angebracht worden. Dafür gesorgt hat eine Initiative, die den Namen „Kein Vergessen im Weidenviertel“ trägt. Ihr Sprecher ist Holger Artus, ehemaliger MOPO-Betriebsratsvorsitzender.
Auf einem Schulhof begann für Männer, Frauen und Kinder die Reise in den Tod
Artus erzählt, dass in den 80er Jahren der Lehrer Wilhelm Mosel durch Zufall darauf kam, dass das Haus 1942 während der Sommerferien als Sammelstelle für Juden zweckentfremdet wurde. Dieser Lehrer habe damals für eine kleine Erinnerungstafel gesorgt. Aber das sei nicht genug, findet Artus. Nicht angesichts der furchtbaren Verbrechen, die hier ihren Anfang nahmen. Artus konnte schließlich die Bezirksversammlung Altona überzeugen, die Kosten für eine neue Tafel zu übernehmen, auf der alle Namen verzeichnet sind.
42 Personen entgingen den Transporten – sie nahmen sich vorher das Leben
„Hamburg judenfrei“ zu machen – das war der Ehrgeiz der ortsansässigen Nazi-Bonzen. Bereits im Oktober 1941 hatte in der Stadt die systematische Deportation begonnen. Ältere und prominente jüdische Bürger und solche mit Auszeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg waren davon zunächst noch ausgenommen.
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Dieser Personenkreis erhielt dann im Juli 1942 den Befehl, die Koffer zu packen. Eine Art Altersghetto sei für sie im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren geschaffen worden, so wurde ihnen weisgemacht. Die Betroffenen mussten Heimkaufverträge abschließen und ihr restliches Vermögen dafür hergeben.
Die meisten jüdischen Bürger lebten da schon länger nicht mehr in ihren eigenen Wohnungen, sondern waren in sogenannte „Judenhäuser“ zwangseinquartiert worden. Das erleichterte ihre Deportation. Im Juli 1942 fuhren dort Laster vor, holten die Personen ab, um sie zur Schule Schanzenstraße zu bringen.
Der damals sechs Jahre alte Rudolf Dorow hat mit angesehen, wie Uniformierte die Bewohner rausgeholt haben. „Ich kann mich erinnern, dass viel gebrüllt wurde und einer mit seinem Fuß gegen einen Vogelbauer trat“, erzählt der 86-Jährige der MOPO. „Ich war Kind und habe gedacht, wer macht denn so etwas?“
Rudolf Dorow war sieben Jahre alt und wurde zum Augenzeugen
42 Personen entgingen dem Abtransport durch Selbstmord. Die Deportation der übrigen erfolgte in zwei Durchgängen. Am 15. Juli traten 906 Personen die Reise an, am 19. Juli noch einmal 803 (davon 36 aus Schleswig-Holstein). Nachdem die Männer, Frauen und Kinder in der Schule Schanzenstraße registriert worden waren, fuhren Mannschaftswagen der Polizei vor und brachten die Todgeweihten zum Hannoverschen Bahnhof (heute Lohsepark in der HafenCity), wo schon die Züge bereitstanden für die Fahrt nach Theresienstadt.
Wer dort nicht an Hunger und Entkräftung starb, wurde später nach Auschwitz weiter transportiert und ermordet. Von den 1700 Deportierten des 15. und 19. Juli 1942 überlebten gerade mal 133.
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Insgesamt wurden bis 1945 mehr 8000 Juden, Roma und Sinti aus Hamburg in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert und ermordet.